Jeder Mensch ist eine multiple Persönlichkeit. Jedenfalls was die Wirkung auf sein Umfeld angeht. Je nachdem mit wem wir kommunizieren, übernehmen wir andere Rollen.

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Jeder Mensch hat verschiedene Rollen

Ein Mann zum Beispiel wird sich in der Regel mit Kumpels beim abendlichen Bier anders verhalten als gegenüber seiner Frau – und sein Auftreten im Berufsalltag und gegenüber seinem Chef ist wieder etwas ganz anderes. Bei dem einen mögen diese Rollenwechsel stärker ausgeprägt sein als bei anderen, doch es ist vergleichweise normal, das der selbe Mensch im gesellschaftlichen Umgang mit anderen unterschiedlichen Rollenbildern entspricht – und das nicht erst seit der Erfindung des Internets. Neu ist allerdings die Anzahl der Möglichkeiten, die uns durch das Internet zu Verfügung stehen. Wir können uns anonym bewegen und eine fremde Identität mit einem andere Geschlecht oder Alter annehmen. Wir können unter Pseudonym in Chats oder Foren auftreten, uns witzige Avatare zulegen und ungeschminkt unsere Meinung zum besten geben – oder eben genau das Gegenteil tun.

Und selbst wenn wir unter unserem richtigen Namen im Netz erscheinen, so passen wir oft unser Verhalten auch dem jeweiligen Netzwerk an – zum Beispiel bei Xing etwa betont seriös, bei Facebook betont cool und bei Twitter betont witzig. Dieses Spiel mit einer Vielzahl unterschiedlicher Identitäten verunsichert viele Menschen, die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Nutzt jemand nun Twitter privat oder beruflich? Und kann man beruflichen Kontakten bei Facebook Freundschaftsanfragen stellen oder wird das doch als zu privat empfunden? Es werden neue Kommunikations-Regeln notwendig, weil die Grenzen zwischen privater und öffentlicher Identität immer mehr verwischen.

Authentisch oder idiotisch?

Viele Internetnutzer sind Idioten! Zumindest wenn man nach der griechischen Ursprungsbedeutung des Wortes geht. Denn im Antiken Griechenland war Idiot ein Mensch, der Privates nicht vom Öffentlichen trennt. Und genau das tun viele Menschen, wenn sie sich im Internet präsentieren. Denn wie die Studie “Facebook Profiles Reflect Actual Personality, Not Self-Idealization” der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz zeigt, wollen die meisten Mensch in sozialen Netzwerken möglichst ganz sie selbst sein und der eigenen Persönlichkeit Ausdruck verleihen.

In Kooperation mit deutschen und amerikanischen Kollegen untersuchten die Mainzer Psychologen insgesamt 236 deutsche (studiVZ/meinVZ) und US-amerikanische (Facebook) Nutzerprofile. Mit Fragebögen wurden die tatsächlichen Persönlichkeitseigenschaften der Profilbesitzer sowie ihre idealisierten Selbstbilder (d.h. die Vorstellungen davon, wie sie gerne wären) erhoben. Als Persönlichkeitseigenschaften wurden die sogenannten Big Five erfasst: Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrungen. Anschließend sahen fremde Beurteiler die Nutzerprofile und gaben ihren Persönlichkeitseindruck an. Die Fremdurteile wurden dann mit der tatsächlichen Persönlichkeit sowie dem Selbstideal der Profilbesitzer verglichen. Es zeigt sich, dass die spontanen Eindrücke der fremden Beurteiler mit den tatsächlichen Eigenschaften der Profilbesitzer übereinstimmen und nicht durch deren Selbstidealisierung verfälscht werden. Die Ergebnisse widersprechen damit der weitverbreiteten Meinung, dass Online-Profile nur dazu verwendet werden, ein Ideal der eigenen Person, sozusagen eine idealisierte virtuelle Identität, zu kreieren.

Zu viel Offenheit macht Angst

Diese Offenheit macht vielen Leuten Angst. Denn, so die gängige Meinung, es mag ja schön und gut sein, sich im Privatleben zu geben wie man ist. Doch in der Öffentlichkeit und gar im beruflich-professionellen Umfeld hat zu viel Offenheit nichts verloren. Sie wirkt gewissermaßen idiotisch. Oder doch nicht?

Im Oktober 2010 erhielt Uwe Knaus, Blogmanager von Daimler, eine denkwürdige Bewerbung für ein Social Media Praktikum: “Ich bin Social-Media-süchtig… ja, ich bekenne mich hiermit offiziell. Nichts kann mir meinen Tag mehr versüßen, als das goldige Klingeln einer neuen Nachricht bei Facebook und ein erhoffter Retweet… Ja, so ist es… Ich erhalte wiederholt Anzeigen wegen Belästigung, weil ich Leuten auf der Straße folge. Und am aller Schlimmsten:… Mein Freund spricht mich mittlerweile nur noch mit @Schatzi an… Einzig und allein der strukturierte Umgang mit Social Media kann mir jetzt noch helfen. Ich zähle auf Ihre Unterstützung.”

Absenderin war die Regensburger Absolventin Natascha Müller, die damit für heftige Diskussionen unter Personalern und Social-Media-Experten sorgte. Denn Knaus hatte die Bewerbung, zunächst anonym, in seinem privaten Blog veröffentlicht – nicht ohne seinen eigenen Eindruck wiederzugeben: “Zuerst dachte ich: Das geht gar nicht! Da hat sich jemand einen Scherz erlaubt, oder ein anderer hat eine Fake-Bewerbung abgegeben. Gehen wir mal davon aus, das Anschreiben ist kein Fake. Dann ist es amüsant, offen, ehrlich, witzig, herausstechend und die Bewerberin bleibt in Erinnerung. Aber es passt nicht zu Daimler – oder doch? Wenn Die Dame sich damit bei einer Agentur beworben hätte, dann hätte sie vermutlich gleich morgen anfangen können. Gedanken über Gedanken. Eins hat sie zumindest erreicht: Ich beschäftige mich überdurchschnittlich lange und intensiv mit ihrer Bewerbung.” Und genau darin bestand der Erfolg von Müllers Bewerbung: Mit ihrer frechen, unkonventionellen Art brachte sie nicht nur den Blogmanager eines weltweiten Automobilkonzerns zum Nachdenken, sondern erreichte u.a. via Twitter auch große, meist zustimmende Aufmerksamkeit. Offenheit und Authentizität also als Erfolgsstrategie unserer Zeit?

Nicht jede Offenheit kommt gut an

Die Sache ist ungleich komplizierter und vielschichtiger. Denn nicht jede Form von Offenheit kommt auch gut an. Der Managementberater Olaf Hinz warnt sogar davor, es mit der Authentizität zu übertreiben: “Was es braucht ist ein stimmiges Auftreten bzw. eine stimmige Inzenierung. Und gerade Inszenierung hat auch die Rollenbilder / -erwartungen der Mitarbeiter, Kollegen oder des Publikums im Blick. Denn wer hoch persönlich authentisch und ‘ehrlich’ daher kommt, wird von seinem professionellen Umfeld schnell als ‘zu nah’ und ‘zu privat’ empfunden. Ich denke, es braucht ein professionelles Auftreten, dass durch das ‘Waage halten’ zwischen Authentizität und Rollenausübung weder angepasst noch zu privat daherkommt: eine stimmige Inszenierung eben.”

Die Politkwissenschaftlerin Eva Horn, die früher u.a. im Landtag von Baden-Württemberg arbeitete, beherrscht diese Inszenierung in ihrem bevorzugten Social-Media-Kanal, Twitter, perfekt: Mit ihren Grünen Haaren, dem eher zufälligen Schnappschuss und dem frechen Spruch “ich bleibe oft lange auf, trinke viel und schäme mich für uns alle” nimmt man ihr Profil eher als privaten und damit besonders authentischen Kanal war. Dennoch überlegt auch sie genau, was sie twittert und was nicht, denn sie weiß sehr genau, wer alles mitliest – und zu welchen Missverständnissen die Verzahnung und Privat und Öffentlich führen kann:

“Mit der Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken ist das wie überall sonst auch: Einige tun es mehr als andere, es gehört einfach dazu. Allerdings würde ich nie irgendwelchen Mist twittern, um mehr Follower zu bekommen. Das wäre unehrlich. Was man scheibt, muss zu einem passen. Ganz private Dinge wie mein Liebesleben behalte ich für mich. Dass ich aber ein ausgemachter Missanthrop bin und manchmal etwas mehr trinke, dürfen die Leute ruhig wissen. Spontane Gefühlsäußerungen auch, selbst wenn das manchmal Irritationen hervorruft: Einmal habe ich getwittert ‘versehentlich angefangen zu heulen’ – darauf dachten viele Leute, es müsse mir total schlecht gehen, weil ich das öffentlich mache. Dabei handelt es sich nur um kurze Momentaufnahmen. Es gibt eben viele Leute, die die Ironie und den Zynismus nicht verstehen, mit denen man bei Twitter Themen in 140 Zeichen auf die Spitze treibt. Das muss einem liegen. Durch Twitter habe ich auch schon viele berufliche Kontakte und Jobangebote bekommen und twittere auch offiziell für die Grünen – die haben auch schon gemerkt, dass ich gut formulieren kann. In dem offiziellen Account einer Partei oder eines Unternehmens haben private Äußerungen allerdings nichts verloren, das muss man strikt trennen, sonst wirkt es unprofessionell!”

Ungewollt berühmt – und nun?

Wer am 02. Juli 2011 das Rheinkultur-Festival in Bonn besuchte, hatte gute Chancen berühmt zu werden. Nicht etwa, weil er plötzlich als Musiker entdeckt worden wäre. Aber Der WDR hat ein Foto gemacht und das, hochauflösend vergrößert, so dass man jedes Gesicht gut heranzoomen und erkennen konnte, und das ganze als “größtes deutsches Festivalpanorama” mit 25.000 Menschen veröffentlicht. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Der WDR rief unter http://rheinkulturpanorama.de/ dazu auf, sich selbst oder Freunde und Bekannte auf dem Foto zu Markieren – wahlweise mit oder ohne Facebook, wo man Personen auf Fotos schon länger taggen und so Kontakten zuordnen kann. Genau deshalb hielt man beim WDR die Aktion wohl für einen gelungenen Gag – doch Blogger und Rechtsanwälte sahen das etwas anders.

“Diese Konzepte sind, gemessen an deutschem Recht, nicht zulässig,” notiert etwa Thomas Stadler, Fachanwalt für IT-Recht in seinem Internet-Law-Blog. Und John F. Nebel, Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, schreibt: “Die Spielräume für das Individuum werden kleiner, die Freiheit, unbeobachtet zu handeln schrumpft und im Hinterkopf bildet sich so langsam ein Denken, das dem Rechnung trägt.”Immerhin räumt der WDR Nutzern die Möglichkeit ein, ihre Gesichter verpixeln zu lassen. Dafür müssen sie  nur man einen Screenshot des Ausschnitts, auf dem sie zu sehen sind, einschicken, ihre Telefonnummer angeben und nachweisen, dass sie auch eben diese Person ist, etwa mit einem Führerscheinfoto. Um also wieder Anonym zu werden, müssen Sie noch weitere Daten preisgeben!

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte

Zugegeben, vielen Leuten mag es egal sein, ob jemand weiß, dass Sie am 02. Juli 2011 auf dem Rhein-Kultur-Festival waren. Manchen aber auch nicht. Doch genau die müssen nun damit leben, dass man nach Eingabe ihres Namens in die Suchmaschine vielleicht bei Eingabe ihres Namens genau jenes Bild findet. Doch das taggen und markieren von Fotos ist erst der Anfang: Mittlerweile kann Software Menschen auf Fotos auch automatisch erkennenund einem vorher eingegebenen Namen zuordnen. Das ist nicht wirklich neu: Bildverarbeitungsprogramme wie Picasa, iPhoto oder Photoshop Elements verfügen bereits über diese Funktion. Neu ist allerdings, dass man sie nun nichtt mehr offline für sich und seine eigenen Fotosammlung anwenden kann, sondern online – und damit in der Regel auch für alle sichtbar.

Denn Facebook verfügt jetzt über eine Gesichtserkennung – seit Ende 2010 in den USA, seit Frühjahr 2011 auch in Deutschland aktiv. Wenn Nutzer neue Fotos hochladen, vergleicht Facebook diese mit bereits bestehenden Fotos, auf denen bereits Personen markiert sind. Wenn das System ausreichend hohe Ähnlichkeiten findet, schlägt das System vor, das neue Bild ebenfalls mit diesem Namen zu markieren. Nun kann man zur allgemeinen Beruhigung sagen, dass Gesichtserkennungssysteme noch nicht wirklich gut funktioniert und nur wenige Menschen wirklich gut erkennen. Auch dass zum Beispiel Strandfotos, die irgendjemand mit seinem Handy zufällig von uns geschossen hat, auf diese Weise unter unserem Namen im Netz auftauchen, ist noch wirklich unwahrscheinlich. Allerdings könnte sich das bald ändern, denn solche Systeme werden stetig verbessert.

Google beispielsweise bietet mit Goggles eine App, dank der Smartphones Fotomotive Informationen im Netz zuordnen soll. Einen CNN-Bericht über eine mögliche mobile Gesichtserkennung  dementierte Google allerdings umgehend: Technisch wäre so eine Funktion machbar, die Datenschutzbedenken seien dem Unternehmen jedoch zu groß. Es könnte also in Zukunft kein Problem, dass wir alle mit einer kleinen Mini-Gesichtserkennung herumlaufen und so gleich andere Menschen auf der Straße oder bei Party persönlichen Informationen im Netz zuordnen. Und mehr noch: Bei einer gut funktionierenden Gesichtserkennung wäre es ohne weitere möglich, dass Daten von Überwachungskameras mithilfe der Facebook-Bilder abgeglichen werden. Namen, Adressen, persönliche Vorlieben und auch die Bewegungsprofile von ahnungslosen Bürgern wären so nur noch einen Mausklick entfernt. Auch wenn das noch Zukunftsmusik ist, schlagen Datenschützer heute schon Alarm. Denn auch wenn nach deutschem Recht das Erheben von biometrischen Daten nur dann erlaubt ist, wenn die Betroffenen ausdrücklich eingewilligt haben, ist die Sache rechtlich nicht ganz so einfach: Denn nach Auffassung von Facebook gelten hier nicht die deutschen sondern die Gesetze des Landes, in dem das Unternehmen seinen europäischen Sitz hat – und das ist Irland.

Gesichterkennung in Facebook: Vermummt zum Einkaufen?

Was dem Einzelnen bislang bleibt, ist Hilfe zur Selbsthilfe. Bei Facebook kann man die Gesichtserkennung zumindest teilweise deaktivieren – auch wenn das eine vermeintliche Sicherheit vorgaukelt, die es laut Stiftung Warentest gar nicht gibt: “Viele Berichte zur Facebook-Gesichtserkennung suggerieren: Die Funktion lässt sich deaktivieren. Bei einer renommierten Tageszeitung etwa heißt es: ‘So lässt sich die automatische Gesichtserkennung abschalten: Unter -> Privatsphäre-Einstellungen -> Benutzerdefinierte Einstellung beim Punkt -> Freunden Fotos von mir vorschlagen auf -> Einstellungen bearbeiten klicken. Dort ist standardmäßig “Aktiviert” ausgewählt. Wird die Funktion auf “Gesperrt” gesetzt, ist die Gesichtserkennung abgeschaltet.’Der beschriebene Weg ist korrekt, aber die Bewertung geht viel zu weit: Laut Facebook unterbleibt nur der Vorschlag des Namens zum Bild. Die Gesichtserkennung als solche läuft offenbar weiter. Etwas mehr Datenschutz bringt nur die tief im Facebook-Hilfesystem verborgene und kaum verständliche Anleitung zum Löschen der Informationen für Markierungsvorschläge. Das betrifft jedoch nur die Daten zu selbst hochgeladenen Bildern. Wenn andere Facebook-Benutzer Bilder einstellen und Informationen dazu abspeichern, können Betroffene selbst nichts unternehmen. Ihnen bleibt nur, den anderen Facebook-Nutzer um Löschung zu bitten.”

Spaßvögel witzeln schon, dass wir dann in Zukunft alle nur noch vermummt zum Einkaufen gehen. Vielleicht gibt es aber noch eine andere Lösung: Einfach die richtige Schminktechnik nutzen. Der Designer Adam Harvey, Absolvent des Interactive Telecommunications Programs der New York University, hat entdeckt, dass übertriebenes MakeUp, in der richtigen Weise aufgetragen, das Erkennen eines Gesichts verhindert. Auf seiner Website erklärt Harvey mit viele Videos und Fotobeispielen, wie das funktionieren soll: Es geht unter anderem darum, Teile des Gesichts zu betonen, die man sonst nicht betont, also sich Beispielsweise Backen statt Augen und auf diese Weise praktisch zu invertieren. Die Algorithmen der zur Zeit verfügbare Gesichtserkennungssoftware könnten, so der Erfinder, die Gesichter dann nicht mehr richtig berechnen.

Business, Matching und Biertrinker: Wenn das Private beruflich wird

Immer wenn ich in Vorträgen Studenten frage, welche Sozialen Netzwerke sie nutzen, sind bei einem alle Hände oben. Sie ahnen es schon: Facebook ist natürlich gemeint. Wenn ich dann aber frage, wenn denn Facebook auch beruflich nutzt, bleiben meist nur ganz wenige Hände oben. Für berufliche Zwecke, so die einhellige Meinung, sind Xing zuständig. Die amerikanische Konkurrenz, das Business-Netzwerk Linkedin, ist in Deutschland langsam am Kommen, Xing hingegen ist in Deutschland eine schon lange bekannte Größe.

Dabei schien Xing lange auf dem absteigenden Ast, versucht aber seit Jahren weiter mitzuhalten. Als es dann aber seine Funktionen komplett umbaute, fühlten sich manche User mit der neuen Funktion überfordert. Genau die ruhigere Behäbigkeit und die übersichtlichen Einstellungs-Möglichkeiten, seine Daten vor fremden Augen zu schützen, ist etwas, das Xing für viele Menschen attraktiver macht als das weitaus unübersichtlichere Facebook oder gar das chaotische Twitter. Nach Meinung von Martin Salwiczek von der Mühlheimer LVQ Weiterbildung GmbH schätzen viele hier gerade die Langsamkeit, da sie nicht permanent unter Kommunikationsdruck stehen, dafür aber Kontakte stets überschaubar sortiert vorfinden und sich einfach über Events informieren können. Salwiczek hat jahrelang mit Weiterbildungs-Teilnehmern die Möglichkeiten des Internets bei der Jobsuche ausgelotet und weiß, was Xing bei der Jobsuche so attraktiv macht:

“Ich betreute einen eher zuückhaltenden Teilnehmer. Sein Xing-Profil erstellte er so, dass er für seine Branche auffindbar war und schaute in der Powersuche nach Personen, die bieten was er sucht. So landete er auf dem Profil eines Produktionsleiters und schaute es sich an, ohne Kontakt aufzunehmen. Der Produktionsleiter jedoch wurde auf den Besucher  aufmerksam. Er war von dessen Profil so angetan, dass er ihn anschrieb. Letztendlich konnte man sich auf eine Zusammenarbeit einigen.”

Persönliche vs. Berufliche Identität: Das Matching muss stimmen!

Damit so etwas funktioniert, muss allerdings eine Bedingung erfüllt sein, ohne die im Internet fast gar nichts geht: Das Matching muss stimmen. Oder anders ausgedrückt: Der Topf muss seinen Deckel finden. Denn egal ob man nun Jobs, Partner, Bilder oder Themen sucht: Der Grund, warum wir das Gesuchte in der Regel innerhalb weniger Sekunden finden,  ist, dass die gefundenen Dinge mit entsprechenden Titeln und Tags, also Stichworten, versehen sind, die es den Algorithemen der Suchmaschine erlauben, sie zu finden. Bei Xing funktioniert das, indem man entsprechende Stichworte in das “Ich suche”- und “Ich biete”-Feld seines Profils einträgt. Das klingt schnell, einfach und praktisch – und das ist es auch. Allerdings nur dann, wenn man auch quadratisch-praktisch-passende Suchbegriffe in die Felder eintragen kann, weil man zum Beispiel eine klar definierte, leicht verständliche Berufsbezeichnung hat. Wer das nicht kann, fällt bei dieser Methode schlicht hintenrunter!

Das Problem dabei: Das werden zukünftig gerade bei der Jobsuche immer mehr Leute sein. Denn die Philosophie, einen einmal gelernten Beruf ein Leben lang auszuüben, hat auch in Deutschland allmählich ausgedient. Svenja Hofert, eine der führenden deutschen Karriere-Beraterinnen schreibt: “Die Antwort auf die Frage ‘welchen Beruf habe ich?’ wird mit jedem Jahr, mit jeder Woche in der Wissensgesellschaft kniffliger. Kaum jemand arbeitet in einem gelernten Beruf…  Funktionsbereiche wie Marketing, Personal, Rechnungswesen lösen sich auf, diversifizieren sich oder werden von neuen Abteilungen flankiert. Die heißen dann Regulatory Affairs oder Corporate Social Responsibility oder….?”

Hofert hat bei Ihrer Arbeit festgestellt, dass es schon heute zunehmende schwieriger wird, in Stellenmärkten passende Jobangebote zu finden, weil häufig für dieselbe Tätigkeit ganz verschiedene Bezeichnungen verwendet werden: “Nach was für einer Stelle suche ich, wenn ich im Marketingbereich etwas machen möchte, was verschiedene unterstützende Tätigkeiten beinhaltet? Kann sein, das es eine Marketingassistenz ist, kann sein eine Projektassistenz, möglich ist auch ein Junior Manager und, ja, genau, eine Chefsekretärin.” Richtig schwierig wird es laut Hoferts Recherchen aber erst bei hochqualifizierten Positionen, die Spezialwissen erfordern. Denn: “Die gleichen Tätigkeiten im Bereich Sustainability könnten unter “wissenschaftlicher Mitarbeiter”, “Manager Sustainability”, “Mitarbeiter Sustainability” und “Experte Sustainability” gefunden werden.”

Jobsuche als authentische Persönlichkeit: Offenheit als Marketingmethode und Innovationstreiber

Was also tun? Eine intelligente Suche, semantische Suche, wie es sie in Ansätzen bereits gibt, wird von manchen als Lösung gesehen. Allerdings ist das Grundproblem nicht die Technik, sondern die sich immer schneller verändernden fachlichen Anforderungen aufgrund der technischen Entwicklung: Die lässt nämlich neue Berufe entstehen, noch bevor es dafür schon eine Bezeichnung, geschweige denn eine Ausbildung gäbe. Damit müssen ganze andere Methoden der Jobsuche her, die mehr erfordern, als einfach nur Angebot und Nachfrage gegeneinander abzugleichen: Zum Beispiel die Bereitschaft, auch sein privaten Interessen öffentlich zu machen und daraus neue berufliche Interessen zu entwickeln.

Eine Methode, den sich die Programmiererin Regine Heidorn für ihre Jobsuche zunutze gemacht hat. Mittlerweile fünf Jahre ist die Berlinerin als @bitboutique bei Twitter aktiv. 75 Prozent ihrer Jobs findet sie hier im direkten Austausch. Ein wichtiger Bestandteil ihrer Acquisestrategie: Ehrlichkeit. “Wenn ich etwas nicht kann, sage ich das und empfehlen die Kunden an jemanden aus meinem Netzwerk weiter”, berichtet Heidorn, die in öffentlichen Diskussionen bei Twitter auch extreme Standpunkte nicht scheut. Ihre Kunden, sagt sie, schätzen genau das: “Viele sind froh, wenn ich Ihnen genau sage, welche Programmierleistungen sie brauchen – und welche nicht. Und sie vertrauen mir, gerade weil ich so kritisch bin und nicht alles über den grünen Klee lobe!”

Heidorn nutzt auch andere Soziale Netzwerke, etwa Xing – doch Twitter ist ihr Lieblingstool: “Bei Xing kann ich nur meine Kompetenzen in ein Profil packen, via Twitter kann ich auch Dinge wie meine Hobbys oder persönlichen Vorlieben kommunizieren – und das so kurz und prägnant, dass die Leute auch lesen, wenn sie wenig Zeit haben”, macht die Programmiererin den Unterschied deutlich. Genau in der Schnelligkeit liegt für sie der Unterschied: “In anderen Netzwerken oder auf Blogs müssen Kunden und Chefs in spe erstmal Zeit aufbringen, um mehr über mich zu erfahren. Auf Twitter, in nur 140 Zeichen, geht das ganz schnell – daher ist die Bereitschaft größer, sich darauf einzulassen.” Genau daraus ergeben sich aber dann oft ungeahnte Jobmöglichkeiten: Heidorn ist beispielsweise ein Fan des Geocachings, eine Art Schnitzeljagd mit mobilen Geräten. Daraus entwickelte sich die Idee einer mobilen Exkursion – und daraus ein Lehrauftrag an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Auf diese Weise schafft sich Heidorn Berufe, bevor diese überhaupt entstehen. Die Vermischung von Privatleben und Beruf wird quasi zum Innovationstreiber, wie Heidorn erklärt: “Eine Tätigkeitsbeschreibung, die ich in ein Xing-Profil oder auf meine Website schreibe, ist ja quasi schon ein alter Hut. Sozusagen Mainstream. Via Twitter im Dialog erfinden wir aber Dinge und Tätigkeiten, die bisher noch gar keine Bezeichnung haben – echtes Innovationspotenzial.”

Genau passend zu eigenen Identität: Wie bastle ich mir meinen Beruf?

Sich seinen Job im Dialog schaffen, nach den eigenen Interessen: Das mag idealistisch, unstrategisch und planlos klingen – und könnte doch das Erfolgsprinzip für die Berufswahl der Zukunft sein. Denn wie Dr. Miriam Meckle, Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, erklärt, kann nur durch den Zufall echte Innovation entstehen – ganz im Sinne der Evolutionstheorie:

“Verlassen wir uns zunehmend auf Algorithmen, dann beschränken wir uns auf ein theoretisch in seinen Dimensionen unbeschreibbar großes, aber dennoch immer deterministisches und damit endliches Set an Auswahlmöglichkeiten. Und weitergedacht bedeutet das: Alles, was es in der Zukunft geben kann, ist schon in der Vergangenheit angelegt. Denn die Elemente der Berechnung müssen alle schon vorhanden sein, damit sie funktioniert. Und selbst wenn ich Zufallsbits durch einen randomisierten Algorithmus einrechnen lasse, steht deren Zahl und Ausprägung fest. Sie verändert also die Art und Folge der Ergebnisse, aber nie so, dass die Ergebnisse an sich zufällig wären. Alle Zukunft ist damit immer Replikation und Rekombination des aus der Vergangenheit Bekannten. Wir bleiben unser eigener Status quo.”

Den eigenen Blickwinkel erweitern: Mensch aus der Schublade

Auf unser zukünftiges Berufsleben bezogen heißt das: Wenn wir weiterhin in Stellenanzeigen und Jobbörsen nur nach Jobs suchen, die es bereits gibt, mag das auf den ersten Blick vielleicht schneller und einfacher gehen. Auch Regine Heidorn gibt das zu:  “Auf einige Stellenausschreibungen bewerbe ich mich erst gar nicht, weil mir zum Beispiel ein abgeschlossenes Studium fehlt und sicher gibt es auch potenzielle Kunden, die lieber Zeugnisse sehen.”

Für viele ist diese deterministisches herangehensweise sicherlich das, was  zum Erfolg führt. Allerdings nur auf den ersten Blick. Denn wir verpassen dann auch die Chance, unseren Beruf, ja unser Leben selbst zu gestalten. Und zwar, so wie wir wollen. Oder wie Regine Heidorn es beschreibt: “Ich habe habe genau die Jobs und Kunden, die meinen Fähigkeiten entsprechen und die zu mir passen!”

Berufe neu zu erfinden und mit ihnen ein ganzes neues Gesellschaftssystem, darin sieht auch Gunter Dueck, Mathematik-Professor und Chief Technology Officer bei IBM Deutschland, die entscheidende Aufgabe für die digitale Zukunft. Nach seiner Prognose werden sehr viele Berufe Ihre Bedeutung verlieren, weil wir sie dank Internet selbst erledigen können – etwa Fahrkarten kaufen oder Informationen recherchieren. Was übrig bleibt, sind die schwierigen Beratungs- und Verwaltungsaufgaben, für die Deutschland mehr Fachkräfte braucht. Doch Wissen alleine ist dabei nicht das Entscheidende, wie Dueck erklärt: “Komplexe Aufgaben verlangen nicht nur Fachkönnen (das wird sogar zum guten Teil vom Internet geliefert), sondern soziale Gewandtheit, emotionale Intelligenz, Managementtalent, Verhandlungsgeschick, Selbstverantwortung, Unternehmergeist.”

Castingshow oder Talkrunde – wie funktioniert die Kommunikation?

In Zukunft kommt es für den Erfolg im Beruf also nicht mehr nur auf das reine Fachwissen an, sondern vor allem auf die Persönlichkeit. Und wie zeigt man die anders als durch Offenheit und Dialog – eine Methode, die Leute wie Regine Heidorn bereits erfolgreich anwenden? Vielleicht fallen daher in Zukunft dann auch die Unterschiede zwischen Business-Netzwerken und privaten Netwerken ganz weg, wie es der Hamburger Personalberater Alexander Fedossov beschreibt: “Bald wird man als Personaler, Netzwerker, Marketer usw. einfach keine anderen Netzwerke mehr brauchen. Punkt. Facebook wird neben der alltäglichen Kommunikation mit den Freunden ebenso gut für die direkte Personalsuche, Leadgenerierung und Netzwerken verwendet werden können. Und das wesentlich besser als Xing. Da Facebook heute schon eine wesentlich lebendigere und realistischere Abbildung einer Person bietet.”

Auch wenn dieses Allround-Netzwerk nicht der Zukunft nicht unbedingt Facebook heißen  muss, erkennt man an diesen Äußerungen: Auch Unternehmen und Personaler haben Social Media längst entdeckt, um Mitarbeiter zu finden oder ihre Produkte zu vermarkten – wenn auch nicht immer erfolgreich. Wer Soziale Medien nicht nur als Spaß-Spielwiese  sieht, sondern als professionelles Mittel der Informationsbeschaffung oder Selbstdarstellung nutzen will, sollte wissen, wie die Kommunikation in Sozialen Netzwerken abläuft. Denn die folgt eigenen Gesetzen.

“Social Media ist keine technische Angelegenheit. Facebook ist nicht Social Media,” schrieb Sachar Kriwoj, Leiter der Abteilung Digital Public-Affairs bei E-Plus Ende 2010 in einem wütenden Blogpost. Das mag für manche so klingen, als  habe er damit klar gemacht, das Obst nicht nur aus Äpfeln besteht. Dennoch trifft es genau den Kern des Problems: Viele Menschen denken bei Social-Media vor allem an Facebook, einfach weil es das einzige Netzwerk ist, das sie nutzen. Und viele verstehen Social-Media als ein probates Mittel der  Selbstdarstellung – vor allem in Unternehmen, die darin nur einen weiteren Marketing-Kanal sehen. Wie eine Castingshow eben: Ich präsentiere mich und sammle Fans. Dafür gibt unzählige Tools, Dienste und Netzwerke, in denen man vertreten sein sollte, täglich kommen neue hinzu. Nachdem heute jedes Unternehmen eine eigene Firmenwebsite hat und der Markt entsprechend bedient ist, haben findige Agenturen, selbsternannte Experten und Berater etwas Neues entdeckt, mit dem sie Geld verdienen können: Sie erzählen ihren Kunden einfach, dass man heute auch eine aufwändig gestaltete Facebook-Page, also eine Präsenz seines Unternhemens bei Facebook braucht, um erfolgreich zu sein.  Oder sie schwätzen ihren ahnungslosen Kunden Social-Media-Newsrooms auf, die 60.000 Euro kosten.

Kommunikation und Hilfsbereitschaft: Von Mensch zu Mensch

Wofür dann aber die Manpower und das Geld fehlen, ist das, worauf es bei Social-Media wirklich ankommt: Die Kommunikation. Die wird in vielen Unternehmen und sogar Social-Media-Agenturen so nebenbei von Praktikanten erledigt. Dabei wäre es Chefsache. Doch diese Geisteshaltung fehlt vielen selbsternannten Experten, wie Sachar Kriwoi so treffend beklagt: “Social Media – das ist für mich eine angenehme, authentische, unverkrampfte, direkte, schnelle, zuvorkommende, dialogische und menschliche Art der Kommunikation. Ob sie auf facebook, bei twitter, in Blogs oder Foren, vielleicht sogar analog im Café stattfindet, ist unerheblich. Wichtig ist, dass man zuhört, Bedürfnisse erkennt, Bedürfnisse befriedigt, das Unternehmen, für das man arbeitet, ordentlich vertritt, einen wesentlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leistet, indem man hilft, fragt, antwortet und überzeugt.”

Austausch von Informationen und gegenseitige Hilfsbereitschaft – auch wenn man mit Sicherheit darüber streiten kann, ob Kriwois Arbeitgeber E-Plus tatsächlich so im Netz agiert, ist dieses Bild doch ausgesprochen passend. Denn die Frage sollte nicht lauten, was andere für einen selbst tun können – sondern was man selbst für andere tun kann. Oder Henry Ford so schön lange vor Social Media sagte: “Das Geheimnis des Erfolges ist, den Standpunkt des anderen zu verstehen”. Das ist weit weg von der Casting-Show-Philosophie: Denn tatsächlich ist Social Media eher eine Talkrunde, ein großer Stammtisch – oder ein Marktplatz, auf dem sich Menschen unterhalten, auf dem verkauft und gehandelt wird.  Soziale Netzwerke erfüllen damit ein Grundbedürfnis menschlicher Kommunikation – eines, dass uns heute leider ein wenig abhanden gekommen ist. Nicht umsonst fühle ich mich in sozialen Netzwerken oft, als würde ich Leute zufällig auf der Straße wiedertreffen – Spontaner und ungeplanter, als das per eMail oder Telefon möglich wäre. Aber eben auch möglich, wenn der eigene Freundeskreis nicht mehr in der selben Stadt wohnt, sondern sich im Zuge beruflicher Mobilität über den halben Erdball verteilt hat.