In vielen deutschen Unternehmen herrscht nach wie vor eine Präsentismuskultur, doch die Zusammenarbeit in virtuellen Teams ist auf dem Vormarsch und Unternehmen wie Google, Facebook oder Shutterstock machen es längst erfolgreich vor. Wie geht das Führen auf Distanz?

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Virtuell Managen: Dezentrale Teams führen

Für große wie kleine Unternehmen, gerade in der IT-Branche, wird das Führen von dezentralen Teams immer wichtiger: Nicht selten sitzen die Mitarbeiter eines Projektes hunderte von Kilometern auseinander oder sogar auf verschiedenen Kontinenten. Eine Studie der Unternehmensberatung RW3 CultureWizard unter 30.000 Angestellten zeigt, dass digitales Arbeiten über Standorte und Ländergrenzen hinweg bereits zum Alltag gehört. 87% des Managements und 50% der Mitarbeiter multinationaler Konzerne verrichten ihre Arbeit zumindest teilweise virtuell.

Doch virtuelle Zusammenarbeit stellt Mitarbeiter wie Management gleichermaßen vor Herausforderungen, wie die RW3-Studie auch zeigt: 75 Prozent der Befragten gaben an, dass es schwierig ist, Vertrauen in virtuellen Teams zu entwickeln. 79 Prozent beklagten zu wenig Zeit für den Beziehungsaufbau und 71 Prozent zu wenig Anteilnahme. Bei 33 Prozent lebte die Hälfte der Teammitglieder nicht im eigenen Land, so dass unterschiedliche Zeitzonen die Kommunikation erschweren. Und 70 Prozent stören sich an kulturellen Unterschieden im Konfliktmanagement, zumal 41 Prozent ihre virtuellen Kollegen nie persönlich getroffen haben.

Schwierigkeiten den Überblick zu behalten

Diese Schwierigkeiten betreffen offenbar selbst IT-Unternehmen: Während Unternehmen wie Microsoft oder Coca Cola ihren Mitarbeitern mittlerweile die Wahl lassen, wann und wo sie arbeiten wollen und dies pr-trächtig kommunizieren, tat Yahoo im März 2013 das genaue Gegenteil: Unter der Führung von Marissa Mayer schaffte der US-Konzern Homeoffice und Telearbeit vollständig ab. Die Folgen dieser Maßnahme bezeichnet Steffen Hopf, Managing Director von Yahoo Deutschland als durchweg positiv: “Besonders die Teamarbeit profitiert davon: Entscheidungen können so schneller getroffen werden, die Qualität der Arbeit wird gesteigert.”

Und auch bei Coca Cola sind die Mitarbeiter längst nicht so frei, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. So stellt die Personaldirektorin von Coca-Cola Deutschland, Nadine Ziese, fest: “Nicht für jeden ist die Arbeit von zu Hause das Richtige: Zur Arbeit in einem Unternehmen gehört zum Beispiel auch der persönliche Austausch untereinander. Man muss von Fall zu Fall entscheiden, ob eine Aufgabe zu Hause erledigt werden kann oder ob Absprachen die Anwesenheit im Büro erfordern.” Eine von von CHRIS an der Universität Bamberg zusammen mit der Stellenbörse Monster herausgegebene Studie bestätigt das: Von 7.040 Teilnehmenden haben 43,8 Prozent der Befragten im Homeoffice weniger soziale Kontakte zu Kollegen und laufen dadurch Gefahr, von der informellen Kommunikation abgeschnitten zu werden. Und 24,3 Prozent befürchten gar verringerte Karrierechancen. Funktioniert also digitale Zusammenarbeit am Ende gar nicht?

Onboarding: Technik ist nicht alles

Die Antwort ist Jein: Digitale Zusammenarbeit kann funktionieren, wenn das Management stimmt. Zum Beispiel müssen Führungskräfte im ersten Schritt genau solche Bedenken zerstreuen, wenn sie virtuelle Teams zu einer konstruktiven Zusammenarbeit anleiten wollen. Keine leicht Aufgabe, um so mehr, weil sie oft einem folgenschweren Irrtum aufsitzen, wie Unternehmensberaterin und Executive Coach Roswitha A. van der Markt, zu deren Kunden u.a. HP oder SAP zählen, erklärt: “Manager meinen oft, mit der Einführung und dem Training neuer Technik sei alles getan. Aber damit haben sie gerade erst die Grundlage digitaler Zusammenarbeit geschaffen.”

Denn virtuelle Zusammenarbeit bedeutet nicht einfach nur, bestehend Arbeitsabläufe ins Digitale zu übertragen; vielmehr ermöglicht die Technik völlig neue Formen der Kollaboration, wie die Beraterin Dr. Anja C. Wagner, Mitbegründerin der Social Learning Plattform UnuniTV, festsstellt: “Bei Projekten arbeiten wir regelmäßig mit in Videokonferenzen. Die Teilnehmer können den Dialog in einem Etherpad-Dokument mit protokollieren – auch alle gemeinsam und in Echtzeit.” Daraus ergeben sich mehrere Vorurteile: Jeder weiß, was der andere beigetragen hat. Und es spart Zeit, weil man nicht auf die Bearbeitung anderer warten muss oder nicht genau weiß, welche Version eines Dokuments jetzt die neueste ist. Damit die digitale Zusammenarbeit reibungslos funktioniert, sind allerdings klare Regeln und gemeinsame Ziele nötig: “Durch digitale Kollaboration kann Großartiges entstehen – Stichwort kollektive Intelligenz. Aber es braucht Vertrauen, dann sind virtuelle Teams kreativer”, ist Wagner überzeugt.

Das Management muss viel Zeit investieren

Gerade beim Einstieg in die virtuelle Zusammenarbeit sollte das Management daher viel Zeit investieren: Nicht einfach nur die Nutzung der Tools erklären, sondern allen Teammitgliedern auch langfristig Orientierung und Unterstützung bieten. Insbesondere müssen alle darüber informiert werden, wie Wissen, Unterlagen und Ergebnisse in Knowledge- und Projekt-Datenbanken hinterlegt werden und wie Kommunikation gepflegt wird.

Das bedeutet, genaue Regeln aufzustellen, welches Wording und welche Reaktionszeiten üblich sind und auch, wie bei Konflikten miteinander kommuniziert wird. Daneben hilft es, Mentoren aus Führung und Kollegen zu benennen, die für Fragen zur Verfügung stehen.

Vom Mitarbeiter zum Team

Denn damit die virtuelle Zusammenarbeit klappt, muss vor allem eines gegeben sein: Mitarbeiter müssen sich als Team begreifen. Denn wenn nicht alle an einem Strang ziehen, wird jedes Projekt scheitern. Die Zusammensetzung des Teams sowie die Charakterzüge und Fähigkeiten seiner einzelnen Mitglieder spielen allerdings nur eine untergeordnete Rolle, wie eine Untersuchung von Google ergab. Zwei Jahre lang hat der Suchmaschinenriese mehr als 200 seiner Mitarbeiter befragt und über 180 Teams analysiert. Erfolg hängt demnach davon ab, wie die Mitarbeiter miteinander interagieren, ihre Arbeit strukturieren und wie jedes Teammitglied seinen persönlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg wahrnimmt.

Ein entscheidender Faktor dabei die psychologische Sicherheit: Mitarbeiter müssen sich trauen, Fragen zu stellen, Fehler zuzugeben und auch Kritik zu äußern, ohne ständig Angst zu haben, anzuecken oder sich lächerlich zu machen. Denn nur dann können Schwierigkeiten rechtzeitig erkannt und ausgemerzt werden; und mehr noch: Auch innovative Ideen entstehen eher, wenn nicht alle Teammitglieder meinungskonform sind. Mitarbeiter, die in Teams mit hoher psychologischer Sicherheit agieren, gelten nach der Google-Untersuchung sogar als motivierter und wechseln seltener das Unternehmen.

Es geht um Vertrauen

LinkedIn Mitbegründer Konstantin Guericke, mittlerweile Berater für den Berliner Venture-Capital-Unternehmen Earlybird, hat schon seit Jahren seine ganz spezielle Methode, um Vertrauen aufzubauen: Gemeinsames Wandern. “Ich glaube, wenn man spezielle Erfahrungen teilt wie gemeinsames Wandern oder Essen teilt, dann schweißt das schon zusammen”, erklärt Guericke und zeigt damit, wie wichtig persönliche Nähe und Vertrauen für die Ausbildung eines Gemeinschaftsgefühls sind:

Jeder im Team muss das Gefühl haben, sich auf alle anderen verlassen zu können. Ziele, Abläufe und auch die eigene Rolle müssen genau bekannt sein. Und das gemeinsame Projekt muss jedem Teammitglied persönlich wichtig sein, ja mehr noch, jeder einzelne muss überzeugt sein, dass seine Arbeit etwas bewirkt und zum Unternehmenserfolg beiträgt.

Was virtuelle Führungskräfte leisten müssen

Die Schwierigkeiten ein “normales” Team zusammenzuarbeiten, multiplizieren sich bei virtuellen Teams noch: Denn virtuelles Führen heißt, bei hoher Dynamik den Überblick zu wahren und mit einer großen Vielfalt an Denk- und Arbeitsstilen sowie Entscheidungsfindungen umzugehen. Gerade weil die einzelnen Teammitglieder sich selten persönlich treffen, ist es schwieriger für sie, über die Distanz Vertrauen aufzubauen, gleichzeitig erhöht sich die Gefahr kommunikativer Missverständnisse – jeder, der schon einmal via eMail einen Konflikt ausgetragen hat, kennt das Problem. Ausgerechnet der Estland-Chef des Video-Kommunikationsdienstes Skype bestätigt das: Zwar hält auch er regelmäßig Konferenzen und Bewerbungsgespräche mit Skype ab, in der täglichen Arbeit verzichtet Andrus Järg aber sogar auf ein eigenes Büro. Grund: Er bevorzugt den ständigen kommunikativen Austausch mit seinem Team im Großraumbüro, um kreativ arbeiten zu können.

Hier sind also Führungskräfte gefragt, Leistungsansprüche, Wachstumsmöglichkeiten und Erwartungen genau zu kommunizieren. Das gilt auch für die Strategie und Ziele: Jeder Mitarbeiter muss an den Sinn seiner Arbeit glauben und wissen, auf welches Ergebnis er hinarbeitet. Er braucht dabei regelmäßige Erfolge und muss die gemeinsamen Werte kennen und teilen. Genau dafür muss das Management die Rahmenbedingungen schaffen, in dem es klare Abläufe und Strukturen vorgibt und so Sicherheit schafft. Gleichzeitig muss ein virtueller Chef aber auch unterschiedliche Arbeitsstile akzeptieren oder Ziele auch mal flexibel veränderten Gegegebenheiten anpassen.

Holokratisches Management hilft

Hilfreich hierbei sind holokratische Management-Methoden, die keine universell-perfekten Lösungen versprechen, sondern immer die jeweils zu diesem Zeitpunkt passende Handlungsalternative suchen, die etwas ändert, aber nicht schädlich ist. Wie bei einer Fahrradtour, die man zwar grob plant, bei man sich unterwegs immer wieder an den Gegebenheiten der Strecke ausrichtet. Ziel ist, mit einer neuen Idee weiterarbeiten zu können. Jede Entscheidung kann jederzeit durch eine bessere ersetzt werden. Das ermöglicht schnelle Reaktionen, nimmt den Druck und verringert die Angst vor Fehlern. Und weil alle Mitarbeiter jederzeit Ideen einbringen können, fühlen sie sich mitverantwortlich.

Doch nicht nur in der Organisation, sondern auch in der Kommunikation müssen die Rahmenbedingungen stimmen: Bei Meetings etwa sollten Führungskräfte Kommunikationskanäle wählen, die für alle problemlos zu handhaben sind,, genau Ziele und einen fest definierten Zeitraum für das Meeting festlegen und vorab sicherstellen, dass die Technik auch funktioniert. Eine besondere Herausforderung sind dabei Meetings mit Teilnehmern, deren Standorte sich über mehrere Zeitzonen verteilen – eine Aufgabe, die die Sales-Direktorin von Google Irland, Fionnuala Meehan, quasi täglich bewältigt:

Führen wie bei Google

“Wenn ich um 8 Uhr ins Büro komme, habe ich meist Meetings mit den Kollegen von Google in Indien, denn das ist dort Mittagszeit und deshalb ein guter Zeitpunkt dafür. Die Meetings mit den Kollegen aus den USA finden hingegen nachmittags statt.” Das ideale Tool für solche Meetings ist nach Meehans Auffassung Google-Docs: “Da ich mit Leuten aus Asien, London, Hamburg und den USA zusammenarbeite, können wir die vielen unterschiedlichen Ansichten und Meinungen hier perfekt sammeln und diskutieren.”

Wie wichtig die richtigen Kommunikations-Mittel sind, zeigt auch die virtuelle Feedback-Kultur: Kritik, die nur schriftlich oder telefonisch geäußert wird, wird schnell falsch verstanden und kann verletzen. Wichtig ist daher eine positive Fehlerkultur. “Gerade für Feedback-Gespräche sollte das Management daher visuelle Kollaborations-Tools wie Skype wählen, in denen nicht nur Inhalte, sondern auch Mimik und Gestik die jeweilige Stimmungslage vermittelt werden können”, erklärt Beraterin Roswitha A. van der Markt. Die Ergebnisse aus solchen Feedback-Gesprächen sollten für jeden jederzeit zugänglich in Knowledge-Datenbanken hinterlegt werden, in denen Wissen jederzeit und für jedermann verfügbar ist. Auch Chat-Foren, Wikis und digitale Boards helfen allen Team-Mitgliedern dabei, sich immer und überall über den Projekt-Status und die Ergebnisse zu informieren.

Das Team zusammenhalten

Wenn es darum geht, Teams zusammenzuhalten, muss aber auch die informelle Kommunikation, der Flurfunk, berücksichtigt werden. Klingt schwierig, weil digitale Kommunikation in der Regel zweckgebunden ist und wenig Raum für zufällige Begegnungen lässt. Doch auch hier kann Abhilfe geschaffen werden, etwa durch die virtuelle Kaffeebar oder den virtuellen Lunch, regelmäßige virtuelle Treffen und auch persönliche Meetings, bei denen das ganze Team zusammenkommt.

Bei der amerikanischen Foto-Agentur Shutterstock beispielsweise arbeiten meist kleine Teams über große Entfernungen und in verschiedenen Zeitzonen gemeinsam an Projekten. Zum Einsatz kommen dabei eMail, Skype und Google-Hangout sowie cloudbasierte Collaboration-Tools wie Google Drive. Doch es wird auch die normale Büro-Situation samt Flurfunk simuliert. CEO Jon Oringer erklärt: “Viele unserer Produktentwickler an unterschiedlichen Standorten reden während der Arbeit ständig über iPads miteinander.” Für Nähe und gemeinsame Erfolgserlebnisse sorgt auch der 24-Stunden-Hackathon, an dem das gesamte Team einmal pro Jahr teilnimmt: “Hieraus sind im Laufe der Jahre viele Innovationen entstanden” so der CEO.

So gelingt virtuelles Management

Die Vielzahl positiver Beispiele zeigt: Virtuelles Management kann gelingen, die Technik ist aber nur der erste Schritt. Die besondere Herausforderung besteht vielmehr darin, das Team trotz räumlicher Trennung virtuell zusammenzuschweißen und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen. Eine Aufgabe, mit der sich im Zuge zunehmender globaler Vernetzung immer mehr Unternehmen beschäftigen müssen.