Juergen Schwarz

Jürgen Schwarz ist Betriebsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung der Kissel + Wolf GmbH in Wiesloch bei Heidelberg. Im Interview berichtet er vom Fachkräftemangel in seinem Unternehmen, von Vorstellungs–Gesprächen zu Testzwecken, wie die falsche eMail-Adresse Karrieren zerstören kann – und warum bei Bachelor viele Arbeitgeber nicht an einen akademischen Abschluss denken.
Jürgen Schwarz ist nach eigenen Angaben das klassische Beispiel für eine schlechte Schulbildung: Nach dem Hauptschulabschluss absolvierte er zunächst eine Ausbildung zum Chemikanten und arbeitete in diversen Unternehmen, später wurde er Industriemeister Chemie und schließlich technischer Betriebswirt. Außerdem hat er diverse Weiterbildungen mit Schwerpunkt Arbeitssicherheit und Umweltschutz absolviert und ist u.a. Umwelt- und Ökoauditor. Seit 1992 ist er schließlich Dozent für diverse Industriemeister, Betriebs- und Fachwirtlehrgänge bei versch. Maßnahmenträgern, seit 1995 sitzt er bei der IHK im Prüfungsausschuss für den Industriemeister Chemie.

In Deutschland wird ja zur Zeit sehr heftig diskutiert, ob wir Fachkräftemangel haben oder nicht. Was sagen Sie dazu?

Wir sind ein mittelständisches Chemie-Unternehmen mit 85 Mitarbeitern hier in Wiesloch – und können nicht alle Stellen optimal besetzen. Vor allem suchen wir händeringend Chemiekanten oder Chemiefacharbeiter, wie sie früher hießen.

Wenn man Herrn Dr. Brenke vom DIW folgt, gibt es außer in einigen wenigen Bereichen keinen Fachkräftemangel…

Da muss man stark nach Region und Branche differenzieren. In Baden Württemberg ist beispielsweise die Metallindustrie sehr stark, daher gibt es auch viele Metallfacharbeiter. Bei einem großen Konzern in Stuttgart stehen viele Meister und natürlich alle Facharbeiter am Fließband.

Chemiefacharbeiter hingegen gibt es weniger. Noch dazu werden sie oft schnell zum Team– oder Abteilungsleiter befördert, arbeiten in der Verwaltung – und fehlen dann auf den Stellen, für die sie eigentlich eingestellt wurden.

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Wenn Ihnen Arbeitskräfte fehlen: Wie viele Nachwuchskräfte bilden Sie zur Zeit aus?

Momentan keine

Warum bilden Sie nicht mehr Leute aus?

Wir haben z.B. den Anspruch, jedem Azubi hinterher auch eine Stelle anbieten zu wollen. Und das können wir nicht jedes Jahr gewährleisten.

Außerdem können wir nicht jeden Bereich einer Ausbildung abdecken, weswegen wir eine Ausbildung nur im Verbund mit der BASF anbieten können. Der Aufwand dafür ist einfach riesig und wir müssen ihn nebenher leisten.

Wo sind die Aussichten denn besser – in kleinen und mittelständischen Betrieben oder in großen Konzernen?

Das kommt darauf, was man will: In kleineren Unternehmen geht es familiärer zu, man muss die unterschiedlichsten Aufgaben erfüllen, dafür hat man aber auch mehr Abwechslung – und mehr Karrierechancen.

Andererseits ist die Fluktuation in kleineren Betrieben geringer, Führungskräfte sitzen häufig jahrzehntelang auf einer Stelle, das kann den Aufstieg erschweren. Und natürlich ist es eine Frage der Bezahlung.

Zahlen Sie so wenig?

Wir zahlen wie die Großchemie, nur haben die Mitarbeiter oft das Gefühl, daß die Nebenleistungen und die Sicherheit im Großbetrieb besser sind. Wenn die großen Werke dann allerdings geschlossen werden, erweist sich das gelegentlich als Irrweg.

Leider möchten aber viele Bewerber, die von einem Großunternehmen (z.B. aus der Metallindustrie) kommen, bei uns zu den gleichen Konditionen eingestellt werden. Das ist oft nicht möglich, zum Beispiel weil man bei uns keine drei Schichten arbeiten kann. Mit so etwas machen sich Bewerber Ihren Arbeitsmarkt aber leider selbst kaputt.

Wie das?

Nun, ich denke da an Fälle, die jahrelang bei einem Großunternehmen gearbeitet haben, das nun insolvent ist. Da werden dann halbherzig ein paar Bewerbungen geschrieben, man bezieht ja Arbeitslosengeld, und Forderungen gestellt, bei denen Anspruch und Wirklichkeit deutlich auseinanderklaffen.

Nach zwei Jahren sind die Leute dann plötzlich kompromissbereit, aber dann klappt es nicht mehr mit dem Job. Da habe ich schon einige dramatisch auf die Nase fallen sehen. Ein anderes Thema sind natürlich die Bewerbungen.

Können Sie dazu mehr erzählen?

Für das Berufliche Trainingszentrum Rhein-Neckar hier in Wiesloch führen wir zum Beispiel Testbewerbungen für Weiterbildung-Absolventen durch, die Probleme bei der Bewerbung hatten.

Die Leute wissen natürlich, dass es nur zum Schein ist. Sie bewerben sich bei uns, als wäre es regulär, wir führen ein ganz normales Vorstellungsgespräch und hinterher geben wir den Bewerbern ein Feedback.

Warum sind solche Test-Vorstellungsgespräche überhaupt notwendig?

Weil die Bewerber sonst gar keine Ahnung haben, warum sie immer wieder abgelehnt werden. Es gibt ihnen ja niemand ehrliches Feedback. Schuld trägt das Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, der verzweifelte Versuch, Anstand in Recht zu pressen.

Das Gesetz verbietet es, Bewerbern Feedback zu geben?

Nein, es traut sich aber aufgrund des Gesetzes niemand zu sagen, warum ein Bewerber wirklich abgelehnt wurde. Viele Arbeitgber haben ja schon bestimmte Vorstellungen, wie sie die Stelle besetzen würden – zum Beispiel auch beim Geschlecht. Nur sagen darf man das nicht, sonst muss man gleich eine Klage befürchten.

Dazu kommt noch, dass uns im Mittelstand natürlich die Zeit fehlt, uns gründlich mit allen gesetzlichen Neuregelungen auseinanderzusetzen: Anders als der professionelle Personaler im Konzern erledigen wir die Personalarbeit ja so nebenher.

Was erleben Sie bei Ihren Testbewerbungen so?

Zum Beispiel Bewerber, denen es nicht an Kompetenzen mangelt, sondern am Auftreten. Kürzlich etwa eine Grafikerin, der bei der Wahl der Kleidung schlicht das Gefühl dafür fehlte, welche Kleidung bei ihrem etws fülligeren Gewicht passend war.

Und die die Mappe mit ihren Arbeiten erst nach einer halben Stunde Gespräch auf Nachfrage von mir aus der Tasche zog. Was schade war, denn die Arbeiten waren super. Damit muss man doch gleich rausrücken!

Ist die Kleidung bei solchen Fähigkeiten nicht eher Nebensache

?
Von mir aus könnte die Frau auch im Unternehmen so herumlaufen. Nur beim Vorstellungsgespräch muss doch eine gewisse Form gewahrt werden. Wir hätten sie aber tatsächlich gerne eingestellt, konnten ihr aber nicht die gesuchte Vollzeit-Stelle bieten.

Was wären für Sie absolute No-Go’s bei der Bewerbung?

Naja, wo ich bei solchen Tests immer nachfrage: Lücken im Lebenslauf. Wenn Leute 10 Jahre irgendetwas ganz anderes gemacht haben, dann sind sie völlig raus aus dem Job.

Frauenfeindlichkeit wäre ein Problem – man muss ja auch mal mit den Kolleginnen sprechen. Aber auch zu zart besaitete Naturen wären bei uns falsch, es ist ja schließlich ein Industriebetrieb und da herrscht nunmal unter den Kollegen ein gewisser Umgangston.

Ein drittes Problem schließlich sind rassistische Äußerungen: Wenn ich nach einem Testbewerber im Internet suche und entsprechendes feststelle, wäre das ein KO-Kriterium. Schließlich sind wir ein international tätiges Unternehmen mit Werk z.B. in den USA – das würde gar nicht funktionieren.

Sie googeln also die Testbewerber – was finden Sie denn da so?

Richtig, ich google. Ich will ja schließlich wissen, was das für ein Mensch ist und ob er in den Betrieb passen würde. Oft finde ich Positives, beispielsweise ehrenamtliches Engagement oder langjährige Vorstandsarbeit in einem Verein, die darauf hindeuten, dass dieser Mensch gut organisieren und auch ein Team leiten kann. Viele Menschen schreiben so etwas tatsächlich gar nicht in ihren Lebenslauf, weil sie Angst haben, wir denken, sie hätten zu viel Freizeit.

Was mich allerdings erschreckt, sind die eMail-Adressen, mit denen die Bewerbungen ankommen. Und Adressen wie hoppelhase@… oder darkshadow@… google ich natürlich erstrecht – Sie wollen gar nicht wissen, was man da so findet.

Man sollte eigentlich annehmen, dass eine vernünftige eMail-Adresse zu den Basics gehört…

Ja, sollte man, aber tatsächlich ist das bei vielen Testbewerbungen der erste Fehler, der praktisch sofort ins Auge sticht. Andere schicken ihre Bewerbung unter einem ganz anderen Namen als er auf der Bewerbung steht, weil sie selbst keinen Computer haben. Das irritiert natürlich.

Wieder andere geben weder eMail-Adresse noch Telefonnummer an, obwohl das heutzutage die Standard-Kontaktdaten sind. Es ist erschreckend, wie viel bei so relativ einfachen Dingen falsch gemacht wird. Da gibt es offenbar auch noch große Unterschiede zwischen Akademikern und Nicht-Akademikern.

Apropos Akademiker: Stellen Sie auch die ein, z.B. Ingenieure?

Wir suchen derzeit keine Ingenieure. Überhaupt haben gerade kleine und mittelständische Betriebe mit den neuen Abschlüssen so ihre Probleme. Der Diplom-Ingenieur kennt man aus der persönlichen Erfahrung, man hatte ja oft mit Ingenieuren zu tun.

Aber den Bachelor verbinden viele eher mit dieser etwas merkwürdigen TV-Sendung. Da muss sich noch einiges tun, damit sich auch dieser Abschluss etabliert, das Verständnis dafür ist noch nicht in allen Betrieben da.

Auch da gibt es natürlich Unterschiede zwischen KMU und Großkonzern: Letzere sind einfach besser informiert, auch was Studiengänge angeht. Überdies liegt aber doch gerade im Bildungssystem einige im Argen.

Warum?

Das deutsche Bildungssystem funktioniert doch ehr schlecht: Geld und Herkunft entscheiden noch noch immer über Karriere- und Aufstiegsschancen.

Das sage ich ganz bewusst auch aus eigener Erfahrung als Hauptschüler, der einen langen und steinigen Weg zum Erfolg hinter sich hat. Hier müsste dringend mehr gefördert werden.

Welche Tipps haben Sie an Bewerber?

Sich nicht unterkriegen lassen. Auch wenn die Startbedingungen schlecht waren, kann man dennoch etwas erreichen.

Man muss jedoch immer am Ball beleiben: Wer nur seinen Job macht und nicht noch nebenher aktiv wird, wird auf der Stelle treten.


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