Der Tourismus ist bekanntlich eine Branche, die von Freizeitaktivitäten lebt. Crowdsourcing ist eine freiwillige Leistung, die auch in der Freizeit stattfindet. Wie also lässt sich Crowdsourcing im Tourismus-Marketing einsetzen?

Best of HR – Berufebilder.de®

Crowdsourcing als Marketing-Gag

Kein Wunder, dass es bereits einige interessante Ansätze und Ideen gibt für den deutschsprachigen Raum, passt doch beides hervorragend zusammen. Dabei reicht das Spektrum von gemeinschaftlich entwickelten Marketing- und Produktideen über das Sammeln von Reise- und Geodaten sowie den Einsatz von Location Based Services bis hin zu interaktiven Echtzeit-Reiseberichten.

2011 machte die Namenssuche für den neuen Tunnel der Ortsumgehung B 29 in Schwäbisch-Gmünd bundesweit von sich reden. Denn die Bürger der Stadt wurden aufgerufen, Namen für den Tunnel einzureichen und hinterher im Internet unter den Vorschlägen abzustimmen. Die Stadtverwaltung sortierte dabei nur pornografische und strafrechtlich bedenkliche Vorschläge aus und stellte alle anderen zur Wahl. „Bud-Spencer-Tunnel“ hieß am Ende der Sieger aus dem Netz mit einigen 10.000 Stimmen, die nicht nur aus der Stadt, sondern aus dem ganzen Bundesgebiet stammten. Am Ende entschied der Gemeinderat jedoch gegen das Votum aus dem Netz. Kleines Trostpflaster: Ein Freibad wurde nach dem Italo-Western-Helden benannt.

Crowdsourcing bei Geo- und Reisedatenprojekten

Solche Namenssuchen sind nicht neu, allerdings erreichen nur wenige eine solche mediale Aufmerksamkeit: 2010 etwa baute das Wellnesshotel Quellenhof im Passeiertal (Südtirol) für sein Alpenschlössel eine neue Wellnessanlage, für die auf dem Hotelblog ein Name per Abstimmung gesucht wurde. Die Aktion selber wurde zusätzlich noch mit einem eigenen Newsletter an die Stammgäste, sowie über Soziale Netzwerke (Facebook, Twitter) promotet. Am Ende entschied sich eine Mehrheit von 70 Gästen ganz brav für „Schlössel-Spa“.

Weit sinnvoller als nur zur Namenssuche lässt sich Crowdsourcing zur tatsächlichen Informationsvermittlung einsetzen. Zum Beispiel bei der Sammlung von Geo- und Reisedaten. Die Studie „Crowdsourcing bei Geo- und Reisedatenprojekten – was macht OpenStreetMap, Waze & Co. erfolgreich?“ der Salzburg Research Forschungsgesellschaft hat verschiedene dieser Projekte gesammelt und ausgewertet. Hintergrund für die Studie ist das Forschungsprojekt „OpenTravelTimeMap”, das sich zum Ziel gesetzt hatte, Konzepte und Technologien für eine weltweite, freie Reisezeitenkarte nach dem Wiki-Prinzip zu erforschen.

Karten per Crowdsourcing

Die wohl bekannteste Geodatensammlung ist OpenStreetMap, 2004 in Großbritannien gegründet und mittlerweile vor allem über die Universitäten in der ganzen Welt verbreitet. Aktuell sind ca. 500.000 Personen registriert (Stand November 2011). Ziel des Projektes ist, freie geographische Daten über Straßen, Flüsse, Wälder usw. zu erfassen. Diese Daten stehen allen Nutzern lizenzkostenfrei zur Verfügung, die dann daraus etwa Straßen-, Wander- oder Fahrradkarten, Routenplaner oder andere wissenswerte Informationen erstellen. Die Geodaten werden von Freiwilligen mit Hilfe von GPS-Empfängern erfasst und mit einer Software am heimischen PC in die Datenbank eingepflegt – das sogenannte Mapping, ist jedoch technisch relativ kompliziert. Finanziert wird das Projekt über Spenden.

Einen ganz anderen Ansatz hat hingegen TomTom, ein kommerzieller Hersteller von persönlichen Navigationsgeräten. Zur Verbesserung und ständigen Aktualisierung von Verkehrsdaten werden die Daten der Gerätebesitzer/innen ausgewertet und allen Kundinnen und Kunden zur Verfügung gestellt. Mit Map ShareTM werden vorhandene Karten korrigiert, aktualisiert und personalisiert . Mit IQ RoutesTM wird die Routenberechnung der Navigation auf Basis real gefahrener Geschwindigkeiten präzesiert. HD TrafficTM ist ein Verkehrsservice, der Echtzeitverkehrsmeldungen über Störungen meldet und Alternativrouten anbietet. Dabei stehen die (teilweise anonymisierten) Daten von mehreren Millionen Nutzern zur Verfügung.

Reisedaten gemeinschaftlich auswerten

Es gibt weitere Crowdsourcing-Projekte, die Reisedaten auswerten: Bei Ö3ver des ORF melden „authorisierte Verkehrsmelder“ mit ihrer Ö3ver Nummer Staumeldungen an die Verkehrsredaktion, die die entsprechenden Meldungen dann im Radio verliest. Der ADAC bietet eine Stauscanner-App fürs iPhone an, mit der man anonym seine Position und eine Staumeldung an den ADAC versenden kann. Mitgesendet werden auch GPS-Daten, die dann die Bewegung des Autos und die Auflösung des Staus erkennen. Bei Facebook hingegen organisieren sich Gruppen, die Schwarzfahrer vor Fahrkartenkontrollen warnen.

Das Sammeln ortsbezogener Daten ist ein Aspekt, der bei der Auswertung von Geodaten bereits angeklungen ist, jedoch noch viel direkter für das Tourismus-Marketing genutzt werden kann: Nämlich dann, wenn man die Daten auf mobilen Geräten mit dem jeweiligen Standort des Users verknüpft und die dazu passenden Reiseinformationen direkt ausliefert. Der Fachbegriff dafür lautet Location Based Services.

Crowdsourcing und Location Based Services

Einer der bekanntesten Services, auch durch die zeitweise bestehende Verbindung mit Google Maps, ist das 2005 in Hamburg gegründete Qype. Seit Sommer 2006 war es zunächst nur für deutsche Städte, später auch auf englisch, französisch, spanisch, portugiesisch, italienisch und polnisch verfügbar. Ähnlich wie beim 2004 gegründeten amerikanischen Vorläufer yelp.com bewerten registrierte Mitglieder Orte wie Restaurants, Hotels, Sehenswürdigkeiten, Diskotheken oder auch Fitnessstudios und Schwimmbäder. Die Einträge enthalten Adresse, Öffnungszeiten, Telefonnummer, Link zur Website, die Position wird bei Google-Maps angezeigt.

Die User können persönliche Bewertungen und Empfehlungen mit Textkommentar und mit bis zu fünf Sternen abgeben. Bis Sommer 2011 wurden die Bewertungen bei der Suche von Google in den lokalen Suchergebnissen und bei Google Maps angezeigt und so hervorgehoben. Google nutzt mittlerweile sein eigenes Angebot Google Places. Doch die mobile, ortsbezogene Nutzung ermöglicht es nicht nur, Orte zu bewerten, sondern auch, sich an einem realen Standort „einzuchecken“ und so Freunden oder anderen Nutzern mitzuteilen, wo man sich gerade befindet. Dabei wird man über das GPS-System geortet. Ein Empfehlungssystem in Echtzeit sozusagen. Bekanntestes Beispiel hierfür ist das Soziale Netzwerk Foursquare, wo die User für jeden Check-in Punkte erhalten und gelegentlich Abzeichen (Badges). Benutzer können außerdem öffentliche Tipps über Standorte mit anderen Benutzern austauschen. Deutsche Gründungen mit ähnlichen Funktionen sind Friendticker aus Berlin oder Dailyplaces aus Frankfurt. Aber auch Facebook, Yelp, Gowalla, Quype und Google ermöglichen Ortsempfehlungen via Check-In.

Crowdsourcing und interaktive Reiseberichte

Beim Bewerten und Empfehlen bleibt es indes nicht: Mittels Crowdsourcing lassen sich schließlich auch ganze Reiseberichte interaktiv gestalten. Auf Alpintouren.net etwa beschreiben Nutzer detailliert Bergtouren – mit Wegbeschreibungen, Fotos, GPS-Daten und Landkarten. Der Jugendreiseveranstalter ruf setzt beim Marketing ganz gezielt auf solche Reiseberichte seiner Kunden-Community. Diese können dann zum Beispiel als Urlaubsreporter ihre Reise möglichst verrückt in kurzen Videos dokumentieren und diese bei YouTube hochladen – die Kameras dafür erhalten sie vom Veranstalter. Aber die Kunden machen zum Teil auch die Fotos in den Katalogen, ergänzen die Reisebeschreibungen des Veranstalters oder beantworten Fragen von Neukunden. Wikitravel ist ein Projekt mit dem Ziel, einen vollständigen, aktuellen und verlässlichen weltweiten Reiseführer zu erstellen, dessen Inhalte frei verfügbar sind.

Es geht aber noch interaktiver: Besonders hervorzuheben ist hier ein Projekt des deutschen Bloggers Kai Müller im Frühjahr 2011: Die irische Fremdenverkehrszentrale schickte ihn auf eine vierwöchige Tour über die Grüne Insel und er berichtete darüber auf . Die Leser konnten dabei Vorschläge machen, wohin die Reise geht und ihm kleine Aufgaben stellen – sogenannte Missions. Die Missions mit den höchsten Votings hatten die größte Chance, von Kai Müller erfüllt zu werden, und bestimmten seinen Reiseverlauf, der auch auf einer Karte angezeigt wurde.

Blick ins Ausland

Es ist möglich, dass solche besonders innovativen Projekte bislang nur im Ausland funktionieren: Schon Ende 2011 launchte die Canadian Tourism Commission (CTC) „Explore Canada Like a Local“ ein auf crowdsourcing basierendes Reiseplanungstool: Urlauber und Kanadier können hier ihre Lieblingsplätze im Land in Form von Fotos, Videos, Kommentaren und Tags online stellen, Bewertungen abgeben und ihre Entdeckungen über ihre bevorzugten sozialen Netzwerke teilen. Die Webseite bindet Google Maps und Location-Based-Services wie Foursquare, Yelp und Gowalla ein und bietet den Usern die Möglichkeit, Reisepläne zu erstellen. So kann nach Themen sortiert werden (Kunst und Kultur, Städtereisen, Kulinarisches, Luxus und Outdoor), nach Zielen (Metropolen, Sehenswürdigkeiten und Lieblingsorte der Einwohner), oder in Reiselisten anderer Besucher gestöbert werden (zum Beispiel Bummeln in Toronto oder Essen in Montreal). Für Smartphones gibt es eine mobile App.

Und auch wizardistanbul.com war mehr als ein simpler Online Reiseführer, der mit zahlreichen Informationen zur Stadt aufwartete: Nutzer konnten auch direkt Fragen stellen, die innerhalb von Minuten beantwortet wurden. Sogar sehr spezielle Fragen sind möglich. Dafür musste man sich praktischerweise nichtmal einloggen, sondern auf der Facebook-Fanpage den “Gefällt Mir”- Button klicken oder die Frage bei Twitter an @WizardIstanbul senden.

Crowdsourcing im Tourismus – Risiken & Chancen

“Lass die Masse für dich denken!” – so haben die Autoren vom Österreich-Werbung-Blog Crowdsourcing definiert und erklären auch gleich ihr Verständnis von Crowdsourcing: Nämlich als neue und vor allem preiswerte Form der Marktforschung, während die Autoren ehrlich zugeben: „Oft scheuen wir Touristiker, (…) 3, 4 oder gar 10.000 Euros in Marktstudien oder professionelle Gäste-Analysen zu investieren.“ Genau diese einseitige Betrachtungsweise von Crowdsourcing als bequemes und vor allem (scheinbar) billiges Marketing-Tool ist das Problem, das solche Projekte oft von Anfang an scheitern lässt.

Denn auch wenn gerne neudeutsch von Communities gesprochen wird, geht es beim Crowdsourcing tatsächlich um Menschen, die gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Und das kostet Zeit und Geld, ist nicht zwangsläufig billiger als herkömmliche Marketing-Methoden und auf keinen Fall kostenlos! In vielen Fällen ist es notwendig, die Community erstmal anzuschieben, bis eine kritische Masse erreicht ist. Denn nichts ist ärgerlicher, als z.B. via Quype oder Google-Places nach Informationen zu einem Ort zu suchen, zu dem noch keine Bewertungen und Kommentare vorhanden sind – genau das verprellt viele Nutzer.

Mitmachanreize schaffen

Wie aufwändig das ist und dass zum Teil auch Mitmach-Anreize geschaffen werden müssen, zeigen gerade auch die Erfahrungen von erfolgreichen Crowdsourcing-Projekten:

So erklärte Dirk Föste, der bei ruf-Reisen die Gesamtleitung Vertrieb und Marketing innehat, im Interview mit Matias Roskos, was für den Erfolg der Community verantwortlich ist: Insgesamt betreuen etwa 25 Personen die verschiedenen Online-Aktivitäten. Für die Urlaubsreporter-Videos werden zudem Reise- und Sachpreise im Gesamtwert von 5.000 Euro ausgeschrieben, die Jugendlichen dürfen zudem die Kameras behalten. Und schließlich ist die Zielgruppe sehr internetaffin.

Bei idealistischen Projekten wie OpenStreetMap spielen hingegen laut der Salzburger Crowdsourcing-Studie auch eher ideelle Ziele eine Rolle: Die Nutzer wollen z.B. frei über geographische Daten verfügen können, arbeiten gerne mit anderen zusammen oder agieren aus einer Art Lokalpatriotismus heraus und wollen weiße Flecken auf der Landkarte füllen. Jedoch sind ein Großteil der OSM-Teilnehmer auch besonders technikinteressiert und probieren gerne mal etwas Neues aus. Allerdings fördert OSM dieses Gemeinschaftsgefühl auch gezielt, z.B. durch „Mapping-Partys“, bei denen sich lokale Nutzer treffen, und Konferenzen abhalten. Wesentlich dabei ist, dass reale Treffen zwischen Menschen stattfinden.

Erfolg oder Misserfolg: Eine Frage der Einstellung

Schließlich ist Erfolg oder Misserfolg auch ein Frage der richtigen Einstellung: Beispielsweise berichtet der österreichische Managementberater Hannes Treichl in seinem Blog, dass laut einer Studie von Tourism Australia 79 Prozent der Australier bereit wären, für ihr Land Werbung zu machen – und das in einer großangelegten Crowdsourcing-Werbekampagne bereits eindrucksvoll umgesetzt haben. Zudem konsterniert er: „In Österreich fehlt meines Erachtens die (politische) Konsequenz zur gemeinsamen Umsetzung ähnlicher Kampagnen.“

Und vielleicht fehlt auch allzuoft bei den Verantwortlichen das Verständnis für den Wert von echter Begeisterung von Privatleuten für touristische Ziele, wie dieses Beispiel zeigt: Im Februar 2009 hat der Student Helmuth Lammer als Privatperson bei Facebook eine inoffizielle Seite für das Wiener MuseumsQuartier gegründet und gepflegt. Innerhalb von zwei Jahren gewann Lammer mehr als 25.000 Fans. Im April 2011 bot ihm das MuseumsQuartier zwei Jahreskarten und ein Goodie Pack für die Seite. Als der Student sie daraufhin nicht hergeben wollte, beantragte das MuseumsQuartier bei Facebook einfach die Zusammenlegung der eigenen Fan-Page mit der des Studenten Lammer.

Ausblick in die Zukunft: Sharen statt Sourcen?

Vielleicht ist aber das Empfehlen und Bewerten nur der erste Schritt und vielleicht geht es bald um mehr – nämlich gleich um das Teilen und zwar nicht mehr nur von Informationen. Diverse Carsharing-Angebote, Mitfahrzentralen, Mitwohn-Communities wie Couchsurfing.com oder Wohnungstausch-Börsen wie homeexchange.com haben bereits vorgemacht, wohin die Reise gehen könnte: Nämlich dahin, dass man statt Informationen über Hotels gleich die ganze Wohnung mit anderen teilt. Bislang wurde das von vielen als zu großer Eingriff in die Privatsphäre gewertet, zudem sind bei Tausch- oder Mitwohncommunities die Hürden sehr groß, weil man eben jeweils einen entsprechenden Gegenpart finden muss. Dennoch glauben die Anhänger der Collaborative Consumption, so heißt dieser Trend, fest an den Erfolg dieser Wirtschaftsform, weil die Menschen in Zeiten von Resourcenknappheit umdenken und näher zusammenrücken müssen.

Das könnte den Erfolg der Silicon-Valley-Idee Airbnb.de erklären: Geboren aus einer Luftmatratzen-Vermietung in der eigenen Wohnung ist daraus eine weltweit agierende Plattform für Wohnungen geworden, die nicht getauscht, sondern einfach vermietet werden: Bereits über 100 000 Unterkünfte in fast 20 000 Städten und 192 Ländern werden angeboten. Wie der Focus berichtet, melden sich stündlich 100 neue Nutzer auf der Plattform an, monatlich steigen die Buchungen um rund 40 Prozent und das Unternehmen bietet mehr Zimmer an als selbst große Hotelketten.