Noch ist kein Baby aus dem Kreißsaal marschiert, das ein Navi im Smartphone startet, um die Welt zu erobern. Doch unbeirrt lässt die Sehnsucht nach dem perfekten Kind Babys vorm Bildschirm verkümmern.

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Von Hänschen zum digitalen Hans

Pregaphone waren nur ein (plumper) Versuch, die Entwicklung kleiner Genies in effiziente Bahnen zu lenken. Es spielt gekonnt mit dem Wunsch nach Perfektion, der Sehnsucht, das perfekte Kind in die Welt zu setzen.

Heute hat sich im Kopf vieler Eltern die Redensart eingenistet: “Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.” Was bedeutet: Nichts kann früh genug auf den Nachwuchs einstürzen – und eine “Frühförderindustrie” ( Ralph Schumacher) sorgt für Angebote, die Hänschen auf den Kampf ums Überleben vorbereiten.

Die Verlockungen der Frühförderindustrie

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Und dieser Kampf wird immer stärker mit Computern ausgefochten. Daher sticht in der Werbung immer die Bildungskarte, zum Beispiel beim Produkt “Mein erster Laptop”, empfohlen für die Altersgruppe 12 bis 36 Monate.

Diese grellbunte Hässlichkeit aus Plastik “bietet abwechslungsreichen Spiel- und Lernspaß für kleine Entdecker”, so der Hersteller. Dabei drückt das Kleinkind lediglich auf farbige Tasten, und entsprechende Symbole leuchten in einem Display auf. “Zahlreiche Melodien und ein gesungenes Lied sorgen für zusätzliche Unterhaltung”, heißt es weiter in der Werbung. “Mit der beweglichen Kindermaus werden die feinmotorischen Fertigkeiten Ihres Kindes zusätzlich gefördert.”

Der erste Laptop – gut für die Entwicklung?

Wer jetzt noch nicht einknickt und den Kaufen-Button drückt, den sollen noch folgende Argumente überzeugen: Das Produkt sei gut für die “Sprachentwicklung”, die “Sinneswahrnehmung” sowie “Erkundungsdrang und Neugier”. Alles unter der Überschrift: “Für die Entwicklung Ihres Kindes”. Wer kann da noch Nein sagen?

Wir sagen aber bewusst: Nein. Unsere These lautet: Eine Kindheit ohne Computer ist der beste Start ins digitale Zeitalter. Paradox? Verwirrend? Ja, aber wir werden im Lauf dieser Reihe zeigen, wie sich diese Aussage erhärten lässt.

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Vor diesem Hintergrund erscheint fragwürdig, was die Firma Brill-Kids in Amerika ausgetüftelt hat: The Little Math Learning System. Es ist gedacht für Babys unter zweieinhalb Jahre – und soll mit Flash Cards mathematische Mengenvorstellungen vermitteln. Dazu heißt es in der Werbung: Das Kind würde sofort “mental calculations” erlernen, was sich vielleicht mit “Kopfrechnen” übersetzen lässt.

Weiterhin heißt es: “Es wird für sein ganzes Leben ein selbstbewusster Mathematiker werden.” Ja, da steht tatsächlich im englischen Original die Berufsbezeichnung “mathematician”!

Die Sehnsucht nach brilliantem Babys

Weitere Produkte nennen sich: Little Reader und Little Musician… Kein Wunder, dass der Claim der Firma lautet: “Kids are brilliant!” Doch so ein Programm schadet nur. Das ist so, als würde man beim Hausbau mit dem dritten Stock beginnen. Auf diese Weise werden Kinder völlig überfordert.

Brillante Babys? Da taucht sie wieder auf, die Sehnsucht nach dem perfekten Kind, das mehrere Nobelpreise abräumt. Brillante Babys werden später brillante Wissenschaftler, Künstler oder Manager… Wer nicht auf die Idee mit dem Pregaphone oder Ritmo Pregnancy Audio Belt gekommen ist, kann jetzt sein schlechtes Gewissen beruhigen.

Eine Kindheit ohne Computer – der beste Start in die digitale Welt

Wir werden darüber nachdenken, wie sich Hänschen zu einem Hans entwickelt, der souverän mit digitalen Medien umgeht – und die großen Chancen der Digitalität zu nutzen weiß. Denn für uns gilt: “Was Hänschen nicht lernt, kann Hans in aller Ruhe lernen.” Das Modewort der Entschleunigung sollte Einzug in die Bildungsdebatte halten, denn gerade digitale Medien können mit ihrer Geschwindigkeit, Reizüberflutung und Oberflächlichkeit Lernprozesse untergraben.

Und das besonders bei kleinen Kindern: “Wenn Sie ihnen etwas erklären, schlafen sie einfach mal weg”, erläutert die Neurobiologin Prof. Gertraud Teuchert-Noodt, “und dieser Schlaf ist sehr wichtig, weil sich dabei im Gehirn viel abspielt.” Der Erfolg des Lernens sei von einem “inneren Rhythmus” abhängig, Langsamkeit im Lernprozess von Vorteil. Wer diesen Rhythmus durcheinanderbringt, schafft es auch später nicht mehr, “durch eine Stunde Yoga Schulklassen auf das richtige Gleis zu bringen”, so die emeritierte Neurobiologin.

Mediales Trommelfeuer für Kleinkinder

Was geschieht aber, sobald die Kinder auf der Welt sind? Sie werden einem medialen Trommelfeuer ausgesetzt, das wir in unserem Alltag nicht mehr wahrnehmen. So beschreiben Helga Theunert und Kathrin Demmler die Situation, in der Kleinkinder heute aufwachsen:

“Die Mutter stillt beim Fernsehen, der Vater wiegt das Baby in den Schlaf, während er im Internet recherchiert, der große Bruder passt auf das kleine Geschwister auf, während er ein Computerspiel macht…, derartige Situationen sind Familienalltag.”

Kindgerechte Ablenkung?

Klingt harmlos, ist es aber nicht, wie die American Academy of Pediatrics (AAP) feststellt. Laut einer Umfrage versuchen bereits 90 Prozent der amerikanischen Eltern, Kinder unter zwei Jahren bei Laune zu halten, indem sie elektronische Medien einsetzen. Daher hat die AAP frühere Warnungen verschärft und Empfehlungen veröffentlicht, wie Eltern mit elektronischen Medien umgehen sollten, damit Kinder unter zwei Jahren keinen Schaden nehmen.

In der AAP haben sich 60.000 amerikanische Kinderärzte und -chirurgen organisiert. Kurz und knapp schreibt die Ärzteorganisation: “Die AAP rät davon ab, dass Kinder unter zwei Jahren elektronische Medien benutzen.”

Medien verringern Talking-Time

Dabei stützen sich die Ärzte auf 50 Studien, die seit 1999 untersucht haben, wie Fernsehen und Videos auf unter Zweijährige wirken. Wie kommt die AAP zu ihren Empfehlungen? Betrachten wir einfach den Alltag von Eltern, die vor dem Fernseher sitzen und ihre Kinder im selben Raum spielen lassen. Die erste Wirkung ist offensichtlich, wie die AAP schreibt:

“Kleinkinder werden einem Fernsehprogramm kaum aufmerksam folgen, wenn sie es nicht verstehen. Aber die Eltern sind damit beschäftigt. Der Fernseher mag für das Kind nur ein Hintergrund-Medium zu sein, doch für die Eltern steht er im Vordergrund. Der Fernseher lenkt die Eltern ab – und verringert die Interaktion zwischen Eltern und Kind. Das Wachstum seines Wortschatzes hängt aber direkt von der ›talk time‹ mit den Eltern ab bzw. von der Zeit, die Vater oder Mutter mit ihm sprechen. Wird in einem Haushalt sehr viel ferngesehen, kann sich das negativ auf die Sprachentwicklung des Kindes auswirken, einfach weil die Eltern wahrscheinlich zu wenig mit ihrem Kind sprechen.”

Wie fördert man Babys und kleine Kinder wirklich?

Wer also seine Kinder wirklich fördern und ihnen etwas Gutes tun will, sollte eines beherzigen: Sie erst möglichst spät – man spricht in der Regel von einem Alter ab dem dritten Lebensjahr – dem medialen Einfluss von Bildschirmen und mobilen Geräten aussetzen.


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