10 Jahre nach der EU-Osterweiterung war ich letzte Woche zur ICT-Week in Estland. Dort verfolgt man die aktuellen Ereignisse in der Ukraine mit einer gewissen Angst – schließlich war auch Estland einst Sowjetrepublik und grenzt direkt an Russland. Eine mögliche Lösung: Das estnische eGovernment könnte auch im Falle einer Besetzung in der Cloud überleben – eine Idee mit weitreichenden Folgen.
- Wie fördert Estland ICT?
- 10 Jahre EU-Osterweiterung – Wie Estland uns in der IT überholt
- Das erste Land in der Cloud?
- Wie soll die Cloud funktionieren
- Land ohne Territorium?
- Jeder kann bald die Staatsdienste nutzen
- eGouvernment: Für Deutschland unvorstellbar
- Ist das sicher?
- Regierung im Trial- und Error-Verfahren
- Entwicklung mit weitreichenden Folgen
- Noch einige spannende Fakten zu Estland
- Top Bücher zum Thema
- Text als PDF lesen
- eKurs on Demand buchen
- Individuelles eBook nach Wunsch
- Corporate Publishing und Beratung
Wie fördert Estland ICT?
Ich traf Taavi Kotka, Deputy Secretary General – ICT at Ministry of Economic Affairs and Communications for Estonia, am 25.04.2014 nach seiner Rede auf dem Nordic Digital Agendas Day im Rahmen der estnischen ICT-Week.
Mein Video-Interview dreht sich daher um die Investitionen und Förderungen, die Estland in die ICT-Bereich stecken möchte – und man sieht schon alleine an der Tatsache, dass Estland in den nächsten sieben Jahren hier 200 Millionen extra investieren möchte, wie wichtig der Regierung dieser Bereich ist.
10 Jahre EU-Osterweiterung – Wie Estland uns in der IT überholt
Und während zu 10jährigen EU-Osterweiterung z.B. in der Süddeutschen das Klischee vom armen Osten weiter gepflegt wird, werden in Estland längst Ideen entwickelt, die über das in Deutschland vorstellbare Maß an Innovation hinausgehen.
Bekannt ist ja, dass in Estland alle staatlichen Services elektronisch ablaufen, auch Wahlen, Vertragsabschlüsse, Steuererklärung und sogar die Eltern-Lehrer-Kommunikation in den Schulen. Weniger bekannt ist das Maß: Nur wenige Dinge wie Heiraten und Scheidungen können noch nicht elektronisch durchgeführt werden.
Das erste Land in der Cloud?
Da sind auch die neusten Ideen aus Estland eigentlich kein Wunder: Estland soll weltweit das erste Land in der Cloud werden. Und das ist gar nicht so abgedreht, wie es im ersten Moment klingt. Bereits jetzt hat Estland seine elektronischen Daten in Botschaften im Ausland deponiert.
Bislang, so erklärte Kotka in einem Interview mit dem von Enterprise Estonia herausgegebenen Magazin “Life in Estonia”, seien die Botschaften jedoch nicht auf so große Datenmengen ausgelegt, zudem würden die Daten vor allem dafür vorgehalten, auf dem Territorium des estnischen Staates zu funktionieren. Genau das soll sich nun ändern.
Wie soll die Cloud funktionieren
Zu diesem Zweck soll, so Kotka weiter in dem Interview, ein Netz von Daten-Botschaften entwickelt werden: In befreundeten Staaten sollen Daten-Center installiert werden mit den selben Regeln wie in realen Botschaften. Dort sollen alle Daten gespeichert werden, die für die Funktion des Staates notwendig sind.
Vorteile sieht Kotka dabei vor allem für die Datensicherheit: Sollte eine Cyberattacke auf Estland ausgeführt werden, könnte Estland als Staat auch weiterhin agieren.
Land ohne Territorium?
Aber Kotka geht noch einen Schritt weiter. Auch bei einem territorialen Angriff auf Estland könnte die Cloud erhebliche Vorteile bringen. So sagt er in dem Interview:
Estonians could live in Finland or London, be deported to Siberia or whatever: we could still elect our parliament, collect taxes etc. Businesses would continue to operate, documents would be exchanged, addresses could continually be changed in registers and new citizens would be born… The capacity to support the existence of our state from the cloud would lead to a situation where – considering the recent events in Crimea – it would be much more complicated (i.e. expensive) to occupy Estonia. There would be no point in conquering the country with tanks, as the state would continue to function from the cloud.
Jeder kann bald die Staatsdienste nutzen
Vom Land ohne Territorium ist es dann auch nicht weit zu einer weiteren Idee, die in Estland gerade vorletzte Woche beschlossen wurde: Die elektronische ID-Karte auch für Nicht-Esten einzuführen. Damit können auch Menschen, die keine estnischen Staatsbürger sind, die estnischen e-Services wie Kontoführung, Digitale Unterschrift oder die Möglichkeit zu Firmengründungen nutzen.
Ja, Taavi Kotka geht sogar soweit, dass es erlaubt sein sollte, sich Staatsbürger-Rechte in verschiedenen Ländern zusammenzukaufen. Auf meine Frage, ob das nicht dazu führt, dass finanziell besser gestellte diese Freiheiten ausnutzen, antwortet er ausweichend: Auch beim Internet seien zunächst die Risiken gesehen worden, aber heute sehen wir vor allem die Vorteile…
eGouvernment: Für Deutschland unvorstellbar
Für deutsche Verhältnisse ist diese Idee ziemlich unvorstellbar, für Esten ist sie hingegen nur folgerichtig: Denn dort kann man bereits heute so ziemlich alles online erledigen, z.B. Parlamentswahlen, Vertragsabschlüsse, Firmengründungen und Kabinettssitzungen.
Wie so ein e-Service genau aussieht, hat mir Tiit Anmann, CEO des estnischen Unternehmens signwise, für ein weiteres Video am Beispiel der elektronischen Signatur erklärt, mit der sich in Estland in nur wenigen Minuten Verträge und andere Dokumente unterzeichnen lassen. Darüber hinaus gibt Anmann auch noch einen Einblick in die eServices. die der estnische Staat zur Verfügung stellt:
Ist das sicher?
Kritiker werden einwenden, dass so ein Land in der Cloud doch viel gefährdeter sei für Cyberattacken als andere Staaten. Die Esten jedoch halten große Stücke auf ihre IT-Sicherheit, räumen aber ein, dass es das perfekt sichere IT-System natürlich nicht gäbe. Auf Fragen nach möglichem Missbrauch des Systems und Sicherheitslecks wird allerdings auch gerne mal mit Allgemeinplätzen geantwortet: Dass auch die sicherheitsbewussten Deutschen etwa Google & Facebook nutzen würden. Oder dass der größte Unsicherheitsfaktor der Mensch in Gestalt von internen Mitarbeitern wie Edward Snowden sei, dem es gelungen sei das Sicherheitssystem der NSA zu unterwandern.
Über das Thema Sicherheit der Cloud habe ich auch mit Andrus Järg, General Manager von Skype Estland gesprochen, der Clousysteme sogar für besonders sicher hält. Fü Menschen, die nach den Risiken fragen, hat er daher eine einfache Antwort: “Dass Menschen Angst vor neuen Entwicklungen haben, ist natürlich. So war es auch beim Computer – und der ist heute normal. So wird es auch mit Cloud-Computing sein.” Es klingt gut. Man kann nur hoffen, dass er recht hat.
Regierung im Trial- und Error-Verfahren
Überhaupt hat man in Estland zu Innovationen auch ein ganz anderes Verhältnis: So erklärte Kotka in seiner Rede bei der ICT-Week, dass eine Regierung auch mal Fehler machen können und im Trial-und Error-Verfahren dazu lernen solle.
Und die beste Regierung sei ohnehin die, die man nicht sieht und die effizient im Hintergrund agiere.
Entwicklung mit weitreichenden Folgen
Die Entwicklungen in Estland sind möglicherweise weitreichender als vielen bewusst ist: Im Guten könnte man sagen: Wer braucht bei so viel innovativen Ideen eigentlich feste Ländergrenzen? Und könnte diese Idee nicht auch Kriege überflüssig machen – z.B. wenn die Russen in der Ukraine mittels eGovernment dennoch “virtuell” in Russland leben könnten?
Umgekehrt muss man sich aber fragen: Was passiert mit den Menschen, die im Falle eines militärischen Übergriffs Gewalt ausgesetzt sind? Wird die Tatsache, dass die Regierung in der Cloud dann irgendwo weiter existiert, nicht nur zur bloßen Theorie?
Noch einige spannende Fakten zu Estland
- Estland hat keinen eigenen IT-Minister. Stattdessen hat jedes Ministerium seine eigenen IT-Anteile. Der Focus liegt darauf, IT-Know-How in verschiedenen Feldern zu etablieren.
- Das e-Government in dieser Form gibt es seit dem Jahr 2000, als die Regierung beschloss, papierlos zu existieren. Seitdem dauern Kabinettsitzungen nur noch 45 Minuten statt 4 Stunden.
- Das e-Government wurde aus ökologischen Gründen, aber auch aus Zeitersparnis eingeführt. Zudem ist es billiger. Das begünstigt auch Innovationen von vor allem kleineren Firmen. Vor allem der Erfolg von Skype wirkt dabei inspirierend.
- 99,8 % der Banktransfers lauen elektronisch ab, 95 % der Steuererklärungen und 2013 25 % der Parlamentswahlen. 95 der Medizin wird via eHealth verschrieben und gekauft, dem elektronischen System, auf das Ärzte und Apotheker zugriff haben.
- Es gibt nicht viele Länder, die sich IT-technische mit Estland messen können, sagt Tavi Kotka. Dänemark, Singapur oder Großbritanien gehören dazu.
- 20 % der Esten nutzen bis heute keinen Computer, 5 % werden wir nie Online bekommen, sagt Tavi Kotka.
- 200 Euro will Estland in den nächsten sieben Jahren für seine IT-Struktur ausgeben. Davon wird die Hälfte für Service Development ausgegeben, ein Drittel für Kommunikationsstruktur und ein Sechstel wird in Weiterbildung im Bereich IT investiert. Dabei werden vor allem höherwertige Fähigkeiten wie Programmieren gefördert. Das meiste Geld wird dabei in die Ausbildung der Lehrkräfte investiert. O-Ton Tavi Kotka: “Coding- und Programming-Skills werden immer wichtiger.”
- Estland sieht keinen anderen Weg als eine individuelle ID, wenn das Staatsystem effizient im Hintergrund funktionieren soll. Man versteht nicht, warum z.B. Deutschland sich weiter dagegen sträubt.
- Estland möchte mit seinem e-Government ein Showcase für Europa sein und Europa voranbringen und ist dabei in ständigem Austausch vor allem Mit Nachbarn wie Finnland, Dänemark und Norwegen. Man sieht die EU nicht als Handycap, erkennt aber, dass man Kompromisse machen muss. Die Esten denken, dass die EU mehr machen könnte – z.B. auch hinsichtlich des Datenaustauschs zwischen den Ländern, eine Art Crossborder Digital Gouvernment. Auch Entwicklungen wie die Digitale Signatur will man auf europäsches Niveau heben.
- Die Daten lagern auch heute schon nicht auf einem großen Server, sondern jedes System sorgt für seine eigenen Daten (Distributed Cloud). Das Geheminis der Effizienz liegt darin, die Daten zu vernetzen. Dadurch ist das System auch sicherer, da man immer nur Teile angreifen kann, aber nicht das ganze System auf einmal.
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