MEINUNG! Zukunftsforscher Dr. Eike Wenzel: "Wenn ich in die Zukunft sehen könnte, würde ich keine Studien schreiben!"

Dr. Eike Wenzel, Autor und Consult am Zukunftsinstitut, über Wirtschaftstrends, die Medienkrise, die Macht von Google, Richard David Precht und den Sinn und Unsinn von Trend- und Zukunftsforschung.

Der promovierte Medienwissenschaftler arbeitete zunächst als Hörfunk- und TV-Journalist mit Schwerpunkt Feulliton, Medien und Wirtschaft, bevor er sich durch die Bekanntschaft mit Matthias Horx, dem Gründer des Zukunftsinstituts, der Zukunftsforschung zuwandte.

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Herr Dr. Wenzel, Sie habe diesem Jahr gleich zwei Studien herausgebracht, nämlich „Die Matrix des Wandels. Wie die Welt nach der Krise aussieht“ und „Sinnmärkte. Der Wertewandel in den Konsumwelten“. Bitte erläutern Sie kurz, worum es darin geht.

In „Der Matrix des Wandels“ wollten wir schnell auf die Wirtschaftskrise reagieren und herausarbeiten: „Welches sind die Themen der nächsten Zeit? Wo liegt der Wandel? Was wird in der nächsten Zukunft wichtig? Bei den „Sinnmärkten“ ging es eher darum, aufzuzeigen, welcher Grundlegende Wandel in unserer Gesellschaft gerade stattfindet; nämlich dass immer mehe Menschen keine Standardangebote billig um jeden Preis mehr konsumieren wollen, sondern bewusste individuele Erfahrungen suchen und bereit sind, dafür viel Geld auszugeben.

Woran machen Sie das denn fest?

Na zum Beispiel im Tourismus: Ballermann-Massentourismus ist für viele nicht mehr attraktiv. Schon heute sind 20% aller Touristen Individualreisende auf der Suche nach ganz speziellen Erlebnissen. Zum Beispiel gibt es Fahrradpilgerreisen nach Assisi, Urlaub in einer Eremitage auf Sinai oder Nomaden-Urlaub in Chile. In in Australien beispielsweise gibt es ein Luxus-Ökoressorts mit Regenwald-Villa, regionalem Essen, speziellen Aboriginee-Anwendungen im Spa und einem Solarbetriebenen Whirlpool. Alles Ideen, mit denen gutes Geld verdient wird.

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Ihr Titel Sinnmärkte klingt ja ziemlich spirituell!

Darum geht es ja auch. Menschen wollen heute wieder mehr über Sinn nachdenken und haben ein zunehmendes Bedürfnis nach immateriellen Werten. Und Sie wollen verzaubert werden. Bei Ratgeberliteratur beispielsweise ist ein Wachstumsmarkt. Eine Studie des religionswissenschaftlichen Instituts der Universität Bochum zeigt beispielsweise, (http://www.religion-plural.org/) dass esoterische und alternative Angebote in NRW jährlich von rund 150.000 Menschen nachgefragt werden. Mittlerweile sollen über 2.500 Zentren, Institute und Heilpraxen in NRW esoterische Dienste anbieten.

Wie stehen Sie den persönlich zu dem Esoterik-Boom?

Mich persönlich schreckt dass eher ab…

…in Ihrer Studie ist davon aber nichts zu merken!

Richtig, in der Studie wird nur angedeutet, dass Esoterik ethisch und moralisch problematisch ist. Viel mehr geht es darum zu zeigen, dass der Trend da ist und man sich damit befassen muss. Denn die Kirche hat diese Entwicklung komplett verschlafen und auch die Wirtschaft hat, abgesehen von den Buchverlagen, das potenzial bislang kaum erkannt. Dabei haben Unternehmen hier ganz vielfältige Möglichkeiten – man denke nur an den kleine Teehersteller mit speziellen Teesorten…

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Aber ist das nicht etwas bigott, einerseits den Trend selbst bedenklich zu finden, aber andererseits dafür Werbung zu machen?

Nein, man sollte das Feld eben nicht der Esoterik überlassen – mit diesem Thema kann man ganz gute und wichtige Sachen machen – vor allem in den Medien und im Kulturbereich. Nehmen Sie z.B. Peter Sloterdijk, der mit seinem neuen Buch „Du musst Dein Leben ändern“ große Erfolge feiert.

Oder Richard David Precht.

Der hat einen glatten Bestseller geschrieben, der mir viele Dinge zu sehr vereinfacht. Precht hatte dann das Glück, dass Elke Heidenreich rechtzeitig darüber berichtet hat. Aber natürlich zeigt Prechts Erfolg den Trend zu tiefgründigeren Themen.

Apropos: Laut ihrer Studie sind Bildung und Kultur zukunftsträchtige Märkte. Ausgerechnet da, wo in der Krise am meisten gespart wird?

Ja genau, denn Kultur erreicht heute immer mehr Menschen. Zum Beispiel überträgt die Metropolitan Opera in New York mit großem Erfolg ihre Aufführungen in Kinos. Der britische Privatsender Classic FM kam innerhalb von 4 Monaten auf 4,2 Millionen Hörer pro Woche. Das Konzept: Er versieht klassische Musikstücke mit erklärenden Testen. Das zeigt: Wir dürfen die klassische Kultur nicht den Bildungsbürgern überlassen, sondern sie in den normalen Alltag holen. In der Musikindustrie passiert das gerade, hier spielen heute wieder viel mehr Stars life. Dadurch haben viele Menschen einen offeneren Zugang zur Musik.

Viele Stars müssen aber auch wieder life spielen, weil sich dank Internet ihre Platten schlechter verkaufen. Momentan sind ähnliche Entwicklungen in der Medienbranche zu beobachten. Wie sehen Sie das als Journalist und Autor?

Das Internet ist nun einmal da und daran können wir nicht vorbei. Das ist ja aber auch positiv: Wir können heute immer mehr Leuten immer mehr Inhalte zugänglich machen, es gibt immer mehr Vielfalt und kleine Blogs. Ich finde es auch gut, dass google meine Bücher zur besseren Auffindbarkeit im Internet einscannt und ich noch Geld dafür bekomme. Allerdings müsste man Google stärker kontrollieren.

Können Sie verstehen, dass die Zeitungen, deren Abonnenten und Werbekunden ins Internet abwandern, das nicht ganz so positiv sehen?

Ja klar, die haben diese Entwicklung aus Gewohnheit verschlafen und müssen jetzt Arbeitsplätze abbauen. Und natürlich können Tageszeitungen ihre Verluste im Internet nicht voll kompensieren – sie brauchen neue Geschäftsmodelle, eine neue Ausrichtung. Mit den bisherigen Modellen kann zum Beispiel eine so gesichtslose Zeitung wie die Frankfurter Rundschau nicht überleben.

Wie sehen denn die neuen Geschäftsmodelle im Internet aus?

Ich glaube, dass es in Zukunft zwei Erlösmodelle geben wird: Werbung und Paid Content. Denn vor allem Manger, das weiß ich aus dem Consulting-Alltag, fliegen auf gute Inhalte. Und die Financial Times hat es erfolgreich vorgemacht, wie man diese Potenzial nutzt, indem sie weltweit 117 000 Abos in Unternehmen verkauft hat.

Wo Sie Ihr eigenen Kunden gerade ansprechen: Was sind das für Leute, für die Sie solche Studien erstellen?

In der Regel sind das Manager und Unternehmen, die sich über Zukunftstrends informieren wollen.

Und wie gehen Sie dabei vor, wenn Sie zukünftige Wirtschaftstrends ermitteln? Kann man überhaupt seriös die Zukunft vorhersagen?

Wenn ich die Zukunft vorhersagen könnte, müsste ich ja keine Studien schreiben! Aber mal im Ernst: Wir betreiben ja keine Orakelei, sondern versuchen, gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu beschreiben. Wir schauen was heute passiert, denken darüber nach, machen Studien und Befragungen. Wir identifizieren also Phänomene und versuchen, diese zu erklären. Am Ende versuchen wir daraus zu analysieren, wie sich die Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren weiterentwickeln wird. Daneben machen wir auch Aussagen zu den langfristigen großen Trends, sogenannten Megatrends, die in den nächsten 40-50 Jahren wichtig werden.

Gab es denn schon Trendentwicklungen, die Sie erfolgreich vorhergesagt haben?

Wir fingen zum Beispiel 2002 an, uns in Studien mit dem Thema LOHAS und Ökologie zu beschäftigen. Damals war das noch kein Trendthema. Wir haben das dann weiter verfolgt: Heute gilt das als der neue Lebensstil, der auch nichts mehr mit dem früheren Öko-Müsli-Image zu tun hat. Im Gegenteil, Unternehmen, die in der zukünftigen Greenomics nicht ökolgisch ausgerichtet sind, werden Probleme haben, zu überleben.

In Ihrer Studie stammen ja sehr viele Beispiele aus den USA. Sind die denn tatsächlich auf Deutschland übertragbar? Gerade was Ökologie angeht, ist die USA im Vergleich zu Deutschland doch eher rückständig.

Natürlich muss man vorsichtig sein beim Übertragen von Beispielen – das kann man nur tun, wenn man den Markt kennt. Aber die USA hat in vielen Bereichen immer noch eine Vorreiterrolle. Und gerade was die Ökologie angeht, wollten wir zeigen, dass es dort drüben auch eine Greenomics-Bewegung gibt und die jetzt zum Beispiel auch anfangen, Öko-Häuser zu bauen.

Könnte man sagen, Zukunftsforschung ist wie Marktforschung, allerdings für einen längeren Zeitraum?

Nein, die Marktforschung versucht ja aus der Gegenwart Hinweise daraus abzuleiten, wie der Markt morgen aussehen wird. Zukunftsforschung ist da gar nicht so dogmatisch: Wie bieten durch unsere Recherchen verschiedene Kontexte an und sagen, dass es hohe Wahrscheinlichkeiten dafür gibt, dass die Zukunft so aussehen wird. Aber wir sagen nicht, dass es mit Sicherheit so sein wird. Unsere Thesen müssen sich erst noch verifizieren.

Das klingt in ihrer Studie aber schon ein wenig anders!

Ja, das liegt an unserer Klientel: Die möchten klare Ergebnisse und den direkten Nutzen in solchen Studien lesen. Um die verschiedenen Phänomene zu erklären, greife ich dann mal zum Mittel der Überpointierung, um die Unternehmen auch mit Themen zu erreichen, die für sie erstmal nicht populär sind, wie etwas Nachhaltigkeit. Auf dieser Grundlage kann man dann mit den Unternehmen reden, was das genau bedeutet und was man daraus machen kann.

Und, können die Unternehmen damit etwas anfangen? Bleiben Themen wie Nachhaltigkeit ökologische Verantwortung oder mehr Kultur nicht nur leere Worthülsen?

Sie würden sich wundern, wie sehr sich Unternehmen für diese Themen interessieren. Denn die merken ja auch, dass ihre Kunden plötzlich anders ticken und ganz andere Ansprüche stellen. Wer schon entsprechende Erfahrungen gemacht hat, sucht dann auch auf Antworten auf diese Veränderungen. Das merke ich auch jede Woche wieder im Consulting-Alltag.

Was raten Sie Unternehmern, die in eine zukunftsträchtige Branche investieren wollen?

Ganz klar: Weg von dem klassischen Zielgruppenmuster. Fest eingegrenzte Zielgruppen verschwinden heute immer mehr. Eher sollte man nach aktuellen Trends und Wellen in der Entwicklung schauen, etwa individuelle und persönliche Produkte, Gesundheit und Genuss.


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