Flexible Arbeitszeiten – in Deutschland noch eher Ausnahme – selbst im Kreativbereich: Mitarbeiter haben gefälligst dauerpräsent zu sein – ob sie dabei arbeiten oder nicht. Pure Kontrollsucht. Und Schwachsinn. Schön ist da, wenn Traditionsbranchen mehr Flexibilität versprechen – doch ist das ernst gemeint?

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Anwesenheit = Leistung?

Ich habe um ehrlich zu sein nie verstanden, was die Leistung eines Arbeitnehmers mit seiner Anwesenheit im Büro zu tun hat: Klar, für Kunden– oder Beratungsgespräche ist Anwesenheit Plicht, ebenso wie für die offenbar immer noch notwendingen Meetings – auch wenn ich auch da glaube, dass weniger mehr wäre.

Und auch klar, wer im Kundenservice oder im Marketing, sprich, direkt im Kontakt mit Kunden arbeitet, muss zumindest telefonisch erreichbar sein.

Reiner Präsentismus

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Aber für viele  Aufgaben, die man am Rechner erledigt, ist der Aufenthalt im Büro oft nichts weiter als reiner Präsentismus: Man hängt vor dem Rechner und tut so, als ob man arbeitet. In Wirklichkeit hat man jedoch grade ein kreatives Loch, leckt an seinem schmerzenden Zahn herum, überlegt, welches Kleid man auf die Party nächste Woche anzieht – oder sonst etwas Unsinniges.

Manchmal hätte man auch tatsächlich wichtigeres zu tun: Die Kinder zum Onkel Doktor bringen (über die Schwierigkeiten berufstätiger Mütter habe ich ja gestern schon berichtet) oder sich mit der Bürokratie herumärgern beispielsweise. Die Konzentration ist dann gleich null, weil man mit dem Kopf eh woanders ist. Was soll das eigentlich?

Organisiert statt faul

Oft, gerade in Deutschland, gilt aber leider immer noch die Haltung: Wer zu Hause oder im Cafe oder sonstwo arbeitet, ist faul.Teilzeit bedeutet noch immer den Karriereknick, denn die Leute leisten ja nicht voll. Im Vertrauen gesagt: Ich habe den einen oder anderen Chef in Verdacht, dass er sich nicht genug Chef fühlt, wenn die Mitarbeiter nicht da sind…

Dass es gerade für Kreativarbeiter bedeutend produktiver ist, dann zu Arbeiten, wenn die Ideen da sind (was auch mal mitten in der Nacht sein kann), statt sich sklavisch an feste Arbeitszeiten zu halten, spricht sich allmählich herum.

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Ein wenig überrascht war ich aber schon, als mir die Anwaltssozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek eine Pressemitteilung schickte, in der sie ihr neues flexibles Arbeitszeit-Modell für Anwälte anpries – inklusive Einrichtung von Home-Office-Arbeitsplätze. Ein Schritt in die richtige Richtung? Im Ergebnis liest sich das dann so:

Ziel des Teilzeitangebots ist es, ein flexibles Modell für Anwälte zu bieten, die ihre Arbeitszeiten zeitweilig reduzieren möchten, ohne auf die Mitarbeit an interessanten Mandaten in einer großen Wirtschaftskanzlei verzichten zu müssen. Das Teilzeit-Modell bietet jungen Anwältinnen und Anwälten gleichermaßen die Möglichkeit der zeitlichen Flexibilität bei weiterhin bestmöglicher Betreuung der Mandanten… Die zeitliche Flexibilität in diesem Modell wird unterstützt durch die Einrichtung von Home-Office- Arbeitsplätzen.

Es ist nicht alles Gold…

Wenn man nun genauer hinschaut, erkennt man, dass es sich nicht nur um Teilzeit-Modell handelt, sondern auch um eine offenbar nur halbherzige Durchführung: Klar, der Knackpunkt ist, dass die Mandanten immer noch betreut werden müssen.

Vor allem scheint man dem Braten aber nicht recht zu trauen, denn erstmal muss man das neue Modell ausgiebig testen:

Eine Testphase zur Einrichtung von etwa zwanzig Home-Office-Arbeitsplätzen ist bereits angelaufen und an drei Standorten wurden erfolgreich erste Teilzeitvereinbarungen als Pilotprojekt durchgeführt.

Karriere nur als Vollzeit-Arbeitstier

Offenbar ist es O. K., wenn junge Anwälte aus familiären oder ähnlichen Gründen ihre Arbeitszeiten zeitweilig reduzieren. Aber eben nur zeitweilig!

Richtig Karriere macht man aber nur, wenn man irgendwann wieder Vollzeit – oder noch mehr? – arbeitet. Das Teilzeit-Modell wird leider von Anfang an nur als Übergangslösung konzipiert:

Im Zuge des neuen Modells werden je nach Anforderungen, Erfordernissen und Rechtsgebiet Vereinbarungen über Teilzeitarbeit individuell getroffen. Die Teilzeitvereinbarungen können flexibel für einen begrenzten Zeitraum gelten. Dies soll einen späteren Wiedereinstieg in die Vollzeit erleichtern und die Möglichkeit schaffen, den Karriereweg bis zur Partnerschaft weiterzuverfolgen.

Modern tun, unmodern sein

Grund für die angeblich neue Haltung: Offenbar will man gezielt, junge, qualifizierte Anwälte ansprechen und hat erkannt, dass flexible Arbeitszeitmodelle ein probates Lockmittel darstellen. Personalmarketing eben. So heißt es etwa in der Pressemitteilung:

„Die Erwartungen von jungen Kollegen an das Berufsleben haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Sie setzen vielfach andere Prioritäten und legen verstärkt Wert auf mehr Ausgeglichenheit zwischen Beruf und Privatleben.“

Besser richtig als halb

Besser wäre es doch, die Idee gleich richtig umzusetzen: Flexible Arbeitszeitmodelle dauerhaft für alle, auch für Partner. Damit könnte man gleich zeigen, dass Teilzeit und Home-Office keinen Karriereknick bedeuten und als Anwaltskanzlei mit gutem Beispiel vorangehen.

Aber das ist dann wohl doch zu fortschrittlich gedacht…


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