Chris Whyman ist amtierender Weltmeister. Und zwar im Town Crying, zu deutsch Stadtausrufen. Wenn er loslegt, muss sogar der kanadische Finanzminister Jim Flaherty (rechts im Video mit Anzug und Puppe) lachen. Ein Bericht über eine ungewöhnliche Karriere.

Wichtige Aufgabe

Denn auch wenn das ganze auf den ersten Blick eher wie Show für Touristen anmutet: Chris will seine Tätigkeit durchaus als ernstzunehmenden Job verstanden wissen. Town Crier waren bis ins 20. Jahrhundert hinein wichtige Leute, die Nachrichten ausriefen, bevor es Zeitungen gab.

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Denn längst nicht jeder konnte lesen und schreiben. Die Town Crier, zu deutsch Stadtausrufer, hatten daher seit dem Mittelalter die Aufgabe, auf Märkten und öffentlichen Plätzen Nachrichten mündlich unters Volk zu bringen.

Wie Social Media

Ein bisschen wie eine frühe Form von Social Media, wo Nachrichten ja auch eher wie auf einem Marktplatz herausgerufen werden. Und die Geschichte wiederholt sich, wenn heute die Internetkommunikation den Zeitungen Konkurrenz macht – wie damals die Towncrier durch Zeitungen ersetzt wurden.

Auch Chris hat seine Karriere als Town Crier praktisch auf einem Markt begonnen. Jahre später brachte ihm die ursprüngliche Nebentätigkeit einen Vollzeit-Job als Manager des Besucher-Services im Tourismus-Büro von Kingston ein.

Vom Geographie-Studenten zum Town Crier

Dabei hatte der sympathische fünfzigjährige ursprünglich Geographie studiert – und zwar an der bekannten Queen’s University in Kingston, die die ältesten akademischen Grade in Kanada vergibt. Doch nach dem Studium fand er keinen Job und machte sich mit einem kleinen Fotoladen selbständig.

1984 wurde er von der Händlervereinigung in Kingston gebeten, am Markttagen öffentliche Ankündigungen zu machen. 1991 beschloss er praktisch über Nacht an einem Wettbewerb für Town Crying zu Anlass des zweihundersten Geburtstag der kanadischen Provinz Ontario teilzunehmen – und gewann. Es folgten weitere nationale und internationale Wettbewerbe. 2005 schließlich bot ihm das Tourismusbüro seinen heutigen Job an.

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Die 1841 gegründete Queen’s Universität gehört zu den ältestesten Hochschulen Kanadas. Charakteristisch ist die neugotische Kalkstein-Architektur.

Wie trifft man den kanadischen Finanzminister?

Und der hat es in sich: Fortan präsentierte er seine Heimatstadt weltweit und unternahm u.a. Reisen nach Australien, Belgien, England, Irland und natürlich innerhalb Kanadas und der USA. Bei den Abschluss-Zeromonien an der Queen’s-University verliest er die Proklamation, die die Studenten wiederholen müssen.

Und er trifft Leute wie den Finanzminister Jim Flaherty, der an jenem 29. September 2011 für eine Benefizveranstaltung zu Ehren des ersten, aus Kingston stammenden kanadischen Premierministers John A. Macdonald angereist war (So erklärt sich übrigens auch die Puppe auf dem Arm des Ministers, die Macdonald darstellet).

weltmeisterschaft entlang des Weltkulturerbes Rideau-Kanal

Zweimal, 2004 und 2010, gewann Chris das Lord Mayor of Chester’s World Town Crier Tournament. 2012 wird er diese Weltmeisterschaft nun selbst in Kingston und Ottawa ausrichten: Die 60 bis 90 besten Towncrier weltweit werden im Juli 2012 gegeneinander antreten.Wobei die Jury eine Vorauswahl trifft. Wer als Stadtausrufer (oder auch nur so) mitmachen will, kann sich direkt bei Chris bewerben.

Das ganze findet vier Tage lang in Kingston statt und für einen Tag entlang des historischen Rideau-Kanals, der Weltkulturerbe der UNESCO ist, bevor es dann in die kanadische Hauptstadt Ottawa geht. Die Verbindung Kingston-Ottawa ist kein Zufall: 1841 trat hier das erste kanadische Parlament zusammen. Bis 1844 war Kingston die erste Hauptstadt des Landes.

Kingston ist zudem bekannt für den Great Rideau Waterway. Er verbindet die Hauptstadt Ottawa am Ottawa-Fluss mit der Stadt Kingston. Der 202 km lange Kanal wurde 1832 eröffnet und ist die älteste ununterbrochen benutzte künstliche Wasserstraße in Nordamerika. Damit Schiffe ihn benutzen können, müssen die Schleusenwärter noch selbst Hand anlegen.

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Kanadische Geschichte ganz locker präsentiert

Kanadische Geschichte ist in Kingston also durchaus lebendig.Wobei die Leute schon ein wenig blöd schauen, wenn mich Chris in seiner Town-Crier-Uniform im Auto durch die Gegend fährt, damit ich nochmal schnell ein paar Fotos von der Uni machen kann:-)

Das sympathische an Chris ist, dass er trotz seine repräsentativen Pflichten, die irgendwie sehr an das britische Mutterland erinnern, so ganz natürlich bleibt und sich selbst auch nicht so wichtig nimmt:

“Nachher kommt noch der Finanzminister”

“Er hat nachher noch zwei Auftritte” erzählt er mir ganz locker in seinem Lieblingspub, der Kingston Brewing Company (ganz traditionell natürlich “Canada’s oldest wine-producing pub”).

Dazwischen könne er mich gerne zum Bahnhof bringen. Und vergisst dabei zu erwähnen, dass es sich bei dem Termin um den kanadischen Finanzminister handelt.