Erfolg im Internet lässt sich genau messen – angeblich. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter machen es noch einfacher: Freunde, Follower und Likes sind simple und beliebte Messgrössen. Scheinbar.

Social Media Marketing-Zahlenspiele & Qualität: Digitale Schwanzvergleiche

Schwanzvergleiche in Social Media – muss das sein?

Bei meiner Arbeit habe ich mich auch mit einem Phänomen beschäftigt, dass ich schon seit längerem in sozialen Netzwerken beobachte und das mir ein wenig missfällt: Die ständigen Schwanzvergleiche. Blogcharts, Klickzahlen, Follower- und Fanzahlen-Charts – selbst bei Google+ gibt es sie bereits. Das Problem: Man lässt sich von so was schnell verrückt machen – das muss nun wirklich nicht sein.

Nun ist das im Prinzip nichts Ungewöhnliches, der Wunsch, sich mit anderen zu vergleichen ist so alt wie die Menschheit. Auch in der Zeit vor Social Media ging es in den Medien um Zahlen wie die verkaufte Auflage, die Zuschauerzahlen, Visits oder Unqiue Visitors. Denn danach berechnen Marketeers ihren sogenannten Return of Investment. Oder auf Deutsch: Die Entscheider in den Unternehmen wollen wissen, was hinten dabei rauskommt für das, was sie vorn reinstecken. Und Zahlen klingen immer gut. Wie sinnvoll die aber sind, wird selten gefragt.

Facebook-Depression und Selbsttäuschung

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Aber auch Privatanwender schauen auf die Zahlen – und lassen sich durch die ständigen Vergleiche in sozialen Netzwerken unter Druck setzen. Das ist wie in dieser „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“-Werbung: Wer feiert die abgefahrensten Partys, hat die coolsten Freunde oder macht die abenteuerlichsten Reisen? In den USA ist daraus bereits ein neues Krankheitsbild entstanden, die Facebook-Depression. Behandelt werden Menschen, die in sozialen Netzwerken weniger Freunde haben als andere und sich dadurch minderwertig fühlen.

Das ist natürlich eine blöde Selbsttäuschung. Aber durch soziale Netzwerke, die kurzen Statusmeldungen und geposteten Bilder, bekommen wir jederzeit und viel schneller mit, was unsere „Freunde“ so treiben. Wir sehen zum Beispiel, wenn jemand im Job erfolgreich ist, tolle Reisen macht oder ein Kind bekommen hat. Und wir wünschen uns das auch oder glauben, das auch tun zu müssen. Denn Menschen sind soziale Wesen, die sich ständig vergleichen. Das kann positiv sein, wenn uns das Vorbild von anderen anspornt, es ihnen gleichzutun. Es kann aber auch zu einem Problem werden, wenn wir in dem Vergleich so schlecht abschneiden, dass wir eine Sache lieber gleich sein lassen.

Genau das passiert bei der Facebook-Depression: Vor allem Menschen, die auch im „echten“ Leben wenig soziale Kontakte oder Aktivitäten haben, fühlen sich zurückgesetzt, wenn sie das Treiben ihrer Mitmenschen so hautnah mitbekommen. Zumal sie es nicht, wie im persönlichen Gespräch, anhand von Gestik oder Mimik auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können. Und leider suggerieren spannende und witzige Statusmeldungen oder Fotos schnell, dass dieser Mensch eben besonders interessant und spannend sein muss – selbst wenn das in Wahrheit gar nicht stimmt. Was hilft?

Zahlenspiele im Reality-Check

Einfach logisch denken: Zum Beispiel gelten bei Twitter die reinen Followerzahlen als Qualitätskriterium. Wer viele Follower hat, muss besonders interessant, witzig oder informativ sein. Twitter-Accounts werden ab einer bestimmten Größe zum reinen Selbstläufer, dem immer mehr Menschen folgen – nach dem unreflektierten Motto: 15’000 Follower können nicht irren. Berühmtheiten wie Sascha Lobo oder Dieter Nuhr haben es dank dieses Mechanismus auf einige zehntausend Follower gebracht. Doch ist Masse wirklich ein Qualitätskriterium?

Machen wir den Reality-Check. Medienpädagoge und Social Media-Analyst Thomas Pfeiffer veröffentlicht regelmässig ein Twitter-Ranking der besonderen Art. Dabei werden nicht etwa die reinen Followerzahlen, sondern nur die Follower gezählt, die auch selbst auf Twitter aktiv sind. Mit überraschenden Ergebnissen: Offenbar sind im Schnitt nur ein Drittel der Menschen, die den Top-Twitterern folgen, überhaupt selbst bei Twitter aktiv. Der ganze Rest sind Karteileichen, die vielleicht ab und an mal bei Twitter vorbeischauen, um etwas nachzulesen oder die sich irgendwann mal angemeldet, mittlerweile aber die Lust verloren haben. Sie alle werden bei der offiziellen Follower-Statistik trotzdem mitgerechnet.

Wie viele Menschen lesen wirklich mit?

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Das kann die Statistik erheblich verzerren: Ein erfolgreicher Twitterer hat vielleicht 10’000 Follower, wird aber in Wirklichkeit von viel weniger Leuten gelesen als ein neuerer Account mit nur 1’000 Followern. Auch bei Facebook gibt es solche Karteileichen, wenn z. B. Menschen eine Seite „Liken“, diese dann aber in ihrem persönlichen Nachrichten-Feed verbergen: Real werden dann die Nachrichten weniger gelesen, auch wenn die Statistik nach wie vor gut ausschaut.

Wie absurd das ist, beweist ein Vergleich mit anderen Medien: Das wäre so, als würde eine Zeitung statt der aktuellen Auflagenzahlen veröffentlichen, wie viele Menschen jemals eine Ausgabe dieser Zeitung gelesen haben. Wie viele Freunde oder Follower ein Mensch oder ein Unternehmen bei Twitter, Facebook und Co. hat, ist also kein Qualitätskriterium. Schon auch deshalb nicht, weil sich diese Zahlen kinderleicht manipulieren lassen und es bereits zahlreiche Dienstleister gibt, die mit gefakten Fans oder Followern gutes Geld verdienen.


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