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Offenlegung & Urheberrechte: Bildmaterial erstellt im Rahmen einer kostenlosen Kooperation mit Shutterstock.
Von Jennifer Dühnfort (Mehr) • Zuletzt aktualisiert am 15.12.2023 • Zuerst veröffentlicht am 26.02.2016 • Bisher 6846 Leser, 3887 Social-Media-Shares Likes & Reviews (5/5) • Kommentare lesen & schreiben
Im Internet herrscht das Content-Marketing: Headlines für Googleability, Texte mit Bullet-Points, Tabellen und Fazit. Wie soll eine SEO-tauglicher Text aussehen? Und ist das überhaupt noch kreativ?
Christian Brecht ist Drehbuchautor. Was ihn zusätzlich auszeichnet sind seine redaktionellen Fähigkeiten, die er parallel zum Drehbuch, einfach nur als Autor, an den Tag legt. In Zeiten der Google-Herrschaft läuft die Kreativität der Drehbuchautoren mit den Voraussetzungen für ein erfolgreiches Ranking oft nicht konform. Oder? Ich war neugierig und habe mich mit Christian getroffen. Es ist nicht unüblich, dass sich Autoren unterschiedlicher Bereiche außerdem redaktionell austoben und qualitativ hochwertige Texte produzieren.
Wie das genau geht, wollte ich von ihm wissen und habe ihn gebeten, mir eine Stellungnahme zum modernen Texten unter Berücksichtigung der SEO-Richtlinien zu geben. Wie reagieren Redaktionen und Verlage auf Kreativlinge wie Christian Brecht und warum treffen wir Drehbuchautoren immer häufiger hinter der Schreibtischplatte eben dieser Unternehmen an? Passt das mit SEO zusammen? Die Antwort war überraschend und folgte prompt in Form einer Kolumne über das Mysterium SEO unter den wachsamen Augen des Google-Giganten.
7:30 Uhr. Jefferson Airplanes „White Rabbit“ erklingt aus dem Smartphone und soll mich sanft in den Tag geleiten. Tut er aber nicht mehr, seit ich den Song als Weckton eingestellt habe und ihn jeden Morgen hören muss. Ich sollte mal die harte Variante ausprobieren: „Wake Up“ von Rage Against The Machine. Maschine. Gutes Stichwort.
Ohne Umschweife oder Kaffee fahre ich mein Tor zum digitalen Universum hoch. Mein elektronisches Flammenschwert. Ungläubige bezeichnen es lapidar als Laptop oder Notebook. Mein Chefredakteur Herr Schmidt verlangt einen SEO-Text zum Thema „Günstige Küchen“ bis um 11 Uhr („Punkt Elfhundert“, wie er gerne sagt). Der Text soll
Herr Schmidt liebt seine Stichpunkte. Ich glaube, er züchtet kleine Stichpunkte in seinem Garten. Dass der Text auf die Landingpage des Kooperationspartners verlinken soll – in diesem Fall ein geheimnisvoller Küchenherstellerverband – versteht sich von selbst. Vor allem aber soll der Text eines: Bei Google ranken. Und damit sind keine Schlingpflanzen gemeint.
Ich lehne mich zurück und starre aus dem Fenster. Die günstigen Küchen sind weit weg. Wie bin ich hierhergekommen? Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Was tue ich hier überhaupt? In den Anfängen meines SEO-Daseins hätte ich jetzt Sätze geschrieben wie „Hier gibt es Küchen günstig“ statt „Hier gibt es günstige Küchen“, nur weil das Haupt-Keyword „Küchen günstig“ auf exakt diese Weise hätte eingebaut werden müssen. Zeiten, in denen sich der Duktus von Online-Redakteuren den damals unterentwickelten Fähigkeiten der Googlebots anpasste. Zeiten, in denen ein Jan Böhmermann über derartige Sprachbehinderungen ein satirisches Musikvideo gedreht hätte.
Diese Zeiten sind vorbei. Die Zukunft ist jetzt! Die Googlebots, Googles hauseigene Webcrawler, sind schlauer geworden. Diese intellektuellen Spider, kleine Roboter-Spinnen mit Hornbrillen, strafen sinnlose Textmassen und Keyword Stuffing rigoros ab und verbannen Internet-Ungeziefer in die hintersten Winkel des Google-Spinnennetzes. Es geht jetzt um guten Content. Ein „guter“ SEO-Text? Einfach ein guter Text, der den User fesselt und ihm Mehrwert bietet. Der klassische SEO-Text, dieser missgebildete Hybrid aus „Inhalt“ und „Dinge verkaufen“, ist tot. Schöne neue SEO Welt.
Doch irgendetwas stimmt nicht. Irritiert mich. Der Gedanke kommt langsam, aber gewaltig. Kalte Schweißperlen auf meiner Stirn. Mein Herzschlag wie Trommelfeuer. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Alles ist eine Lüge.
Während ich apathisch auf den Desktop starre, werden all die Parallelen offensichtlich. Der Name meines Chefs, Schmidt. So wie Smith – Agent Smith. Die blaue Pille am Wochenende im Club. Sundar Pichai, Google-CEO. Oder sollte ich lieber sagen „der Architekt“? Die Googlebots wie Wächter, durchs Netz und unter die Haut crawlend, mit langen metallischen Tentakeln. White Rabbit, das weiße Kaninchen. Alice im Kaninchenbau. Die Welt hinter der Welt. Ich erkenne die schockierende Wahrheit: Ich bin ein Sklave meiner eigenen Texte. Ich bin gefangen in der Google Matrix.
Der nächste Gedanke ist nicht weniger beunruhigend: Wenn ich in der Matrix bin und soeben erweckt wurde, was tue ich jetzt? Wie befreie ich mich? Mir fällt der Blogger-Rebell Moritz Pheuser ein, der berüchtigt dafür ist, sich nicht an SEO-Vorgaben zu halten und trotzdem zu ranken. Geht das? Oder ist auch er schon Teil der Verschwörung? Aber Moment: MORitz PHEUSer. MORPHEUS! Das ist kein Zufall. Ich muss ihn finden, tiefer in den Kaninchenbau vordringen. Und mir wird klar: Ich bin Neo! OK, ich sehe nicht aus wie Keanu Reeves und kann kein Kung-Fu. Aber sonst auf jeden Fall. Das bedeutet Revolution. Endlich die Rote Pille. Freiheit! Ich muss vordringen ins Zion dieser digitalen Welt.
…kann genauso überflüssig sein wie andere Vorgaben. Ich habe Moritz Pheuser gefunden. Oder besser gesagt: Er hat mich gefunden. Er weist mich ein in die Kunst des Anti-SEO. Ich hinterfrage die immer neuen Gebote des Google-Gotts in seinem Elfenbeinturm aus Einsen und Nullen, die mit der Zeit genauer, aber nicht besser werden. Besser für wen oder was überhaupt? Besser für Google selbst. Besser für das, was Google als guten Text definiert. Für Googles Vorstellung von dem, was der Leser für gut befindet. Aber nicht zwangsläufig besser für den Leser. Das Ranken ist zum Selbstzweck geworden, zur Heiligen Kuh, die innen hohl ist.
Was, wenn die bestmögliche Headline nicht das Haupt-Keyword enthält? Was, wenn ein Satz verschachtelt ist und mehr als nur eine Kerninformation beinhaltet, und sei es nur zur Abwechslung? Was, wenn ich einen Artikel über Rechtschreibung verfasse und das Wort „Rechtschreibfehler“ absichtlich „Rchtschreibfehler“ schreibe, weil das vielleicht witzig und daher guter Content ist? Verstehen Crawler Spaß? Können Googlebots Ironie? Oder ist es nicht so, dass mich dieser kleine Gag im Google Ranking nach hinten katapultiert? Dass ich aufgrund eines kleinen Fehlers, der noch nichtmal einer war, in der digitalen Kanalisation verschwinde?
Morpheus-Moritz erklärt mir die neueste Verwirrungstaktik der Maschinenherrschaft: WDF*IDF. Die Formel! Bei WDF denke ich spontan an „What Da Fuck“. Es geht jedoch um das Ermitteln der Keyworddichte. Um Logarithmen. Um die verhältnismäßige Gewichtung eines Wortes innerhalb eines Dokuments sowie dessen Fähigkeit, den Inhalt des Dokuments zu erklären.
Ich sehe nur noch grünen Buchstabenregen. Den Text vor lauter Wörtern nicht mehr. Selbst wenn Formeln wie diese funktionieren, wenn sie ranken: Gute Texte anhand mathematischer Formeln? Haben die Maschinen „Der Club der toten Dichter“ nie gesehen oder haben sie ihn nicht verstanden?
Ich trainiere lyrisches Kung-Fu. Ich befreie meinen Geist, meine Finger und die Tastatur gleich mit. Ich halte mich nicht mehr an Mindestanzahlen wie „200 – 300 Wörter“. Wenn 150 verdammt gute Wörter ausreichen, dann reichen sie aus. Wenn der Inhalt 5.000 Wörter erfordert, dann schreibe ich sie. Wenn ich ein zusammenhangloses NOSCE TE IMPSUM! (Erkenne dich selbst!) in meine Texte einbauen will, dann tue ich es. Ich erkenne mich selbst. Ich erkenne, dass Vorgaben jedweder Natur wahre Kreativität immer einschränken werden. Dass Ranken ein zielloses Ziel ist. Dass Content nicht über ein gewisses Maß hinaus „gut“ sein kann, wenn Dir Leute schon vorher sagen, wie dieses „gut“ auszusehen hat.
7:44 Uhr. Ein SEO-Text braucht ein Fazit. Aber hier gibt es kein Fazit, denn es ist auch kein SEO-Text. Das hier ist gar nichts mehr so richtig. Nur ein Funken Hoffnung, der das Feuer der Text-Revolution weiter schüren soll.
Ich befreie meinen Geist, immer auf der Suche nach Klarheit und Menschenverstand. Ich muss mich entkoppeln. Mich von der Google Matrix abwenden, um sie zu beherrschen. Ich beginne meinen Text über günstige Küchen. Ich mache keine Keyword-Analyse. Ich schreibe einfach intuitiv so, dass ich selbst gerne etwas über günstige Küchen lesen würde. Nein, ich bin nicht NEO. Ich bin SEO.
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Jennifer Dühnfort ist Redakteurin bei der MenschDanke GmbH.Jennifer Dühnfort arbeitet als Redakteurin für die MenschDanke GmbH und ist zudem als freie Autorin und Journalistin tätig. Als Expertin für digitale Themen und Content Marketing, sowie für crossmediale Kommunikation und Edutainment kann Jennifer außerdem eine langjährige Erfahrung im Videospieljournalismus vorweisen. Alle Texte von Jennifer Dühnfort.
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Hä?
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