Wachstum ist das Todesurteil vieler Startups: Denn die entstehen oft spontan, disruptiv, chaotisch, aber auch flexibel. Doch das Drama beginnt, wenn das Unternehmen wächst: Wie können Unternehmen wachsen und dennoch agil bleiben und effiziente Strukturen bewahren?

Best of HR – Berufebilder.de®

Warum scheitern Startups?

Laut Best of HR – Berufebilder.de®-Autor Eric Ries, der mit seinem gleichnamigen Bestseller die Lean-Startup-Methode begründet hat, scheitern Startups aus zwei Gründen: Erstens versuchen sie zu früh, möglichen Unwägbarkeiten mit einer hieb- und stichfesten Stragie zu begegnen, die so nicht funktioniert. Denn Startups können mangels Erfahrung mit ihrem Produkt und den Kunden gar nicht wissen, wie die Zukunft aussehen wird; sie nehmen sich so die Möglichkeit, flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Zweitens kapitulieren sie und versuchen erst gar nicht, ihr Unternehmen zu lenken – es wird schon irgendwie laufen. Für Ries ist es aber alles andere als unsexy, sich schon frühzeitig mit Arbeits- und Führungsprozessen auseinanderzusetzen:

“Entrepreneurship ist Management. Ein Startup ist nicht nur ein Produkt, sondern eine Organisation und verlangt daher Führungskompetenzen, die auf den Kontext extremer Unsicherheit zugeschnitten sind.” Wie das genau aussehen soll, definiert Ries auch gleich: “Die grundlegende Aktivität eines Startups besteht darin, Ideen in Produkte umzuwandeln, die Reaktion der Kunden zu messen und daraus zu lernen, ob der eingeschlagene Weg fortgesetzt werden sollte oder Anpassungen erfordert. Alle erfolgreichen Startup-Prozesse sollten darauf ausgerichtet sein, diese Feedbackschleife zu beschleunigen.” In solch validierten Lernprozessen liegt für Ries der wahre Daseinszweck eines Startups: Lernen, wie man ein tragfähiges Geschäftsmodell aufbaut.

Schnell auf Krisen reagieren

Dazu gehört auch, schnell auf Krisen zu reagieren und vermeintliche Rückschritte in Kauf zu nehmen – wie die Berliner Online-Jobbörse Absolventa. Christoph Jost, Henning Peters und Pascal Tilgner waren bei der Gründung Ende 2007 teilweise selbst noch Studenten. Dank Venture Capital und einer Kooperation mit studiVZ hatten die drei schon nach wenigen Monaten 50.000 registriere Nutzer und 300 Firmenkunden, wurde gar als Startup des Jahres ausgezeichnet. Doch in der Wirtschaftskrise mussten sie erstmals Mitarbeiter entlassen, das Erlösmodell dem Markt anpassen und mit Investoren neu verhandeln. “2009 war kein Zuckerschlecken, aber für uns das lehrreichste Jahr überhaupt”, resümiert Geschäftsführer Jost. In der Folge wurden bisherige Abteilungsleiter ins Management geholt, das nun aus einem fünfköpfigen Team besteht: “Wir sind immer noch euphorisch, innovativ und beweglich, aber gehen neue Projekte vielleicht etwas strukturierter und weniger chaotisch an”, fasst Jost den Lerneffekt zusammen. Und macht die gemeinsamen Ziele klar: “Heute haben wir mit über 4000 Firmenkunden eine gesunde Basis. Unser Team will kein Wachstum um jeden Preis, sondern in einer Nische profitabel sein.”

Realistischen und messbaren Ziele zu definieren, damit tun sich jedoch erstaunlich viele Startups schwer. Dabei müssten sie am Anfang jeder Gründung stehen und nicht nur den Gründern klar sein, sondern auch den Investoren oder Mitarbeitern kommuniziert werden. Wie soll denn ein Unternehmen ohne klare Werte und Ziele überhaupt passend Mitarbeiter finden, die sich voll mit seiner Vision identifizieren können? Kein Wunder also dass viele Startups “besonders flexible Mitarbeiter suchen, die sich schnell in neue, noch nicht fix definierte Themen und Prozesse einarbeiten”, wie Journalist Jan Thomas Otte berichtet.

Fatale Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeiter

Das kann sich fatal auswirken. Charles Margerison und Dick McCann vom Institute of Team Management Studies in Brisbane zeigten, dass die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens vor allem auf der Energie motivierter Mitarbeiter beruht. Sie werteten die Aussagen von 151 000 Führungskräften und Teams in Australien, Europa, USA und Südostasien aus und kristallisierten acht Charaktere heraus: Zu ihnen gehört beispielsweise der entdeckende Promoter, der andere für Ideen begeistert, der zielstrebige Organisierer, der Rahmenbedingungen schafft oder der kreative Innovierer als klassischer Querdenker. Ein Team erbringt dann optimale Leistung, wenn alle acht Funktionen vertreten sind und gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten. “Viele Manager stellen Mitarbeiter ein, die ihnen ähnlich sind. Das ist menschlich. Gerade Startups mit ihren knappen Resourcen sollten aber komplementäre Charaktere finden, die ihre Rolle mit Begeisterung ausfüllen, um optimale Ergebnisse zu erreichen” sagt Kommunikationsberaterin Katharina Daniels, die das Buch “Anders wirtschaften. Was erfolgreiche besser machen” herausgegeben hat.

Auch der Erfolg des 2008 gestarteten Online-Marketeers plista aus Berlin beruht wesentlich auf den unterschiedlichen Charakteren seiner drei Gründer: Andreas Richter ist der Visionär und Techniker mit Weitsicht und Liebe zum Produkt. Dominik Matyka ist begnadeter Verkäufer, Netzwerker und Branchenkenner. Christian Laase kümmert sich um Organisation und Finanzen, aber auch emotionale Belange. Seit Herbst 2013 hält außerdem Jana Kusick als strategische Allrounderin im Management die Fäden zusammen. Für plista ist es wichtig “absolut passende Mitarbeiter zu gewinnen, die die Entwicklung mittragen,” sagt Laase. Daher machen die Mitarbeiter nicht nur gemeinsam Yoga, sondern treten beim Summoringen auch gegen die Chefs an oder gehen zweimal im Jahr auf Teamreise. “Wir nutzen natürlich auch ‘normale’ RecruitingWege, aber setzen gezielt Anreize, um einen bestimmten Schlag Mensch zu begeistern”, sagt Laase. Sein Team findet neue Mitglieder gleich selbst: “Über Empfehlungen haben wir einige unserer besten Köpfe gewonnen, weil unseren Leuten der Job Spaß macht und sie an die Firma glauben.” Mittlerweile hat plista 106 Mitarbeiter, konnte Investoren wie DuMont oder den NWZ-Verlag überzeugen und gewann allein 2013 100 neue Kunden. Begeisterung kann ansteckend sein.

Motivation ist abhängig von Führungsqualitäten

Motivation, so zeigt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft, hängt allerdings nicht nur von der Harmonie im Team, sondern auch von den Führungsqulitäten der Vorgesetzten ab. Alle Erwartungen der Mitarbeiter lassen sich auf die Schlüsselqualifikationen Anerkennung, Berechenbarkeit und Klarheit zusammenschmelzen. Markus Hornung, Chef des Trainings- und Beratungsunternehmens EQ Dynamics, nennt ein simples Beispiel: “Chefs, die sagen: ‘Ich würde vorschlagen, wir starten das Projekt vielleicht im Herbst’, lassen Mitarbeiter verzweifeln. Mit der Aussage: ‘Das Projekt startet im September unter der Voraussetzung, dass…’, sind hingegen eindeutige Vorgehensweisen verbunden.” Mitarbeiter frustrieren kann man auch so: Eine Umfrage von Comteam unter 250 Fach- und Führungskräften belegt, dass die Entscheider in 70 Prozent der Fälle von Beginn an bereits eine Lösung im Kopf haben, die sie durchsetzen wollen. Oft wird das Problem sogar nur zum Schein im Team diskutiert.

Kommunikation ist für viele Führungskräfte ‘nervig’: Man muss anderen etwas erklären, was man selbst schon durchdrungen hat. Gedanklich ist man schon in der Zukunft, während sich die Mitarbeiter noch in tiefer Gegenwart oder gar Vergangenheit befinden,” beschreibt Christian Brauner, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Detego das Problem und empfiehlt Führungskräften, sich stets die Frage zu stellen: Welcher Zielgruppe soll welcher Inhalt zu welchem Zeitpunkt in welcher Form kommuniziert werden? Nicht wenige Führungskräfte wollen jedoch erst gar keine Informationen oder gar Verantwortung abgeben. Gerade in Startups begegnen die Jung-Chefs der unsicheren Situation oft mit Kontrollwut. Wächst das Unternehmen dann, stauen sich alle Entscheidungen beim überlasteten Chef und hemmen so die gesamte Firma.

Autokratie ist eher Regel als Ausnahme

Autokratische Entscheidungsstrukturen sind eher Regel als Ausnahme, auch in Startups, selbst wenn diese gerne fehlende Hierarchien propagieren. Meinungen des gesamten Teams einzuholen oder gar Mitsprache einzuräumen, werde, so die Furcht, das Unternehmen träge machen. Wie lässt sich die vielbeschworene Schwarmintelligenz nutzen, ohne auf Flexibilität zu verzichten? Eine agile, pragmatische Organisationsmethode aus den USA hilft weiter. Bei Holacracy werden keine universell-perfekten Lösungen gesucht. Es geht immer um die jeweils zu diesem Zeitpunkt und zu diesem Anlass passende Handlungsalternative, die etwas verändert, aber definitiv keinen Schaden verursacht. Ziel ist einfach, mit einer neuen Idee weiterarbeiten zu können. Jede Entscheidung kann jederzeit durch eine bessere ersetzt werden. Das ermöglicht schnelle Reaktionen, nimmt den Druck und verringert die Angst vor Fehlern. Mitarbeiter und auch Kunden fungieren als Frühwarnsysteme für Probleme. Und weil sie jederzeit Ideen einbringen können, fühlen sie sich mitverantwortlich.

Wie wichtig Mitbestimmung für die Innovationsfähigkeit ist, hat John Oringer, Gründer der New Yorker Online-Foto-Agentur Shutterstock, bereits früh erkannt: “Das Management gibt nur ein allgemeines Thema wie ‘Neue Contenttypen’ oder ‘Globalisierung’ vor”, erklärt er. Daraus entwickeln dann die Produktentwicklungsteams eigenständig Ideen u.a. zur Bildsuche, für mobile Anwendungen oder um Angebote zu lokalisieren. Nur wenn die Ergebnisse zu sehr von der Unternehmensstrategie abweichen, greift das Management ein. “Zusätzlich testen wir die Webseite ständig, und stellen die Daten allen im Unternehmen zur Verfügung. So kann jeder stets neue Ideen entwickeln,” berichtet Oringer, der so zum Mitdenken motivieren will. Dazu dient auch der 24-Stunden-Hackathon, an dem das gesamte Team einmal pro Jahr teilnimmt. Eine Jury von Mitarbeitern und Fotografen entscheidet über die Gewinner-Idee, die dann auch umgesetzt wird. “Hieraus sind im Laufe der Jahre viele Produktinnovationen entstanden, zuletzt ein Suchtool, mit dem man nach Farbe der Bilder filtern kann,” berichtet der Geschäftsführer. Die Tech-Teams haben darüber hinaus mehrere kleine Hackathons im Jahr, so genannte “Code Rages” für Code-Innovationen und Effizienzsteigerungen.

Effizienz als Hauptaugenmerk

Effizienz ist Oringers Hauptaugenmerk: “Wir arbeiten weltweit, über große Entfernungen und in verschiedenen Zeitzonen gemeinsam an Projekten”, verdeutlicht er. Die Teams sind meist klein, um die Wege kurz zu halten, genutzt werden dabei eMails, aber auch Skype und Hangout sowie cloudbasierte Collaboration-Tools wie Google Drive. Das klappt selbst in kommunikationsintensiven Abteilungen: “Viele unserer Produktentwickler sitzen an unterschiedlichen Standorten, reden aber ständig über iPads miteinander”, berichtet Oringer. Auch 300 Mitarbeiter und der Börsengang 2012 haben daran nichts geändert: “Ich habe von Anfang an darauf geachtet, Kommunikationsabläufe genau zu dokumentieren. Daran sind alle gewöhnt”, erklärt Oringer. Sein Erfolgsrezept: Gute Organisation, der Mut, ungewöhnliche Ideen auszuprobieren und die Disziplin, flexible Strukturen aufrecht zu halten: “Es erfordert weit weniger Aufwand den Standardweg zu gehen oder gar sein eigenes Ding zu machen, als andere einzubeziehen,” sagt er.

Die drei Beispiele zeigen, dass sich Wachstum und Agilität bei Unternehmen nicht zwangsläufig ausschließen müssen – wenn Unternehmen klare Ziele definieren, die richtigen Mitarbeiter finden und diese optimal führen. Dazu gehören vor allem auch kurze Kommunikations- und Entscheidungswege sowie der Mut, sein Team in den Innovationsprozess zu involvieren.