Vermögensberatung, Finanzanalyse, Aktienkurse, Riester-Rente – für viele Kunden, die sich mit Altersvorsorge beschäftigen wollen, ein echtes Labyrinth. Dabei sind die Machenschaften der Finanz-Industrie keinesfalls seriös, wie diese Investigativ-Recherche aufdeckt.

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Die Machenschaften der Finanzindustrie

Eigentlich wollte ich nur für meine Rente vorsorgen. Riester- und Rürup-Rente gelten aus Verbrauchersicht als nicht rentabel und werden doch weiter empfohlen. Das ist kein Wunder wenn man die Fachkenntnisse der Finanzberater berücksichtigt – denn eine Ausbildung gibt es quasi nicht, wie diese Investigativ-Recherche in der Finanz-Industrie aufdeckt.

Um die Welt der Aktien und Fonds wirklich zu verstehen, habe ich dann undercover in der Finanzindustrie recherchiert und dort gearbeitet. Was ich dabei entdeckt habe, hat mich wirklich erschreckt. Zum Beispiel bei meiner Schulung als Finanzberater.

Denn meine erste Finanzfachschulung im Berufsbildungszentrum bestätigt genau meine Erwartung. Sie ist auf den Verkauf ausgerichtet und nicht auf Fachwissen für die Beratung. Das Thema heißt: Bausparen. Rund 30 angehende Vermögensberater sitzen in dem Unterrichtsraum, und der Dozent eicht uns darauf, zu wissen, was der Kunde alles erhält, wenn er einen Bausparvertrag abschließt: die Wohnungsbauprämie, die Arbeitnehmersparzulage, die Riester-Förderung und die Vorteile des gemeinsamen Sparens.

Hauptsache Potenziale bei der Vermögensberatung ausschöpfen

Und überhaupt sei Bausparen gerade in dieser Niedrigzinsphase ein cooles Produkt. Nach dem Motto: Sicher Dir doch einfach den günstigen Zinssatz von heute für irgendwann später, wenn Du ihn brauchst. Im Optimalfall für den Fall, wenn die Immobilien wieder günstig sind, weil die Zinsen wieder hoch sind.

Mit dieser ganzen Vorteilsargumentation kann der Vermögensberater umso leichter das Potenzial fürs Bausparen in Deutschland ausschöpfen. Zumal Deutschland zusammen mit der Schweiz im europäischen Vergleich absolutes Schlusslicht ist, wenn es um das Wohnen in den eigenen vier Wänden geht. Differenzierungen liefert der Dozent nicht. Wir erfahren nicht, was dem Kunden alles genommen wird durch Abschlusskosten und niedrige Guthabenzinsen.

So sammeln Finanzberater Karriereeinheiten sammeln: Raus zum Kunden

Verluste, über die der Kunde anscheinend nicht aufgeklärt werden soll. Deswegen lautet das Fazit des Dozenten wie ein Verkaufsauftrag: Jedem Kunden müsse nach der Analyse Bausparen genauso wie ein Riester-Produkt angeboten werden. Für den Vermögensberater sei das ein lohnendes Geschäft, weil Bausparen ein stornosicheres Produkt sei und deshalb für die Jagd nach Karriereeinheiten gut geeignet. Der Erwerb von Karriereeinheiten sei ohnehin das, worauf es ankomme. Deshalb gibt der Dozent mir und den anderen Schülern einen Rat auf den Weg: Wir sollen uns nicht zum perfekten Vermögensberater schulen. Wir sollen raus zum Kunden gehen!

Lechner hatte also recht mit seiner Einschätzung. Genau wie diese Pseudo-Schulung fallen die geplanten Rollenspiele aus. Mein Betreuer hält sie aufgrund meines Vorwissens nicht für nötig. Er beschränkt sich darauf, mit mir die Materialien durchzugehen, die ich bisher durchgearbeitet habe, vor allem den Gesprächsleitfaden für die Finanzanalyse mit dem Kunden. Jeder Vermögensberater bekommt diesen Leitfaden an die Hand.

Finanzberatung: So täuschen Sie gezielt Ihre Kunden

Zunächst mime ich den selbstbewussten Experten und mache den Leitfaden schlecht. Mal sehen, wie mein Betreuer darauf reagiert. Nach so einem Leitfaden könne ich nicht arbeiten. Der zwinge mich dazu, dem Kunden mit übertrieben unterwürfigen Fragen in den Hintern zu kriechen. Besonders, wenn es darum gehe, vom Kunden Empfehlungen zu gewinnen. Ich soll fragen:

Beratungsgespräch: Manipulation im Mittelpunkt

So kriecherisch träte ein Profi wie ich niemals auf. Schließlich hätte ich etwas zu bieten, gute Produkte und mein Know-how als Berater. Das würde ich dadurch entwerten. Mein Betreuer erlaubt mir, im Kundengespräch so selbstsicher aufzutreten und von dem Gesprächsleitfaden unabhängige Wege zu gehen.

Ich sage ihm jedoch nicht, dass ich den Gesprächsleitfaden als absolut unehrlich empfinde. Er soll vortäuschen, dass es nicht um den Verkauf von Produkten wie Riester oder Rürup geht. Vielmehr soll ich den Eindruck erwecken, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen, weil ich als Berater seine Wünsche zu erfüllen habe. Es ist aber genau umgekehrt:

Finanzanalyse: Sechs Millionen Kunden oder das Beweismittel der großen Zahl

Der Kunde soll sich um den Vermögensberater drehen, weil der ihm ein Produkt verkaufen will und muss. Die Finanzanalyse dient allein dazu, Anknüpfungspunkte für den Produktverkauf zu finden und das Gegenteil zu behaupten. Zu diesem Zweck soll sich der Vermögensberater zunächst selbst aufwerten, indem er sich als Teil des größten Finanzdienstleisters Deutschlands darstellt. “Was glauben Sie, lieber Kunde, sind die Gründe, warum wir in wenigen Jahrzehnten so viele Kunden gewinnen konnten?” Na warum wohl?

Es ist das übliche Beweismittel der großen Zahl, das dem Kunden in den Mund gelegt werden soll. Sechs Millionen Kunden können sich nicht irren. Im zweiten Schritt geht es darum, den Kunden an den Begriff Vermögensberatung heranzuführen.

Beratungsziel: Der Kunde soll das Gefühl haben, das Richtige zu tun

Dabei ist das Ziel, dem Kunden das Gefühl zu geben, er tue das Richtige, wenn er sich mit dem Thema Vermögensbildung beschäftigt. Gleichzeitig soll er erfahren, was zur Vermögensbildung alles gehört. Zu diesem Zweck soll ihm ein Berater seine Versäumnisse ins Bewusstsein rücken. Aber auch das schlechte Gewissen.

In erster Linie hat der Kunde Ansprüche, von denen er gar nichts weiß. Zum Beispiel gegenüber dem Staat. Ihm geht also Geld verloren, und die Aufgabe des Vermögensberaters ist es, ihn daran zu erinnern. Wie freundlich von ihm.

Der Vermögensberater in der Rolle als Helfer

So baut der Vermögensberater allmählich seine Rolle als Helfer auf. Ohne ihn gehe es nicht. Zu unübersichtlich sei der Markt. Zu zahlreich sei die Konkurrenz. Es gibt den Bankberater, den Versicherungsberater und den Bausparkassenberater. An jeden könne sich ein Kunde wenden. Führe das jedoch dazu, die Verwirrung zu überwinden, die der unübersichtliche Markt stiftet? Nein. Denn die böse Konkurrenz wolle nur eines: dem Kunden ein Produkt verkaufen. Doch wo bleibe da der Kunde mit seinen individuellen Bedürfnissen? Nirgendwo. Doch es gibt eine Lösung. Der Vermögensberater: “Was uns von allen Anbietern unterscheidet, ist, dass nicht die Produkte im Vordergrund stehen, sondern Ihre persönlichen Wünsche und Ziele.”

Nach dem Bericht von Lechner erscheint diese Gesprächsstrategie umso mehr wie eine dreiste Täuschung des Kunden. Sobald sich der Vermögensberater mit dieser Methode beim Kunden eingeschmeichelt hat, geht er dazu über, die Kreise immer enger zu ziehen. Deshalb stellt er den Beratungsfahrplan vor: 1. Bestandsaufnahme, 2. Auswertung, 3. Beratung, 4. Vermögensrealisierung und 5. Kundenpflege. Dabei soll der Vermögensberater auch das Bild des Navigators platzieren, der den Kunden an die Hand nimmt und ihn Schritt für Schritt zur Vermögensbildung führt.

Kunden manipulieren

Dienlich ist auch der Vergleich mit einem fürsorglichen Arzt. “Was erwarten Sie denn von einem Arzt, bevor er Ihnen ein Rezept ausstellt? Richtig. Eine gründliche Untersuchung. Das ist bei uns eine Finanzanalyse.” Anschließend legen beide los wie ein Arzt und ein Patient. Ich jedenfalls werde mich nicht auf einen Finanzvertrieb für meine Altersvorsorge einlassen, von dem ich weiß, dass er seine Berater anleitet, mich als Kunden in seinem Verkaufsinteresse zu manipulieren. Mit einer ehrlichen Findung meiner Bedürfnisse hat das nichts zu tun.

Doch warum wird der Kunde manipuliert? Weil die Produkte nicht gut genug sind? Eine Manipulation ist nach meinem Verständnis die Einflussnahme gegen die Interessen des Beeinflussten, und die ist im Vertrieb nötig, wenn ein Verkäufer etwas zu verbergen hat. Ein gutes Produkt muss nicht durch Manipulation an den Kunden gebracht werden. Es verkauft sich von selbst.