Für viele Unternehmen und Marketingleute ist dies das Entscheidende Thema: Erfolgsmessung und Reichweite in Social. Diese richtig zu messen, ist gar nicht so einfach.

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Twitter – Die Entdeckung der Einfachheit?

Mein liebstes Informations-, Kommunikations- und Filtertool ist und bleibt allerdings Twitter. Die Idee dahinter ist simpel, aber genau darin liegt der Reiz: Mehr als 140 Zeichen, die sogenannten Tweets, sind nicht erlaubt, um eine Information loszuwerden. Das zwingt den Absender, sich kurz und prägnant auf den Kern einer Aussage zu beschränken –  vermutlich einer der Hauptgründe für den Erfolg des Microblogging-Tools Twitter. Der andere dürfte sein, dass die kurzen Nachrichten oft mit einer Prise Humor, Ironie und Sarkasmus gewürzt sind. Nach einer Auswertung von Google Trends steht Twitter jedenfalls in der weltweiten Statistik auf Platz vier – hinter Facebook und zwei Netzwerken, die in Deutschland keine Bedeutung haben.

Die Tweets sind öffentlich und können auch über Google gefunden werden. Vor allem werden sie aber in der sogenannten Timeline all derjenigen Benutzer angezeigt, die meine Nachrichten abonniert haben – meine sogenannten Follower. Will ich jemandem Antworten, schreibe ich ein @ vor seinen Twitternamen (z.B. @simonejanson). Wenn ich eine Nachricht besonders gut finde, kann ich sie wiederholen (Retweeten) oder merken (Faven). Daneben gibt es sogenannte Direktmessages, kurz DMs, die nur für bestimmte Nutzer gedacht sind. Wörter innerhalb des Tweets, die ich besonders hervorheben will, markiere ich mit einem # als #hashtag, nach denen man gezielt suchen kann. Denn das ist eine weitere Besonderheit an Twitter: Anders als Google und viele andere Suchmaschinen, die Suchergebnisse indiziert und daher nur zeitversetzt anzeigen, tauchen Tweets sofort in der Suche auf. Dieser Echtzeitsuche hat Twitter seinen Ruf als schnellstes Nachrichtenmedium zu verdanken.

Und Twitter kann wirklich Zeit sparen. Zum Beispiel erhielt ich kürzlich in 140 Zeichen die Nachricht, dass mein Gasanbieter Insolvenz angemeldet hat. Per se kein Grund zur Freude, aber ich hatte bereits vergeblich Zeit in der Warteschleife der Hotline verbracht, um wegen der Rückzahlung nachzufragen und hatte eigentlich vorgehabt, wieder anzurufen. Das konnte ich mir nun gleich ganz sparen. Noch besser ist natürlich, wenn Unternehmen ihren Kundenservice gleich ganz über Twitter laufen lassen. Jüngestes Beispiel ist die Deutsche Bahn, die unter @DB_Bahn mit acht Mitarbeitern engagiert Kundenanfragen auch durchaus mit Humor beantwort. Danach gefragt, ob man seine französische Dogge in einer Reisetasche mitführen könne, entspann sich bei Twitter folgender Dialog: “@DB_Bahn: @Bertimaus Hunde bis zur Größe einer Hauskatze werden kostenfrei befördert… Ist Ihre Bulldogge denn größer als eine Hauskatze? @Bertimaus: @DB_Bahn nein, aber deutlich muskulöser und deshalb die reisetasche. das ist das einzige was 12kg hält… @DB_Bahn: @Bertimaus Wenn Ihr Hund deutlich muskolöser ist, ist er größer als eine Hauskatze. Daher muss der Kinderpreis gezahlt werden.”

Längst mehr als banal

Auch wenn ich das mit der Zeitersparnis ernst meine, dürfen Sie über das Beispiel lachen! Ganz ernsthaft aber ist das System mit den 140-Zeichen-Kurznachrichten ist so erfolgreich, dass es mittlerweile auch auf andere Systeme übertragen wurde, die zum Beispiel in Unternehmen genutzt werden. Zur Zeit gibt es weltweit gut 30 Anbieter von Enterprise-Microblogging. Das  Bekannteste ist Yammer, der einzige deutsche Anbieter ist Communote. Wie auch Twitter ermöglichen diese Tools Mitarbeitern, schnell und in Echtzeit Links und Informationen auszutauschen und so gemeinsam an Projekten zu arbeiten.  mit dem sich in einem firmeninternen Netzwerk nicht nur öffentliche und private Nachrichten sondern auch Dateianhänge verschicken lassen. Außerdem gibt es, anders als bei Twitter, ausgereifte Gruppenfunktionen und Diskussionthreads lassen sich verschlagworten und später wieder auffinden. Während etwa Unternehmenswikis immer auch den Anspruch auf Völlständigkeit der Information erheben, läuft die Kommunikation beim Microblogging völlig spontan und intuititv. Und wie bei Twitter können die Mitarbeiter auf diese Weise auch informelle Dinge kommunizieren – der klassische Flurfunk lässt grüßen. Dennoch gibt es einige gravierende Unterschiede zu Twitter, die den speziellen Bedürfnissen von Unternehmen geschuldet sind: Bei Communote beispielsweise lassen sich Dateianhänge mitschicken, was den eMail-Verkehr ersetzt. Es sind mehr als 140 Zeichen erlaubt und die Diskussionsthreads lassen sich verschlagworten, was die Nachvollziehbarkeit erheblich erleichtert. Die Software lässt sich in bestehende IT-Systeme integrieren, funktioniert auch hinter einer Firewall und berücksichtigt deutsche Datenschutzbestimmungen.

Twitter ist also längst mehr als ein Medium für banale Kurznachrichten, sondern ein echtes Produktuvitätstool. Dennoch sind die Vorbehalte bislang immer noch groß. Dem halte ich entgegen: Einfach selbst ausprobieren. Twitter ist, wie alle Sozialen Netzwerke, ja nicht nur ein reines Tool, sondern es steht und fällt mit den Menschen, die man dort wiedertrifft und kennenlernt. An ihnen liegt es, wir den gegenseitigen Austausch als fruchtbar, produktiv und innovativ oder als unsinnige Zeitverschwendung wahrnehmen. Wenn ich den richtigen Leuten folgen, die kluge Dinge von sich geben, bekommen ich über meine Timeline auch nützliche und wichtige Informationen. Ich weiß aber selbst noch, dass ich mich anfangs auch gefragt habe, wozu Twitter eigentlich gut sein soll. Damals war ich von Facebook noch sehr begeistert. Das jedoch hat sich mittlerweile grundlegend geändert.

Facebook: Ein durchgeknallter Kneipenwirt aus Kalifornien?

Mein Problem mit Facebook: Es wird mit wachsender Größe – mittlerweile sind es gut 750 Millionen Nutzer – immer unübersichtlicher. Zwar kann man bei Facebook tatsächlich jede Funktion wie Benachrichtigungen, das Verbergen von Meldungen, die man nicht lesen will, die Öffentlichkeit des eigenen Profils sowie seiner Daten usw. ein- bzw. abstellen. Die ständigen Änderungen lassen aber auch den geübtesten User schnell wichtige Einstellungsmöglichkeiten aus den Augen verlieren. Prekär: Wer nicht aufpasst, gibt aus purer Unkenntnis unfreiwillig Daten heraus. Denn alles für alle offen zu legen ist die Standardeinstellung bei Facebook. Wer das nicht möchte, muss sich erst zeitaufwändig durch mehrere Seiten klicken, um dann mühsam alle Einstellungen auf Privat zu setzten.

Doch nicht nur das macht Facebook so nervenaufreibend: Die ständigen großen und kleinen Fehler, die immer mal wieder auftreten, kommen noch hinzu. Nun mag man einwenden, dass es völlig normal ist, dass bei einer Seite von diesem Funktionsumfang mal hier und da eine Anwendung nicht funktioniert. Auch das die vielen Apps, die von externen Entwicklern für Facebook programmiert wurden, nicht immer hundertprozentig funktionieren, kann man kaum dem “blauen Riesen” selbst anlasten. Kritisch wird es allerdings wenn z.B. ganze  Unternehmensseiten in Facebook verschwinden. Der Hamburger Personalberatung Atenta ist das passiert. Nach zahlreichen Nachrichten an Facebook tauchte die Seite nach genau 30 Tagen wieder auf – ohne Erklärung. Wer bei Google den Suchbegriff “facebook page disappeared” eingibt, wird feststellen, dass das Problem kein unbekannter Bug ist. Für ein Unternehmen kann das den wirtschaftlichen Ruin bedeuten, wenn es sich zu sehr von Facebook abhängig macht.

Von der Website in Social Media? Ist das klug?

Für heftige Diskussionen in der Social-Media- und Marketingbranche sorgte einst das Männermagazin FHM, das seinen regulären Webauftritt schloss und seinen Onlineauftritt auf Facebook verlagerte. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass man da sein wolle, wo die eigenen Leser sind. Für die einen eine gute, folgerichtige Idee, weil man dort mehr Leser bei weniger Aufwand erreicht, für die anderen blanker Irrsinn. Vermutlich war aber das Betreiben der Website dem Verlag zu aufwändig geworden, denn nur ein halbes Jahr später wurde das Magazin eingestellt. Mittlerweile gibt ein anderer Verlag das Magazin heraus. Die Ironie bei der Geschichte ist, dass die neuen Macher offenbar nichts von der Facebook-Only-Strategie halten: Jedenfalls wird jetzt an einer neuen Internetpräsenz gearbeitet.

Kosten senken und Arbeitsaufwand verringern – wer wollte das nicht? Doch auch wenn der Schritt weg von der eigenen Seite hin zu Facebook verlockend erscheint: Lassen Sie es besser sein. Nicht nur macht man sich von Facebook unnötig abhängig, auch muss man sich mit den arg limitierten Möglichkeiten zur Seitengestaltung und anderen Einschränkungen abfinden. Martin Oetting, Gesellschafter und Forschungsleiter bei der Word-of-Mouth Marketingplattform trnd, hat das sehr treffend kommentiert:

“Facebook ist eine.. extrem erfolgreiche Kneipe. Die größte der Welt. 500 Millionen Menschen gehen aus und ein. Natürlich kann ich jetzt, wenn ich meine Getränke bekannt machen und vertreiben will, in der Riesenkneipe einen Tisch mit meinen Wimpeln schmücken und dort auch meine Getränke ausschenken lassen. Gute Idee. Aber deswegen soll ich meine eigene Kneipe schließen? Was ist denn, wenn der Wirt bei Facebook irgendwann mal keinen Bock mehr auf mich hat? Was ist, wenn er von heute auf morgen die Regeln ändert, und ich überhaupt nicht mehr rein darf? Was ist, wenn er mir einen Tisch direkt am Klo anweist, an dem es meine Kundschaft kaum noch aushält? Mir erscheint der Gedanke arg riskant, allein auf einen etwas durchgeknallten Kneipenwirt aus Kalifornien bei der eigenen Markenkommunikation im Internet zu setzen.”

Zeitfalle Internet

Facebook kann also nicht nur zu einem grandiosen Zeitfresser werden. Für Unternehmen, die sich nur darauf verlassen, kann es auch gefährlich werden. Dabei verspricht das Unternehmen seinen Usern ja das genaue Gegenteil: Die übersichtliche Anwendung aller notwendigen Kommunikationsmöglichkeiten auf einen Blick. eMails, SMS, Chat und Pinnwand-Nachrichten in einem. Ein komfortables Fotoalbum, die Möglichkeit, Videos anzuschauen und zu spielen… und und und. Und das alles auf nur einer Plattform, wo User sonst für jede Funktion ein anderes Angebot nutzen müssten. Klingt doch verlockend zu zeitsparend – oder? Kein Wunder also, dass Facebook seine User nun dazu auffordert, es als Startseite einzurichten: Facebook möchte zu unser aller ersten Anlaufstelle im Internet werden. Weil es so schön einfach ist.

Bei vielen klappt diese Methode auch sehr gut, wie ein Experiment der Schweizer Agentur Rod zeigt. 50 Probanden verzichteten gegen eine Aufwandsentschädigung von 300 Franken für 30 Tage auf Facebook. Andere Soziale Netzwerke waren erlaubt. Die Facebooklosen fühlten sich zwar einerseits sozial ausgegrenzt, gaben aber andererseits zu, konzentrierter zu arbeiten und auch zielgerichteter mit guten Freunden zu kommunizieren. Besonders frapierend: Die meisten hatten ihre gesamten Kontakte lediglich in Facebook organisiert. Das sich stets aktualisierende Telefon- und Adressbuch wirkt ja so bequem.Daten wie Geburtstage, Telefonnummern und eMail-Adressen von Freunden, Familie und Bekannten wurden einfach an keinem anderen Ort mehr notiert. Und: Viele ließen, da sie Facebook nicht nutzen konnten, den Computer gleich ganz aus. Das zeigt, wie sehr Facebook mittlerweile die Computer-Nutzung dominiert.

Mehr ist besser: Alternativen zu Facebook

Ein Tool für alle Aufgaben? Aus Zeitmanagement-Sicht klingt das sicher verlockend: Einmal Passwort eingeben, das wars. Und der Mythos hält sich hartnäckig – zum Beispiel auch, wenn es um Googles neues Netzwerk Google+ geht, das sich gerade anschickt, Facebook ernsthafte konkurrenz zu machen. Thomas Mauch etwa stellt bei imgriff.com verschiedene professionelle Einsatzmöglichkeiten von Google+ vor – etwa die Möglickeit, seine Lesezeichen hier zu speichern, Online-Lerngruppen zu organisieren oder Live Gruppendiskussionen im Video-Chat-Programm Hangout zu führen. Und er stellt die Frage, ob Google+ nicht vielleicht ein hervorragendes All-in-One-Arbeitsgerät abgeben könnte:

“Natürlich, alle dieser Funktionen lassen sich schon heute ganz prächtig mit verschiedenen Tools lösen – teilweise besser, weil sich diese Instrumente auf eine Aufgabe konzentrieren. Die Frage ist, ob die Leute beginnen, Google+ im Sinne einer All in one-Lösung zu nutzen. Die Features von Google+ eröffnen dem Netzwerk sicher das Potenzial dazu, mehr zu sein als nur ein Facebook-Klon. Beim Herumspielen auf Google+ hatte ich bis jetzt stark den Eindruck, dass sich die Plattform für einige Aufgaben im Business-Umfeld sehr gut eignen würde – etwas die Videokonferenzen oder die einfache Möglichkeiten, Teams in Circles zu organisieren. Die spannende Frage der nächsten Wochen und Monate ist, wie die User Google+ einsetzen und wohin sich die Plattform entwickeln wird.”

Es gibt immer was Besseres

Nun, ich bin anderer Meinung: Abgesehen davon, dass viele Nutzer aus datenschutzgründen Angst haben, ihre gesamten Daten auf einen Dienst zu konzentrieren und diese Sorge tatsächlich auch berechtigt sein mag, hat das auch handfeste praktische Gründe: Für viele Aufgaben gibt es eben tatsächlich bessere Tools, die mehr Funktionalität bieten. Denn spätestens wenn man von scheinbaren “Alleskönnnern” wie Facebook oder Google+ mehr möchte, als nur die vorgegebenen Standardfunktionen, stößt man an seine Grenzen. Wenn ich nur an die unzähligen Stunden denke, in denen ich versucht habe, bei Facebook spezielle Funktionen, die dann doch nicht funktioniert haben, so dass ich schließlich entnervt aufgegeben habe, dann glaube ich rückblickend, es wäre deutlich zeitsparender gewesen, gleich einen Spezialdienstleister aufzusuchen. Beispielsweise habe ich mich nie auf nur Facebook als Adressbuch verlassen: Mich haben einfach die fehlenden Import- und Exportmöglichkeiten gestört. Und mittlerweile ist auch ein Großteil meiner Facebook-Freunde dazu übergegangen, seine Daten gar nicht mehr einzutragen oder, aus Witz, falsche Daten zu nennen. Klar, auch viele Metzger verkaufen Brötchen. Aber der Bäcker nebenan bietet mehr Vielfalt und besser Qualität – und das ist mir nunmal auch wichtig.

Für Facebook könnte die All-in-One-Strategie zum Problem werden – eben weil die Nutzer von der Größe und Unübersichtlichkeit genervt sind. Wie das Magazin Business-Insider meldet, hat Facebook erstmals Nutzer verloren. Allein in den USA 6 Millionen in einem Monat. Und auch in Kanada, Großbritanien und Rußland ist ein Schwund zu verzeichnen. Google+ wird hingegen von vielen Nutzern für seine Übersichtlichkeit gelobt – aber auch das könnte sich irgendwann ändern, wie Gunther Dueck so schön sagt: “Hoffentlich hat Google die kluge Hand, alles so spartanisch zweckgetreu zu lassen. Vielleicht schaffen sie es, das Vertouristen, das Zudringliche und Laute draußen zu lassen. Ach, dann müssen wir nicht immer alle zwei Jahre umziehen.”

Seine Arbeitsaufgaben auf verschiedene Spezialtools zu verteilen, die diese Aufgabe deutlich besser erledigen, ist vielleicht manchmal gar nicht so verkehrt. Man liefert sich damit diesem einen Anbieter auch nicht auf Verdeih und Verderb komplett aus und ist dann darauf angewiesen, jede Veränderung, die Google oder Facebook vorschreiben,  mitzutragen. Oder auf den Punkt gebracht: Mehr ist manchmal weniger! Womit wir beim nächsten Punkt sind: Was bringt denn der ganze Social-Media-Zirkus überhaupt?

Schwanzvergleiche und Statistikneurosen

Die Journalistin Silke Burmester machte eines Tages eine fürchterliche Entdeckung: Nämlich dass ihr Kollege Cherno Jobatey der deutsche Journalist mit den meistern Fans auf Facebook ist. Weit über 5.000 Leuten gefällt seine Seite.  “Das kann ich nicht auf unserem Berufsstand sitzen lassen” befand Burmester und rief die Kampagne “Beat Jobatey” ins Leben: Sie rief dazu auf, bei ihrer eigenen Facebook-Seite “Die Kriegsreporterin” auf “Gefällt mir” zu klicken. Immerhin wirkungsvoll: Auch wenn Sie Jobaty bislang nicht geschlagen hat, hat sie mit dieser witzigen Aktion doch innerhalb einer Woche die Zahl ihrer ursprünglich gut 160 Fans verzehnfacht. Und die Aktion zeigt noch mehr: Nämlich wie absurd Zahlenspiele bei Facebook und Twitter sind. Und dennoch geht es für viele Social-Media-Einsteiger zuallererst um diese Frage: Wie bekomme ich möglichst viele Friends und Follower?

So wie die Hamburger Karriereberaterin Svenja Hofert, die auf ihrem Blog über ihren Einstieg und ihre Ziele bei Twitter berichtet: “Es könnte sein, dass ich dieses Wochenende oder Anfang nächster Woche den Sprung auf 500 Follower schaffe. Vorgenommen habe ich mir, bis Frühjahr auf 5.000 zu kommen. Als ich das meinem Twitter-Coach davon  erzählte, schaute die mich mit großen Augen an. “Es müssen immer die ganz großen Ziele sein, oder?” Ich gebe zu:  Ziele sind für mich wie Leitplanken.  Wie soll man “groß” erreichen, wenn man klein denkt? Ich habe gern meine Leitplanken, aber weiche auch davon ab, wenn sich die Dinge anders entwickeln. Bis Ende Oktober hätte ich im Traum nicht daran gedacht, einmal so viel Energie in ein komisches Portal zu stecken, über das man sich Kurznachrichten schickt.”

Zahlenspiele im Reality-Check

Dass bei Twitter und auch bei Facebook vor allem auf die Zahlen geschaut wird, ist nichts Ungewöhnliches. Bei selbsternannten Marketing-Strategen sowieso nicht. Auch in der Zeit vor Social Media ging es in den Medien um Zahlen wie die verkaufte Auflage, die Zuschauerzahlen, Visits oder Unqiue Visitors. Denn danach berechnen Marketeers ihren sogenannten Return of Investment, kurz ROI. Oder auf Deutsch: Die Entscheider in den Unternehmen wollen wissen, was hinten dabei rauskommt für das, was sie vorne etwas reinstecken. Und Zahlen klingen dabei immer gut. Wie sinnvoll die aber sind, wird selten hinterfragt. Aber auch Privatanwender schauen auf die Zahlen – und lassen sich durch die ständigen Schwanzvergleiche in Sozialen Netzwerken unter Druck setzen. Das ist wie in dieser “Mein Haus, Mein Auto, Mein Boot”-Werbung: Wer feiert die abgefahrensten Partys, hat die coolsten Freunde oder mach die abenteuerlichsten Reisen? In den USA ist daraus bereits ein neues Krankheitsbild entstanden, die Facebook-Depression. Behandelt werden Menschen, die in Sozialen Netzwerken weniger Freunde haben als andere und sich dadurch minderwertig fühlen.

Das ist natürlich eine blöde Selbsttäuschung, aber durch Soziale Netzwerke, die kurzen Statusmeldungen und geposteten Bilder, bekommen wir jederzeit und viel schneller mit, was unsere “Freunde” so treiben. Wie sehen zum Beispiel, wenn jemand im Job erfolgreich ist, tolle Reisen macht oder ein Kind bekommen hat. Und wir wünschen uns das auch oder glauben, das auch tun zu müssen. Denn Menschen sind soziale Wesen, die dazu tendieren, sich ständig mit anderen zu vergleichen. Das kann positiv sein, wenn uns das Vorbild von anderen anspornt, es ihnen gleich zu tun. Es kann aber auch zu einem Problem werden, wenn wir in dem Vergleich so schlecht abschneiden, dass wir eine Sache lieber gleich sein lassen. Genau das passiert bei der Facebook-Depression: Vor allem Menschen, die auch im “echten” Leben wenig soziale Kontakte oder Aktivitäten haben, fühlen sich zurückgesetzt, wenn sie das Treiben ihrer Mitmenschen so hautnah mitbekommen. Zumal sie es nicht, wie im persönlichen Gespräch, anhand von Gestik oder Mimik auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können. Und leider suggerieren spannende und witzige  Statusmeldungen oder Fotos schnell, dass dieser Mensch eben besonders interessant und spannend sein muss – selbst wenn das in Wahrheit gar nicht stimmt. Was hilft? Einfach mal logisch nachdenken: Ist es nicht ziemlich absurd, von einigen Fotos und Textfetzen auf den ganzen Charakter zu schließen? Und ist es nicht ebenso absurd, dass dieser idealisierte Mensch in unserem Vergleich grundsätzlich besser abschneidet?

Wer hat den Längeren?

So ähnlich verhält sich das auch mit Zahlenvergleichen im Netz. Zum Beispiel gelten bei Twitter die reinen Followerzahlen als Qualitätskriterium. Wer viele Follower hat, muss besonders interessant, witzig oder informativ sein. Twitter-Accounts werden ab einer bestimmten Größe zum reinen Selbstläufer, dem immer mehr Menschen folgen – nach dem unreflektierten Motto: 15.000 Follower können nicht irren. Berühmtheiten wie Sascha Lobo oder Dieter Nuhr haben es dank dieses Mechanismus auf einige zehntausend Follower gebracht. Doch ist Masse wirklich ein Qualitätskriterium? Machen wir doch einfach den Reality-Check.

Medienpädagoge und Social-Media-Analyst Thomas Pfeiffer veröffentlicht regelmäßig ein Twitter-Ranking der besonderen Art. Dabei werden nicht etwa die reinen Followerzahlen, sondern nur die Follower gezählt, die auch selbst auf Twitter aktiv sind. Mit überraschenden Ergebnissen: Offenbar sind im Schnitt nur ein Drittel der Menschen, die den Top-Twitterern folgen, überhaupt selbst bei Twitter aktiv. Der ganze Rest sind Karteileichen, die vielleicht ab und an mal bei Twitter vorbeischauen, um etwas nachzulesen oder die sich irgendwann mal angemeldet, mittlerweile aber die Lust verloren haben. Sie alle werden bei der offiziellen Follower-Statistik trotzdem mitgerechnet. Das kann die Statistik erheblich verzerren: Ein erfolgreicher Twitterer hat vielleicht 10.000 Follower, wird aber in Wirklichkeit von viel weniger Leuten gelesen als ein neuerer Account mit nur 1.000 Followern. Auch bei Facebook gibt es solche Karteileichen, wenn z.B. Menschen eine Seite “Liken”, diese dann aber in ihrem persönlichen Nachrichten-Feed verbergen: Real werden dann die Nachrichten weniger gelesen, auch wenn die Statistik nach wie vor gut ausschaut. Wie absurd das ist, beweist ein Vergleich mit anderen Medien: Das wäre so, als würde eine Zeitung statt der aktuellen Auflagenzahlen veröffentlichen, wie viele Menschen jemals eine Ausgabe dieser Zeitung gelesene haben. Wie viele Freunde oder Follower ein Mensch oder ein Unternehmen bei Twitter, Facebook und co. hat, ist also kein Qualitätskriterium. Was aber dann?

Karteileichen und Zukunfts-Orakel

Es gibt Tools und Zahlen,  die etwas mehr Aussagekraft ermöglichen als die reinen Follower- oder Friends-Zahlen. Zum Beispiel darüber, wie oft Tweets geretweetet oder Beiträge bei Facebok weitergegeben werden, wie oft ein Beitrag als Favorit markiert oder wie einflussreich sind wiederum die Freunde und Follower eines Accounts sind. Wer solche aktuelle Tools sucht: Einfach im Netz nach “Social Media Monitoring Tool” suchen. Das wohl beste Übersichts-Tool, zumindest für Blogbeiträge, ist der Aggregator Rivva, der das Social Web nach meist empfohlenen Artikeln und debattierten Themen durchsucht und diese übersichtlich auf einer Seite bündelt. Also Rivva-Gründer Westphal vor einigen Jahren aus Geldmangel das Ende seiner Seite ankündigte, was die Trauer im Netz groß. Dementsprechend wurde im Juni 2011 die Rivva-Rückkehr bejubelt – in über 20 Blogeinträgen und mehr als 300 Tweets.

Einen Schritt weiter gingen die Forscher am Laboratory for Information and Decision Systems des Massachusetts Institute of Technology. Sie beschränkten sich nicht einfach nur darauf, den Weg bestimmter Themen bei Twitter nachzuzeichnen, sondern haben, so meldet das Magazin Technical Review in seiner Online-Ausgabe, den Schlüssel zur Vorhersage zukünftiger Trends entwickelt. Das geschieht durch Algorithmen, mit deren Hilfe sich herausfinden lässt, welche Nutzer des Kurznachrichtendienst das Zeug haben, Informationen besonders schnell und weitläufig zu verbreiten. Dazu testeten die Forscher verschiedene Variablen wie zum Beispiel die Anzahl der Verbindungen, die ein Nutzer unterhielt oder die Nähe zwischen einzelnen Mitgliedern im Netzwerk. Dabei kristallisierte sich ein Wert heraus, den das Team “Rumor Centrality”, Gerüchtezentralität, nannten. Sprich: Zu jedem Thema finden sich Twitterati, deren Einfluss deutlich größer ist als der anderer Mitglieder ihres Netzwerkes. Aus diesen Ergebnissen entwickelten die Forscher die experimentelle Suchmaschine Trumor. Nutzer geben hier zunächst ein Thema vor und werden dann zu Tweets geleitet, die in nächster Zeit populär werden könnten. Das System kann außerdem bedeutende Nutzer für bestimmte Themenbereiche ermitteln.

Vor allem für viele Unternehmen, in denen nach wie vor die Angst vor den Auswirkungen von Social Media groß ist, mag diese Prognose wie der Himmel auf Erden klingen – oder doch zumindest wie ein Hoffnungsschimmer. Lässt sich da vielleicht das unberechenbare Social-Media endlich bändigen, vorausberechnen und in Marketing-Strategie-Korsett pressen? Vielleicht passieren am Ende genau solche Dinge nicht mehr: Im Oktober 2010 richtete die Deutsche Bahn, die bislang nur mit einem Account der Personalabteilung bei Facebook vertreten war, die Facebook-Seite zum Chefticket ein, die es mittlerweile nicht mehr gibt. Wer dort Fan wurde, konnte ein Chef-Ticket erwerben, mit dem er für 25 Euro eine einfache Fahrt in ganz Deutschland in der zweiten Klasse fahren konnte.

Wie der Hase mit der Möhre

Bedingung: Man musste zwischen dem 25. Oktober und 7. November buchen und zwischen dem 1. November und dem 15. Dezember reisen. Auf den ersten Blick eine gut durchdachte Marketing-Strategie, auf den Zweiten Blick hatte die Deutsche Bahn die Rechnung ohne  die Dynamik des Netzes gemacht – wie so viele andere Unternehmen vor und nach ihr. Zwar registrierten sich die Fans zu tausenden und kauften auch das angepriesene Chefticket. Allerdings taten die Kunden auch etwas, mit dem die Deutsche Bahn offenbar nicht gerechnet hatte: Sie machten massiv ihrem Ärger über das Unternehmen per Kommentarfunktion Luft. Und die Bahn standt hilflos daneben und reagierte einfach… gar nicht!

Die Frage ist: Lassen sich solche Fehler wirklich voraussehen? Leute vergesst das  – ganz schnell. Prognosen gehen in die Hosen – immer! Außer vielleicht im Falle von Oktupus Paul bei der Fußball-WM 2010. Kein noch so guter Alghorythmus kann die Zukunft berechnen, weil er menschliche Unwägbarkeiten und Zufälle nicht voraussehen kann, sondern die Zukunft immer nur aus bestehendem Datenmaterial berechnet. Menschen und Unternehmen, die auf Vorhersagbarkeit hoffen, leiden in Wahrheit an einem Kontrollfimmel. Und sie glauben auch noch immer an die klassische Möhren-Theorie: Man muss den Leuten die Message nur Lange genug vor die Augen halten, dann werden sie schon tun, was man will – z.B. das Produkt kaufen. Womit wir wieder beim Eingangsproblem wären: Quantität ist nicht Qualität. Wer Soziale Netzwerke nur dazu nutzt, möglichst viele Friends oder Follower zu gewinnen, wird am Ende ziemlich alleine dastehen. Denn Social Media effizient zu nutzen bedeutet eben nicht, eine möglichst breite Masse an Freunden oder Followern wahllos zuzuspammen. Viel mehr geht es darum, möglichst zielgerichtet die Leute zu erreichen, die auch die eigenen Interessen teilen. Dazu muss man zuhören und Informationen teilen. Dialog statt Monolog. Talkrunde statt Castingshow. Oder, wie Peter Kruse sagte: Intuitiv auf den Wellen mitschwimmen statt an starren Strategien festzuhalten. Echtes unternehmerisches Denken eben. Nur dann wird man dauerhaft wahrgenommen. Die Deutsche Bahn hat das,so zeigen ihre Twitteraktivitäten, nun offenbar verstanden.

Wer dennoch lieber bei der Möhre bleibt, der sollte tatsächlich seine gesammelten Energien darauf richten, so viele Friends und Follower wie möglich zusammenzubekommen. Dabei ist er in bester Gesellschaft. Denn vielen Nutzern kommt es einzig und alleine darauf an, viele Follower zu sammeln. Daher retweeten sie zum Beispiel alles, was irgendwie nach einer interessanten Überschrift kling – häufig, ohne die betreffenden Inhalte überhaupt gelesen zu haben. Denn auf Qualität und darauf, ob die Leute auch mitlesen und mitdenken, kommt es ja gar nicht an! Nur: Beschweren Sie sich nicht, wenn Ihnen hinterher keiner mehr zuhört und sie niemand mehr ernst nimmt.