Normalerweise schaue ich Anne Will nicht. Gestern ging es aber nicht nur um ein jobrelevantes Thema – Stress, Druck, Mobbing – der Chef als Feind – nein, einer meiner Autoren war auch Talkgast, Zuschauen also ein Muss. Nur: begeistert ist anders!

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Wo Blut fließt, gibt es auch Zuschauer

Hinterher ist man immer schlauer und so weiß ich jetzt wieder, warum ich Sonntags normalerweise nicht Anne Will schaue und auch sonst Talk-Runden meide wie der Teufel das Weihwasser. Denn die Strategie ist immer die selbe – und mit kritisch, hintergründigen Polit-Talk hatte das gestern herzlich wenig zu tun!

Auf den Stühlen sitzen Gäste aus möglichst unterschiedlichen Lagern, in der Hoffnung, dass diese sich möglichst quotenträchtig in die Wolle kriegen. Denn wo Blut fliest, gibt es auch Zuschauer. Und jeder Talkgast hat seine Rolle.

Ich kenne das übrigens noch von meiner eigenen TV-Talkrunde, zu einem weit weniger kontroversen Thema, nämlich Perfektionismus. Auch damals waren wir uns gar nicht so uneinig, aber wer weiß, wie der Hase lief, kann in so einer Sendung mit guter Rhetorik punkten – während man selbst total nervös auf seinem Stühlchen hockte und das Adrenalin durch die Adern schoss.

Gut und Böse

Bei Anne Will waren die Rollen klar verteilt: Arbeitgeber-Anwalt Helmut Naujoks, der hilft, selbst unkündbare Mitarbeiter loszuwerden, war der Buhmann. Auch Managementberater Roland Jäger, angetreten mit der These, das viele Chefs einfach zu kuschelig-nett seien, saß neben Naujoks eher in der bösen Ecke rechts von Anne Will (so war tatsächlich schon die Aufteilung im Studio angelegt).

Links saßen die Guten: Unternehmer Dirk Roßmann, Theologe und Publizist Friedrich Schorlemmer sowie ver.di-Bezirksgeschäftsführerin Henrike Greven. Da man sich die ganze Sendung unter bzw. später in der Mediathek anschauen kann, beschränke ich mich darauf, Meinungen Kund zu tun – nicht nur meine, sonder auch die, die in der Diskussion aufkamen.

Die Polemik-Falle

Die Talkrunde war ein sehr schönes Beispiel dafür, dass die Medien und speziell das Fernsehen von Vereinfachung, Polarisieren und Polemik lebt – und dass alles andere gerade bei so einem Format (leider) nicht funktioniert. Denn eigentlich waren sich zu Anfang der Sendung alle einig, dass man das Thema differenziert betrachten müsste… aber das änderte sich bald..

Blass und ein wenig altmodisch wirkte in der Diskussion die die ver.di-Dame. Herr Schorlemmer hatte wahrscheinlich die dankbarste Rolle, ruhig, sachlich und differenziert die Arbeitnehmer in Schutz nehmen zu dürfen. Über Herrn Naujoks braucht man gar nichts zu sagen: Er wirkte schon optisch ausgesprochen fies und war der Buhmann der Sendung.

Unternehmer mit Entertainer-Qualität

Der “Star” des Abends allerdings war Dirk Roßmann, Chef der gleichnamigen Drogerie-Kette. Rhetorisch geschult fuhr er anderen gerne mal über den Mund – ganz der Ritter ohne Furcht und Tadel im Kampf um die Arbeitnehmerrechte. Genau der Chef, den man sich wünscht!

Ich sag es gleich, ich bin aus eigener schlechter Erfahrung sekptisch, wenn Leute sich selbst schönreden. Nun mag Roßmann sogar ausgezeichnet worden sein und auch negative Medienmeinungen (wie z.B. über Schlecker) sucht man bei ihm vergeblich. Allerdings sind auch längst nicht alle Arbeitnehmer begeistert, wie man auf der Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu nachlesen darf.

Nur keine differenzierten Argumente!

Insofern fand ich es ein wenig daneben, wie Roßmann den Management-Coach Roland Jäger anging – denn eigentlich warben beide für einen fairen Umgang mit Mitarbeitern und auch Roßman gab zu, dass nicht alles immer Eitel-Sonnenschein sein könnte.

Über Jägers etwas unglücklichen Ausdruck “Faule Eier” kann man sicher streiten, aber im Prinzip bemühte er sich um eine ehrliche, differenzierte Analyse der Situation in vielen Unternehmen. Dafür war nur leider einfach keine Zeit in 45 Minuten  – und zugegeben, Roßmann war einfach unterhaltsamer!

Ewig die selben Klischees

Was mich an der ganzen Sendung störte: Es wurden mal wieder alle Klischees bedient! Ein Konsequenter Führungsstil wurde per Einspielfilm mit Drohen und Druck-Aufbauen assoziert. Aber genau das sind die Negativ-Beispiele! Ich habe mir das im Vorfeld schon gedacht!

Leider funktioniert das, wie die Kommentare im Blog zur Sendung zeigen, immer noch hervorragend, denn geht es nicht um sachliche Argumente, sondern gefühlsmäßige Antipathien gegen Naukjos und auch Jäger. Bei Twitter wurde zum Glück teilweise etwas differenzierter diskutiert.

Komplexes Thema

Ich finde, man muss das ganze Thema differenzierter schen, schließlich ist das alles ziemlich komplex!

Konsequente Führung besteht doch vor allem darin, dass mein Chef Verantwortung übernimmt und auch mal unliebsame Entscheidungen fällt, die ihm vielleicht nicht die Liebe seiner Mitarbeiter einbringen, aber vielleicht Respekt – und die langfristig für das ganze Unternehmen und alle Mitarbeiter gut sind.

Chef sein kann einsam machen

Chef sein kann schließlich auch einsam machen, dafür habe ich im Freundeskreis auch mehrere Beispiel: Wer aufsteigt, wird z.B. von den Kollegen nicht mehr zu Partys eingeladen, weil die Situation ja doch anders ist – ganz gleich, wie sehr der Chef auch versucht, gerecht, freundlich und sympathisch zu sein.

Im Gegenteil, ein Chef, der dann ständig versucht, sympathisch rüberzukommen, würde in meinen Augen nur lächerlich wirken.

Auch mal an Kleinunternehmer denken!

Dabei habe ich übrigens nicht die großen Konzerne im Augen, bei denen sicher vieles im Argen liegt, sonder kleine Unternehmen, die oft nur mit wenigen Mitarbeitern auskommen und auch unter permanentem Druck z.B. gegen die Konkurrenz stehen.

Und die übrigens mit sehr viel Mühe ein eigenes Unternehmen hochziehen, in einem Land, wo das alles andere als einfach ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Schließlich gilt man als Selbständiger oft auch als verrückt, so mancher fragt sich, warum er  nicht gleich Hartz IV beantragt. Auch darüber habe ich schon öfter mal geschrieben.

Vorne hipp, hinten pfui

Und ich denke an meine eigene schlechte Erfahrung mit einem Chef, der einfach auch keine klaren Erwartungshaltungn formulieren konnte und Aufträge vor allem über niedrige Preise hereinholte, weil er in Verhandlungen nicht das Selbstbewusstsein hat, sich durchzusetzen. Daher ist er dann gezwungen, ständig seine Mitarbeiter auszubeuten. Auch nicht das gelbe vom Ei!

Gerade in der Medienbranche ist das übrigens gar nicht so unüblich, dass Chefs sich besonders locker und hipp geben – und es dann in Wirklichkeit gar nicht sind. Das ist Teil des jungen, trendigen Mythos, der diese Branche umgibt – und der jedes Jahr wieder Herschaaren von jungen Menschen dazu verführt, kostenlos als Kabelträger zu arbeiten. Spitze!

Ich denke nur an Konstantin Neven-Dumont, den ich zwei Wochen vor seiner unrühmlichen Entlarvung durch Stefan Niggemeyer noch live erleben durfte: Insgesamt wenig Konzepte für die Online-Strategie des Unternehmens aber sich selbst auch eher als Philosoph sehend – ich hätte mir in dem Vortrag einfach mehr fakten gewünscht.

Jeder Jeck ist anders

Ich persönlich würde mir, wenn überhaupt jemals wieder, einen Chef wünschen, den ich aufgrund von Fachkompetenz und Verantwortungsbewusstsein respektieren könnte. Ob der Hipp rüberkommt und toll reden kann, wäre mir egal.

Aber das ist genau der Punkt: Ich habe Probleme mit Leuten, die ich nicht respektieren kann. Anderen Leuten ist das vielleicht völlig egal. Menschen mögen und brauchen unterschiedliche Führungsstile und jeder Chef führt auch anders. Daher hat doch Roland Jäger völlig recht: Man muss sich seinen Chef aussuchen können!

Mehr Mut Bitte!

Natürlich fiel man ihm da sofort ins Wort, mit dem Argument, dass dann immer kommt: “Die Leute haben gar keine Wahl!” Ich bin der Ansicht, und zwar aus eigener Erfahrung, dass man immer eine Wahl hat – auch wenn es sicher manchmal schwer ist. Aber dazu gehören Mut und Engagement, etwas an einer Situation zu verändern.

Das sagt übrigens auch Günther Wallraff (nach dem in den Kommentaren zur Anne-Will-Sendung immer wieder gerufen wurde). Der war für seine Reportage über die Zustände bei einem Lidl-Zulieferer auch als Jobkiller kritisiert worden. Seiner Meinung nach sind die Leute, dass sie jetzt da raus sind. Motto: Besser gar kein Job als ein Mieser.


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