Mitarbeiter finden ist nicht schwer, gute zu halten um so mehr – könnte das Motto bei vielen Unternehmen lauten. Doch was tun Unternehmen, um ihre guten Mitarbeiter zu halten? Und welche Unternehmen sind besonders erfolgreich?

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Wie funktioniert Retention-Management

LinkedIn-Mitbegründer Konstantin Guericke geht ungewöhnliche Wege, um Mitarbeiter und Geschäftspartner besser kennenzulernen: Er wandert. “Spezielle Erfahrungen beim Wandern oder gemeinsames Essen schweißen zusammen”, sagt Guericke, der nach LinkedIn in unterschiedlichen Unternehmen arbeitete und heute Partner des Berliner Venture-Capitalisten Earlybird ist. “Es geht darum, Vertrauen aufzubauen”, erklärt er seine Philosophie, die das Credo der Mitarbeiterbindung sein könnte – und die ist gerade in der dynamischen IT- und Digitalbranche dringend notwendig. Denn laut einer aktuellen Studie der Bitkom fehlen in Deutschland insgesamt 41.000 IT-Spezialisten, allein in der ITK-Branche sind 16.500 Stellen unbesetzt. Doch auch häufige Fluktuation hemmt Wachstum und Innovationskraft – zum Beispiel durch ständig neue Einarbeitung oder wegen des bürokratischen Aufwandes. So sind zum Beispiel Unternehmen verpflichtet, “Personalakten 10 Jahre lang zu archivieren und jederzeit vorzuhalten”, wie Regina Mühlich, Datenschutzbeauftragte von AdOrga Solutions erklärt.

Daher ist es für Unternehmen nicht nur wichtig, gute Mitarbeiter zu finden, sondern sie auch langfristig zu binden. Laut einer Studie der Leuphana Universität Lüneburg setzen 37 % der befragten Unternehmen beim Retention Management auf finanzielle Anreize, weitere 37 % auf eine Verbesserung der Unternehmenskultur, je 13 % achten auf eine positive Führungskultur und kümmern sich um die Work-Learn-Life-Integration. Die Studie zeigt auch: Nur über finanzielle Anreize lassen sich Mitarbeiter nicht langfristig binden. Erfolgreicher sind jene Unternehmen, in denen sich die Mitarbeiter auch persönlich stark mit ihrem Job identifizieren.

Vom StartUp zum alteingesessenen Familien-Unternehmen

Wer bekommt Mitarbeiterbeiterbindung besser hin? Startups oder alteingesessene Familienunternehmen? In meinem Beitrag beleuchte ich daher vier Unternehmen unterschiedlicher Größe und Ausprägung, die mit teilweise sehr unterschiedlichen Strategien der Mitarbeiter-Bindung arbeiten:

  1. Die Berliner Fonpit AG mit 64 Mitarbeitern bietet quasi Fun und Benefits im StartUp
  2. TravelBird mit Sitz in Amsterdam und deutschen Investoren (Global Founders Capital von Oliver und Marc Samwer und Fabian Siegel), versucht erst gar nicht mehr seine Knapp 600 Mitarbeiter an einen Tisch zu bekommen. Es bietet stattdessen ein Mitarbeiter-Referral-Programm und eigene Akademie fürs Wachstum.
  3. Das von zwei Esten mit Skyp-Wurzeln gegründete Londoner Unternehmen TransferWise punktet mit Bekanntheit, die es Investoren wie dem Facebook-Investor Peter Thiel und Virgin-Gründer Richard Branson sowie seiner Auszeichnung European Tech StartUp-Award zu verdanken hat – und außergewöhnlichen Striptease-Aktionen in London und New York.
  4. Der 80 Jahre alte Münchener Kommunikationstechnik-Spezialist Rohde und Schwarz, ein Familienunternehmen mit rund 10.000 Mitarbeitern, hat schhließlich eine Fluktuationsrate von unter einem Prozent und investiert kräftig in seine Mitarbeiter: In die Einarbeitung (mindestens 1 Jahr), die Berufsausbildung (quasi alle Azubis werden übernommen) und sogar Studienfinanzierung für Azubis, die nochmal zur Uni wollen.
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Fun und Benefits im StartUp

Feel Good Management ist ein aktueller Trend, der das ermöglichen soll. Die Berliner Fonepit AG mit 64 Mitarbeitern hat dazu eigens eine Feel Good Managerin eingestellt, die sich um das Wohlergehen der Mitarbeiter kümmert. Sie organisiert wöchentliche, oft auch selbst zubereitete Mittagessen, das alle gemeinsam einnehmen, monatliche Afther-Work-Events, Mitarbeiterpartys, gemeinsame Teambuilding– und Sportangebot und kümmert sich in Zusammenarbeit mit einer Krankenkasse auch um das Gesundheitsmanagement. Um zusätzliche Anreize zu schaffen, gibt es darüber hinaus für das Erreichen oder Übertreffen der Trafficziele Belohnungen vom täglichen gemeinsamen Mittagessen bis zum Wochenendtripp nach Mallorca oder ein neues Handy, wenn erfolgreich ein neuer Kollege empfohlen wird.

Denn: “Auch für uns ist es nicht einfach, die richtigen Mitarbeiter zu finden und zu halten”, erklärt HR-Managerin Claudia Schlüns. “Die Ansprüche werden differenzierter und wir müssen auch auf individuelle Wünsche eingehen.” Daher gibt es regelmäßig Mitarbeiterumfragen und -Gespräche sowie Weiterbildungsangebote: “Wir planen Deutschkurse für die vielen ausländischen Kollegen, auch ein dualer Studiengang wäre denkbar, weil wir sehr gute Erfahrungen mit Werkstudenten gemacht haben”, so Schlüns. Dieser Trend wird nach Meinung von Monika Kraus-Wildegger stark unterschätzt. Sie macht auf Goodplace.org Unternehmen mit Feelgood Arbeitskultur sichtbar und stellt fest: “Hier geht es nicht nur um Fun und Sport, sondern viel mehr um strukturelle Veränderungen, an denen Mitarbeiter partizipieren wollen. Dazu ist aber nicht jedes Unternehmen bereit.”

Referral-Programm und eigene Akademie fürs Wachstum

Alle Mitarbeiter an einem Tisch, um beim Essen das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, ist ein Konzept, das für TravelBird so nicht mehr funktioniert. Das Unternehmen mit Sitz in Amsterdam, zu dessen Investoren Global Founders Capital von Oliver und Marc Samwer sowie Fabian Siegel gehört, ist im vergangenen Jahr von 170 auf knapp 600 Mitarbeiter angewachsen, davon allein 70 aus Deutschland. “Unsere jungen Mitarbeiter wollen mit dem Unternehmen wachsen; wir bieten daher konstante Weiterentwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten”, sagt Ingrid Leonhardt, die sich als eine von 14 internationalen Recruitern vor allem um die deutschen Mitarbeiter kümmert und erläutert: “Ziel ist, dass jeder Mitarbeiter an dem für ihn optimalen Platz arbeitet.”

Daher gibt es ein Referral-Programm, in dem Mitarbeiter passende neue Kollegen gewinnen – wenn diese sich beweisen, gibt es einen Bonus. Und mit einer eigenen Academy bietet TravelBird Leadership oder Sales Trainings, technische Weiterbildungen und kreative Workshops an. “Dazu beschäftigen wir fünf Coaches, die aus der Praxis kommen und maßgeschneiderte Trainings entwickeln und jederzeit zu Rate gezogen werden können,” erklärt Leonhardt. Hingegen steckt die Kooperation mit Hochschulen auch bei TravelBird noch in den Kinderschuhen: “Wir arbeiten für Events mit Hochschulen zusammen, haben auch schon Hackathons veranstaltet oder unsere Mitarbeiter halten Vorträge”, so die Recruiterin und fügt hinzu: “Langfristig bieten sich hier aber sicher weitere Möglichkeiten, Kontakte zu potenziellen Mitarbeitern aufzubauen.”

Spaßfaktor bei Mitarbeitern muss sein

Doch auch der Spaß-Faktor kommt bei TravelBird nicht zu kurz: Das Unternehmen bietet ein quasi kostenloses Restaurant mit gesundem Essen, frisch gepressten Säften, Smoothies und eine eigene Kaffeebar ebenso wie ein Gesundheitsprogramm mit Yoga-Stunden, zweimal wöchentlich einem Masseur sowie ein Bootcamp mit Personal Trainer und eine eigene Fußballmannschaft. “Wir glauben, dass Mitarbeiter, die sich wohlfühlen, gerne zur Arbeit kommen und bessere Leistung zeigen”, so Leonhardt. Wie sehr das Teil des Personalmarketings ist, zeigen die Fahrräder, die TravelBird für seine Mitarbeiter subventioniert und verbilligt zur Verfügung stellt – versehen mit eigenen, gebrandeten Körben. Bei den Mitarbeitern kommen solche Maßnahmen, glaubt man einschlägigen Umfragen, gut an.

So zeigt ein Blick auf die Unternehmens-Bewertungs-Plattform Glassdoor, dass gesundes, kostenloses Essen, Sport, aber auch die lockere Atmosphäre besonders positiv bewertet werden – neben einigen negativen Stimmen, die die High-School- und Partystimmung kritisieren. Das deckt sich mit den Ergebnissen der Studie Recruiting-Trends der Universität Bamberg gemeinsam mit der Stellenbörse Monster.de: Für 94% der befragten Bewerber ist ein gutes Arbeitsklima wichtig, gefolgt von flexiblen Arbeitszeitmodellen und guten Karrierechancen. Und nach einer Studie des Beratungsunternehmens Universum ist Google, das mit dem man solche Optionen verbindet, seit Jahren der Top-Arbeitgeber in der IT-Branche.

Arbeitgeber-Attraktivität: Mehr als nur Bekanntheit?

Das zeigt auch, wie wichtig als Arbeitgeber eine gewisse Bekanntheit ist, ein Aspekt von dem auch das Londoner Unternehmen TransferWise profitiert: Gegründet wurde von den Esten Taavet Hinrikus, ehemals erster Mitarbeiter bei Skype und Kristo Käärmann, Investoren sind u.a. Facebook-Investor Peter Thiel und Virgin-Gründer Richard Branson, ausgezeichnet mit dem European Tech StartUp-Award. Als wäre das noch nicht genug, machten die Esten mit ausgefallenen Marketing-Aktionen auf sich aufmerksam, bei denen sich ein Teil der 300 Mitarbeiter in London und New York auf der Straße auszog und unter dem Motto “Nothing to Hide” gegen verdeckte Bankgebühren demonstrierte.

Käärmann sieht darin auch eine gut Methode, genau die passenden Mitarbeiter zu finden: “Wir erwarten, dass Bewerber unser Produkt schon nutzen. Und viele User bewerben sich auch, weil sie das Produkt cool finden.” Doch Marketing ist nicht alles, wie Jan Kirchner, Geschäftsführer der Personalmarketing-Agentur Wollmilchsau, erklärt: “Nachhaltig ist eine Arbeitgebermarke nur dann, wenn das Unternehmen die im Personalmarketing kommunizierten Arbeitgeberversprechen zu Karriereperspektiven, Firmenkultur und Unternehmenswerten auch in der Praxis lebt. Entpuppen sich die Versprechungen im Arbeitsalltag als leere Worthülsen, torpediert der Arbeitgeber selbst die Mitarbeiterbindung und befeuert die Mitarbeiterfluktuation.”

Berufsausbildung und Studienfinanzierung mit Struktur

Folgt man der Management-Beraterin Anne Schüller, haben solche Worthülsen unmittelbar negative Auswirkungen: “Wem es etwa an Positivem mangelt, wer also statt Aufmerksamkeit, Anerkennung und Respekt vor allem Desinteresse, Demütigungen und Enttäuschungen erlebt, und wer nichts mehr zu verlieren hat, der migriert in die Illoyalität” Laut Schüller sind unengagierte, illoyale Mitarbeiter die größten Umsatzvernichter eines Unternehmens – nicht nur weil sie selbst schlechter arbeiten, sondern auch, weil sie andere mitziehen. Die Gefahr sei dort am größten, wo es keine Fairness, keine Nähe, und aufgrund der ständigen Wechsel keine Bindungen gebe. Auch für Axel Stadtelmeyer, Geschäftsführer der Personalvermittlung Young IT Professionals in Heidelberg, liegt hier die Lösung des Problems: “Viele suchen den perfekten Kandidaten. Unternehmen sollten aber lieber in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren und aktiv Talentmanagement betreiben, dann brauchen sie gar nicht erst zu suchen.” Genau hier setzt der der Münchener Kommunikationstechnik-Spezialist Rohde und Schwarz an:

Das 80 Jahre alte Familienunternehmen mit rund 10.000 Mitarbeitern hat eine Fluktuationsrate von unter einem Prozent, investiert aber mindestens ein Jahr in die Einarbeitung seiner Mitarbeiter. Für Carolin Unger, Leiterin für Personalmarketing und Rekrutierung, ist Mitarbeiterbindung vor allem eine Frage der passenden Rahmenbedingungen: “Wir schauen zum Beispiel was die Gehaltsstrukturen und auch die Benefits angeht regelmäßig auf die Entwicklungen am Markt. Darüber hinaus bieten wir auch umfassende Sozialleistungen sowie Gesundheitsmanagement z. B. mit Leasing-Rad, eigenem Fitnessstudio, Physiotherapie und Gesundheitstagen, Kultur- und Freizeitangebote und Kindergartenplätze. Nur so gelingt es, führend am Markt zu sein und zu bleiben”, erklärt sie. Mit einer umfassenden Weiterbildungsstruktur von über 200 Angeboten pro Jahr und 30 Auszubildenden ist Rohde und Schwarz zudem sehr aktiv in der Mitarbeiter-Qualifzierung. “In der Regel werden alle Auszubildenden übernommen. Für die studierwilligen Auszubildenden bieten wir das Modell des Verbundstudiums an der Hochschule Dual an, daneben gibt es ein Förderprogramm für Interessierte, die bereits eine Ausbildung nachweisen können und ein Go-For-Master-Programm für Bachelorabsolventen”, so Unger, die durch regelmäßige Hochschulkooperationen auch Kontakt zu jungen Talenten hält: “Wir bieten auch Exkursionen für Studierende, vergeben Forschungsaufträge, stellen für Studierende Labor oder Equipment zur Verfügungen, entsenden Mitarbeiter als Lehrbeauftragte bieten Praktika oder veranstalten Wettbewerbe”.

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Fazit: Retention Management ist keine Einbahn-Straße

Die Beispiele zeigen: Retention Managements ist ein mehrdimensionales Konzept. Für Unternehmen ist es wichtig, die richtigen und passenden Maßnahmen für den eigenen Bedarf auszuwählen. Bei kleineren Unternehmen fallen diese eher spielerisch aus und es gibt noch Raum für Experimente. Je größer und erfahrener das Unternehmen ist, desto strukturierter wird auch gezieltes Retention Management bis hin zur Studienfinanzierung betrieben. Eines dürfte klar sein: Am Ende sind diejenigen Unternehmen erfolgreich, die ihren Angestellten die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit verdeutlichen und ihnen optimale Entwicklungsmöglichkeiten sowie Arbeitsbedingungen bieten.