Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. hat gestern sein aktuelles medien- und netzpolitisches Grundsatzpapier veröffentlicht. Mit nicht wenig Hybris als “Goslaer Programm” betitelt, will das Werk die “Rahmenbedingungen in einer diditialen Welt” aufzeigen. Indes: Der Inhalt ist erwartbarer Lobbyismus, konkrete Ideen – Fehlanzeige?

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Der Titel soll wohl an ein Parteiprogramm erinnern: Mit dem “Goslarer Programm” stellt der BVDW seine aktuellen Positionen zu Datenschutz, OnlineWerbung, Netzsperren, Urheberrecht, Netzneutralität, Jugendschutz und Verbraucherschutz vor. Selbst eine (ISBN 978-3-942262-28-6) hat man der Printversion verpasst.

In welche Richtung die Reise damit gehen soll, macht Matthias Ehrlich, Vizepräsident des BVDW, deutlich: “Wir stehen für die politischen Entscheidungsträger als offener und konstruktiver Partner zum Dialog bereit, um die großen gesellschaftlichen und ökonomischen Chancen im Netz zum Wohle aller zu verwirklichen.” An der Äußerung sieht man: In Wahrheit handelt es sich um einen zahnlosen Papier-Tieger.

Konkrete Anregungen? Fehlanzeige!

Das medien- und netzpolitischen Grundsatzpapier will alle zentralen Aspekte der digitalen Wirtschaft thematisieren und wirtschaftliche Zusammenhänge im Kontext politischer Entscheidungen sichtbar machen. Schade nur, dass das Program über das Thematisieren nicht hinausgekommen ist.

In der Pressemitteilung liest sich das noch freudig: “Der BVDW gibt Anregungen, wie die deutsche Internetwirtschaft wettbewerbsfähig gehalten wird und welche gesellschaftlichen Standards im Hinblick auf Verbraucherfreundlichkeit, Innovation und Datenschutz bestehen sollten.”

Merkwürdig schwammig

Im Progamm merkt man davon nichts, die Anregungen des BVDW bleiben merkwürdig schwammig. Immerhin hat man im Auge, wohin die Reise gehen soll: Die Verbraucher sollen möglicht immer mehr konsumieren. Kostprobe: “Mit innovativen Geschäftsmodellen, müssen Plattformbetreiber und auch Inhalteanbieter dem Kunden Angebote unterbreiten, die preislich attraktiv gestaltet sind und dem Nutzer einen Mehrwert bieten, z. B. ein reichhaltiges Musiktitel-Repertoire. Nur so kann es gelingen, die grundsätzliche Akzeptanz digitaler Inhalte zu erhöhen und eine intensivere Nutzung durch den Endverbraucher zu erzielen.”

Zusammenwerfen, was nicht zusammen gehört

Es ist allerdings kein Wunder, dass man sich nicht weiter dazu auslassen möchte, wie denn die innovativen, preislich attraktiven Inhalte zu finanzieren sind.

Denn zuvor hat sich der BVDW schon gegen Paid Content und die Kulturflatrate ausgesprochen. Letztere hat man gleich mit dem Leistungsschuztrech für Presseverleger in einen Topf geworfen – geschah das jetzt aus Unkenntnis oder mit Absicht?

Im Mittelpunkt des Urheberrechts steht der Verbraucher?

Überhaupt ist es kein Wunder, dass sich der BVDW für eine Justierung des Urheberrechts ausspricht. Wer da im Mittelpunkt steht, sagt der BVDW auch gleich: “Im Mittelpunkt der Überlegungen über ein zeitgemäßes Urheberrecht müssen die Bedürfnisse der Verbraucher stehen, denn ohne Verbraucher gibt es kaum Möglichkeiten den Markt für digitale Inhalte zu stärken. “ Wo die Urheber dabei bleiben und wie sie sich finanzieren sollen, sagt der BVDW nicht – oder doch?

Mit Paid Content jedenfalls nicht. Dazu heißt es pauschal, ohne dass irgendwelche fundierten Belege für diese Aussage vorgelegt oder Modelle wie Flattr auch nur mit einem Wort erwähnt werden:

Allerdings nimmt die Branche wahr, dass Verbraucher vielmehr eine an der jeweiligen Nutzung orientierten Bezahlung befürworten, als eine abstrakte, pauschale Vergütung. Anders stellt sich dies bei Anschlussentgelten dar, wie z. B. bei Telefon- oder breitbandigen Internetanschlüssen.

Kurz: Wir glauben, dass für unsere Telekommuniakationsangebote Flatrates O. K. sind, weil der Verbraucher eh zu blöd ist, die Preise durchzurechnen. Aber Verlage sollen das Modell bitteschön nicht nachmachen! Selbstredend werden gleich noch Seitenhiebe auf die Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verteilt.

Ohne Werbung geht es nicht?

Kein Wunder. Schließlich hat der BVDW klare Vorstellungen davon, wie sich Inhalte im Internet finanzieren sollen: Nämlich durch Werbung. Und die entscheidet – laut BVDW – darüber welche Inhalte es überhaupt gibt. Oder anders ausgedrückt: Ohne Werbung geht es nicht.

“Online-Werbung stellt den wichtigsten Faktor in der (Re-)Finanzierung von Webangeboten dar.  Ein Großteil der Online-Angebote steht dem Nutzer kostenlos zur Verfügung. Die Bereitstellung  der Inhalte muss jedoch von den jeweiligen Unternehmen mit teilweise enormen Kosten (vor-) des Internetangebots. Die Online-Werbung schafft damit zum einen überhaupt erst die Möglichkeit der Angebote.”

Welche grandiose Selbstüberschätzung – wenn Werbetreibende Unternehmen mit solchen Ideen gefüttert werden, brauche ich mich über diverse schlechte Erfahrungen ja nicht zu wundern. Wie gut, dass es auch andere Unternhmen gibt.

Werbung als Wert?

Allerdings kommt es noch besser: Denn der BVDW will uns allen Ernstes verkaufen, dass Werbung ja eigentlich selbst an sich schon ein Wert ist. Wir machen also demnächst alle Inhalte dicht und präsentieren den Verbrauchern nur noch Werbung? Fantastisch! Liebe Leute, denkt das bitte mal zu Ende!

Von einem intelligent gestalteten und eingesetzten Targeting im Bereich der Online-Werbung und damit für den Nutzer kann der Verbraucher dergestalt profitieren, als er dadurch Werbung mit Relevanz erhält. Werbung selbst wird für ihn zur werthaltigen Information.

Netzneutralität ist wichtig – aber bitte differenziert!

Natürlich ist es da auch kein Wunder, dass sich auch der BVDW, wenn auch indirekt, gegen die Netzneutralität ausspricht. Zwar sollen Technische Dienstleister und insbesondere Netzbetreiber keine Inhaltskontrolle betreiben  – nein! Aber Netzwerkmanagement sei auf jeden Fall nötig.

Die enorme Zunahme des Datenverkehrs mit hohen Engpässen vorzugreifen. zweistelligen Wachstumsraten und die Verlagerung immer wichtigerer und oft zeitkritischer Anwendungen auf IP-Basis erfordern, dass im Falle drohender Engpässe Maßnahmen getroffen werden können, um eine effiziente und den jeweiligen Erfordernissen Rechnung tragende Steuerung des Verkehrs zu ermöglichen. Dies kann in künftigen Netzgenerationen einhergehen mit Quality-of-Service-Zusagen für bestimmte Verkehrsklassen wie z. B. für Video- oder Gesundheitsanwendungen. Dabei hat allerdings die Entscheidung über die Priorisierung in der Wahlfreiheit des Nutzers, aber auch der Dienste-, Inhalte- oder Applikationsanbieter zu verbleiben zu verbleiben.

Der Verein Digitale Gesellschaft hat erst kürzlich betont, dass Beweise für die Gefahr von Engpässen bislang ausgeblieben sind. Und den letzten Satz dieses Zitats muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Die Nutzer sollen entscheiden können – aber die Anbieter auch. Nun raten wir mal, wer am Ende am längeren Hebel sitzt!

Fazit

Insgesamt wirkt dieses Papier, als habe man mal schnell zu allen wichtigen, aktuell politisch diskutierten Themen irgendwas sagen wollen, aber das ganze nicht zu Ende gedacht.