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Von Kathrin Sohst (Mehr) • Zuletzt aktualisiert am 06.09.2024 • Zuerst veröffentlicht am 11.05.2016 • Bisher 5312 Leser, 1809 Social-Media-Shares Likes & Reviews (5/5) • Kommentare lesen & schreiben
Ständig klingelnde Telefone, Stimmengewirr und Reizüberflutung: Die Arbeit in einem Großraumbüro gleicht oft einem Schlachtfeld. Erfahren Sie, wie hochsensible Menschen typische Herausforderungen des Arbeitsalltags erfolgreich meistern können.
Früher haben Menschen in Höhlen gewohnt. Und heute? Wohnen wir auch in Höhlen. Nur dass die inzwischen Häuser heißen. Und wir wohnen dort, weil wir unsere privaten Wohlfühlräume brauchen. Aus den Höhlen und Häusern heraus kamen die Menschen früher, um sich Nahrung zu beschaffen. Oder sie sind hinaus in den Krieg gezogen. Und heute gehen wir hinaus, um dem Konsum zu frönen, unseren Status aufzupolieren und zu arbeiten. Und letzteres mag sich für einige anfühlen wie Krieg. Heute heißt das Schlachtfeld für viele Menschen “Großraumbüro”. Jeder ist unter Beobachtung. Als Rückzugsraum bleibt oft nur die Toilette. Alle müssen leisten – immer.
Wer das nicht kann, obwohl er vielleicht wollen würde, ist leider viel zu schnell raus aus dem Spiel. Denn es gibt keine Zeit zu verlieren. Schließlich gilt es, Kosten zu senken, den Umsatz zu steigern und immer mehr Wachstum zu produzieren. Dabei ist längst offensichtlich, dass die ständige Präsenz, der Lärmpegel und das Klima in den meisten Großraumbüros oder auch überbesetzten kleinen Büros, besonders für introvertierte Menschen, aber auch für die extrovertierten eine immer höhere – vor allem gesundheitliche – Belastung sind. Die jährlichen Reports der Krankenkassen sprechen Bände. Wenn dann noch ein hochsensibles Temperament dazukommt, dann sind für viele Menschen die Bürowelten kaum mehr erträglich – selbst dann, wenn die Leistungsbereitschaft stimmt, die Bezahlung passt und der Job an sich Spaß macht.
Hochsensible sind wahrnehmungsbegabt. Ein Wesenszug, der neben vielen positiven Eigenschaften wie Lösungsorientierung, Empathie, Qualitätsbewusstsein, differenzierter Wahrnehmung, Gewissenhaftigkeit, Kreativität und hoher Intuition in unserem Wirtschaftssystem einiges an Herausforderungen mit sich bringen kann: Wenn andere noch auf Hochtouren laufen, brauchen Hochsensible bereits eine Pause oder reagieren mit Stress, weil Gehirn und Nervensystem viel mehr Reize und Informationen aufnehmen und verarbeiten, als bei durchschnittlich sensiblen Menschen.
Und während die Kollegen gerade den Überstundenkönig der Woche wählen, wünschen sich hochsensible Mitarbeiter ein entspanntes Miteinander, Einzelbüros, weniger und vor allem keine belanglosen Hahnenkampf-Meetings und skandinavische Arbeitszeit-Verhältnisse – ohne schiefen Blick vom Chef, wenn der Computer rechtzeitig ausgeschaltet wird und der Nachmittag oder Abend für die Kinder, einen Spaziergang im Wald, ein gutes Buch oder einfach nur einen Einkauf vor 20 Uhr reserviert ist.
Die Hochsensibilitätsforschung ist noch so jung, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse bei vielen Personalverantwortlichen, Ärzten, Psychologen und Pädagogen noch nicht angekommen sind. Der Begriff Hochsensibilität kommt ursprünglich aus dem Englischen und wurde in den 1990er Jahren von Dr. Elaine N. Aron geprägt: Highly Sensitive Person – kurz HSP. Hochsensibilität ist keine Krankheit sondern ein Temperament, das 15-20 Prozent der Menschen betrifft. Es tritt bei Frauen und Männern gleichermaßen auf und ist – wie man heute annimmt – erblich. Aron beschreibt vier Merkmale, die für hochsensible Persönlichkeiten typisch sind:
Hochsensible Menschen, die mit anderen zusammengepfercht in einem Raum sitzen, werden ihre Pferdestärken nur selten durchgängig auf die Rennstrecke bringen können. Denn der Spießrutenlauf fängt schon morgens an, wenn einem die Stimmungen aller Kollegen entgegenschlagen. Der erste ist frisch verliebt, die Tischnachbarin hat Liebeskummer und der nächste hat einen Trauerfall in der Familie. Das kann schon Chaos auslösen, bevor die Arbeit überhaupt begonnen hat. Dazu kommt der Essensgeruch auf dem Tisch des Kollegen, der penetrante Parfüm der Styling-Queen im Team, lärmende Telefone, täglich mindestens 3 Mini-Besprechungen beim Tischnachbarn, weil die Meetingräume alle besetzt sind. Nicht zu vergessen das Dauerdilemma – Frischluft oder Zugluft. Konzentriertes Arbeiten? Fehlanzeige!
Dass Multi-Tasking ein Produktivitätskiller ist, weiß heute fast jeder. Und doch steht die Herausforderung im Raum, nicht mehr nur auf eMails reagieren zu müssen sondern auch neue Kommunikationskanäle zu nutzen und zu managen. Nicht zu vergessen die hohe Arbeitsverdichtung und fehlende Trennung zwischen Arbeitszeit und privater Zeit. Was selbst die taffsten Mitarbeiter auf eine harte Probe stellt, ist für hochsensible Leistungsträger ein Angriff auf Gesundheit und wirtschaftlich betrachtet ein fahrlässige Vergeudung von wertvollen Querdenker-, Finetuner- und Lösungsfinder-Potenzialen.
Hochsensible Menschen sind begeisterungsfähig, verantwortungsbewusst und liefern ihre Arbeit in hoher Qualität ab. Vorausgesetzt sie arbeiten in einem wertschätzenden Umfeld, in dem sie die Möglichkeit haben, Reize zu reduzieren und zwischendurch auch mal durchzuatmen – ein Blick aus dem Fenster, für fünf Minuten an die frische Luft oder ein paar Atemübungen in einer ruhigen Ecke – und zwar nicht erst nach vier Stunden.
Höchste Zeit, diese Erkenntnisse in die Gestaltung von Arbeitsplätzen und -bedingungen mit einfließen zu lassen. Aufklärung zum Thema Hochsensibilität ist dringend notwendig. Wer Hochsensibilität kennt, kann viel entspannter reagieren, wenn bei dem feinfühligen Kollegen plötzlich “Überreizungsalarm” herrscht. Und hochsensible Menschen, die wissen, dass sie aufgrund ihrer Konstitution andere Bedürfnisse haben als die meisten anderen, können selbstfürsorglich handeln und sich auf ihre Stärken fokussieren.
Es braucht Flexibilität bei denen, die Arbeit geben und zart-starke Selbstsicherheit bei denen, die diese Arbeit erledigen wollen. Wir erleben gerade eine Zeit, in der die Voraussetzungen besser werden: Einzelbüros, Homeoffice, freie Mitarbeit, Teilzeitlösungen, Ruheräume und Rückzugsorte oder flexible Pausenlösungen und die Erkenntnis, das Produktivität nicht in jedem Fall an der Arbeitszeit und Anwesenheit von Mitarbeitern hängen muss.
Für Hochsensible sind all das sehr gute Möglichkeiten, um den täglichen Kampf in Freude am Spiel des Arbeitslebens zu wandeln. Und Unternehmen haben die Chance das ganze Potenzial von hochsensiblen Wahrnehmern für sich zu entdecken.
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Kathrin Sohst ist Botschafterin für Hochsensibilität, PR-Beraterin und Buchautorin. Kathrin Sohst berät hochsensible Menschen und veranstaltet Info- und Netzwerkabende, Gesprächsrunden, Workshops, Seminare und Vorträge. Parallel dazu textet sie für die Wirtschaft und Magazine und fotografiert leidenschaftliche gerne. Seit 2005 ist sie selbständig in der Wirtschaft unterwegs. Ihre Motivation: “Ich möchte sensible Menschen stärken, das Bewusstsein für Natur und Nachhaltigkeit schärfen, Sensibilität legalisieren und Wertschätzung zum Standard machen.” Im Frühjahr 2016 erschien ihr erstes Buch “Zart im Nehmen” bei GABAL. Mehr Informationen unter www.empathisch-kommunizieren.de Alle Texte von Kathrin Sohst.
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