Hochqualifizierte Mediziner und Naturwissenschaftler, die in den USA leben, würden gerne zurückkommen – doch sie finden in Deutschland keinen Job. Wie kann das sein?

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Hochqualifizierte Fachkräfte – verzweifelt gesucht?

Das Thema Fachkräftemangel und auch die Zweifel daran, ob der in Deutschland wirklich so groß ist wie gerne behauptet wird, wurde auf Best of HR – Berufebilder.de® ja schon häufiger diskutiert – und auch in einer Podiumsdiskussion mit Professor Dr. Gerd Bosbach und Dr. Karl Brenke vom DIW sind wir schon vor zwei Jahren zu dem Schluss gekommen, dass das gar nicht so einfach ist.

Nun habe ich in den USA junge Menschen kennengelernt, die dort leben und arbeiten (müssen) – nach Deutschland zurückzukehren, ist für sie ausgesprochen schwierig. Und das, obwohl sie eigentlich genau die Qualifikationen mitbringen, die in Deutschland händeringend gesucht werden.

Als mir Anna an diesem ersten Morgen ihre Geschichte erzählt, glaube ich noch, es sei ein Einzelfall. Sie ist Immunbiologin, Mitte 30 und wird im Frühsommer ihre PhD-Phase mit eigenen Forschungen in einem Stammzellenprojekt am MIT in Cambridge Mass., beenden. Sie sucht einen Job, denkt an Familiengründung und daran, irgendwo zu Hause zu sein.

European Career Fair – Europa holt seine gut ausgebildeten Kinder zurück?

Anna weiß nicht, was sie danach machen soll. In der Forschung zu arbeiten ist schon spannend. Sie könnte sich eine universitäre Laufbahn vorstellen und beides verbinden. In der Wirtschaft hat sie sich auch schon umgeschaut.

Wir sind im MIT Athletic Center auf der European Career Fair in Boston. Bereits zum 17. Mal haben in der Halle, in der am Abend zuvor noch Läufer über Hürden sprangen, die Studenten des MIT Cambridge eine Karriere-Messe organisiert. Das Konzept ist so einfach wie genial. Europa holt seine gut ausgebildeten Kinder wieder zurück.

Platz 1 im Wettbewerb “Land der Ideen”

Student, Absolvent und Berufseinsteiger treffen auf potenzielle Arbeitgeber aus Europa. Unternehmen, Städte und Regionen werben mit Slogans wie “return to bavaria”. Deutschland war dieses Konzept einen Platz im Wettbewerb “Land der Ideen” wert. Mehrere “Recruiter” stehen an teils schlichten Ständen und führen im Minutentakt mit den in einer Schlange anstehenden Kandidaten sog. Speed- Bewerbungsgespräche.

Die Kandidaten heißen Paul, Kathrin und Sophie und kommen im Anzug und Kostüm mit hochgesteckten Haaren, unter dem Arm ihr “Resumee”, das sie aus einer Mappe mit den goldenen Prägungen von Harvard, MIT oder Yale ziehen. An diesem ersten Messetag hoffen sie noch, einen Termin für einen der Interviews-Slots an den nächsten Tagen zu erhalten. Europa holt seine gut ausgebildeten Kinder wieder zurück.

Mit sehnsuchtsvollem Blick

Es sind wohl der Fernsehturm und das be Berlin-Logo, die auf dem übergroßen Plakat am Stand von Berlin Partner prangen, die als Signal für die Vorbeigehenden wirken. Denn sie bleiben stehen. Oft mit einem sehnsuchtsvollem Blick.

Wir reichen Prospekte mit Informationen über den Berliner Arbeitsmarkt aus und erzählen in Dreier-Gruppen über Berlin und seine Arbeitgeber. Besonders beliebt sind die Postkarten. Ein Liegestuhl am Spreestrand vor einer mit Graffiti besprühten Mauer, ein Pool in der Spree mit Fernsehturm im Hintergrund, das kommt an, ist cool.

4000 Kandidaten auf Jobsuche

Tag 2 auf European Career Fair in Boston. Wir sind im Kongresshotel. In den mit Stoffbahnen abgetrennten Kabinen, die, dicht an dicht gereiht, eher an Umkleidekabinen bei großen Sportveranstaltungen erinnern, werden im Ballsaal an den nun folgenden beiden Tagen im 20- Minuten-Takt Bewerbungsgespräche stattfinden.

Die “schedule” für diese Veranstaltung wurde schon Wochen vorher geplant. Kandidaten haben ihre Profile auf einem “Online Job Board” eingestellt und Unternehmen ihre Stellen veröffentlicht. Glücklich, wer einen Termin bekommen hat. Glücklich auch die Unternehmen, die eine große Auswahl an Kandidaten hatten; denn gut 4.000 haben sich registriert.

Generation “global learner”- zu Hause, wo ist das?

Auch Anna ist da. Sie hat mit einem holländischen Research-Unternehmen aus der Pharmabranche gesprochen. Hört sich interessant an, aber eigentlich will sie nach Deutschland. Am liebsten nach Berlin.

Sie hat da studiert und ist nach je einem Semester in Heidelberg und London für ihre Doktorarbeit ans MIT gegangen. Nach vier Jahren Amerika will Sie zurück. Gut ausgebildet, mehrsprachig und Weltoffen: Die Generation “global learner” ist erwachsen und will nach Hause. Doch wo ist das?

Wie bewirbt man sich in Europa

Während die einen auf ihr Bewerbungsgespräch warten, sitzen andere in den parallel laufenden Workshops. Sie werden organisiert von der GAIN (German Academic International Network) oder der GSO (German Scholars Organization).

Wie bewirbt man sich in Europa? Was gibt es Neues vom alten Kontinent? Auch Berlin Partner gibt einen Überblick über den Arbeitsmarkt in Berlin. Andere informieren über mögliche Laufbahnen und das deutsche Hochschulsystem.

Warum ist die Jobsuche in Deutschland so schwer?

Warum ist es so schwer, einen Job in Deutschland zu finden? Am Abend stehe ich im Goethe-Institut in der Bacon Street in Boston, das sich in einem der sehr englischen Häuser mit Blick auf den Charleston River befindet. Es ist eine der flankierenden Veranstaltungen dieser Tage. Der deutsche Konsul in Boston Rolf Schütte begrüßt uns. Auch ein Politiker aus dem Bundestag ist extra eingeflogen.

Die gut 80 Gäste hören die motivierenden Reden, in denen Worte wie “demografischer Wandel” oder “Fachkräfte- mangel” vorkommen.

Deutsche Unternehmen sind hier in der Minderheit

Ich ahne noch nicht, dass ich das liebevoll angerichtete Buffet verpassen werde. Auch nicht, dass ich an diesem Abend meine letzte Visitenkarte aus einer ehemals vollen Box abgebe. Denn mein Namensschild ist weiß, und damit bin ich eindeutig in der Minderheit. Weiß sind diejenigen, die Unternehmen vertreten oder wenigstens Informationen vom Arbeitsmarkt in Deutschland haben und damit als Gesprächspartner sehr begehrt sind. Rot, das sind diejenigen, die sich für diese Informationen interessieren.

Das ist zum Beispiel Tom, der auf pediatrische Intensivmedizin spezialisierte Neurobiologe, der extra aus Houston gekommen ist. “Wie sieht es aus da drüben, werden Kinderärzte gebraucht?”, fragt er mich. Er würde gern zurückgehen, aber es sei schwer, eine geeignete Stelle zu finden.

Wo findet man eine geeignete Stelle?

Wo soll er suchen? Einmal hatte er sich durchgerungen, eine Bewerbung zu schicken. Aber eingeladen wurde er nicht. Er  hat auch keine Absage bekommen. Irgendwie hat sich bei ihm das Gefühl festgesetzt, er sei nicht besonders willkommen.

Auch Gernot, der Chemiker aus Pennsylvania, will zurück. Seine Frau, eine Amerikanerin, ist Zahnarzthelferin. Sie ist schwanger. Kinder aufziehen ist teuer in Amerika. Sie würden gern zurück. “Natürlich nach Berlin”, sagt er. Auch er war für zwei Semester in Berlin, bevor er sich durch die Welt studierte.

“Was macht die chemische Industrie in Berlin?”

Das Letzte, was er gehört hat ist, dass es Schering wohl nicht mehr gibt. Heute programmiert er, und eigentlich ist er auch Physiker und würde gern auch mal etwas ganz anderes machen. Wie die Arbeitschancen für seine Frau “Was macht die denn wären und ob das mit der Kinderbetreuung in Berlin noch chemische Industrie immer so gut sei, will er wissen.

Dass er die Fachkraft ist, die in den Reden gemeint war, und dass wir in Deutschland da einen in Berlin?” Mangel beklagen, das ist bei ihm noch nicht angekommen. Auch nicht bei seinen Freunden. Sie sind Ingenieure, Naturwissenschaftler, Ärzte, aber auch Finanzexperten und Ökonomen.

Sie wollen zurück, aber können nicht!

Auch sie wollen zurück, wenn sie könnten. Nach drei Stunden habe ich Hunger, doch das Buffet ist längst abgeräumt und der Politiker wieder auf dem Weg zum Flughafen. Mein Hals ist trocken vom Reden, teils mit 4 bis 5 Leuten gleichzeitig an einem der Stehtische.

Irgendwann schreibe ich meine Kontaktdaten nur noch auf Zettel und verspreche zu antworten. “Schick mir mal Jobanzeigen”, sagen sie beim Abschied. “Mache ich”, verspreche ich und kann es nicht begreifen.

Ist der deutsche Mittelstand bereit für die Global Learner?

Hochqualifizierte deutsche Fachkräfte finden keinen Job? Was läuft hier schief? Im Internetzeitalter ist es schwierig, Jobangebote zu finden? Informationen über Branchen und Arbeitsmarkt in Deutschland zu bekommen unmöglich? Das ist doch alles lösbar. Oder?

Halt, da ist noch ein Problem. Denn die Frage ist: Ist der Mittelstand in Deutschland bereit, diese Generation der “Global Learner” zu beschäftigen? Sie sind selbstbewusst und gewohnt, in multikulturellen Strukturen zu arbeiten.

Sie kennen Leistungs- und Erfolgsdruck als Selbst- verständlichkeit. Veränderungen machen ihnen keine Angst. Kurz: sie sind die Generation Y. In interkulturellen Kompetenzteams fordern sie Feedback und haben gelernt, dieses zu geben. Kommunikativ, vernetzt und offen suchen sie nach Sinnhaftigkeit in der Arbeit, nicht nach Job-Titeln.

In Deutschland muss man klein anfangen

Wie Sophie, sie ist Virologin und würde gern ihre Erfahrungen nach Deutschland bringen. “Keime in einem Krankenhaus, das muss nicht mehr sein”, weiß sie. Es gibt Systeme, Hygienestandards und viele Neuentwicklungen, doch diese Begeisterung hat der Personaler schnell gebremst.

Zwei Jahre ist das her, dass sie auf eigene Kosten zu einem Bewerbungsgespräch nach Deutschland geflogen ist. Sie müsse erst mal klein anfangen. Die Warteliste für die angestrebte Position sei voll mit Kollegen, die schließlich schon länger hier arbeiteten. Frank, der Maschinen- und Elektroingenieur, nickt zustimmend und ergänzt: “Und wenn es das nicht ist, dann sind wir überqualifiziert”.

Angst, Verantwortung in junge Hände zu geben?

Dass Unternehmen sich bei den Bewerbern bewerben, Umzugshilfen gewähren und Reisekosten übernehmen, das ist vielen Unternehmen noch fremd. Tradierte Gewohnheiten, auf Unterlagen zu schauen und lückenlose Lebensläufe zu fordern, sind, so scheint es, ebenso weit verbreitet wie die Angst, Verantwortung in junge Hände zu geben.

“Manchmal denke ich, die wissen nicht, wie sie mit mir umgehen sollen. Ich leite hier ein Team und trage Verantwortung”, sagt Sophie, die bei einem Pharma-Unternehmen arbeitet. In Amerika werden keine Zwischenzeugnisse über Arbeitsleistungen geschrieben und Referenzen mit Namen und Telefonnummern nur auf Nachfrage gegeben. Die Vita heißt Resumee” und hat kein Foto. Für viele Personaler in Deutschland ist das noch ein Problem, und sie verzichten dann lieber auf den Kandidaten.

Es ist schwer, zurückzukommen

Nach drei Tagen ist auch die letzte Berlin-Postkarte verteilt, das Berlin-Banner wieder verstaut. Zum Abschied treffe ich noch einmal Anna.

“Es ist leicht zu gehen, aber schwer zurückkommen zu können, damit hatte ich nicht gerechnet”, sagt sie mit gepresster Stimme. Die Tage des ECF haben gleichermaßen Hoffnung und Heimweh hinterlassen.