Nach der Corona-Krise ist in Deutschland das Gejammere über den Fachkräftemangel groß. Dabei ist das Problem schon alt und außerdem oft hausgemacht.

- Sind Sie auch genervt vom Gejammere zum Thema Fachkräftemangel?
- Demographischer Wandel vs. KI
- Kein neues Problem – 4 Beispiele gegen den Fachkräftemangel
- Fachkräftemangel differenziert betrachten
- Ein Rückblick: Das sagte die Wissenschaft zum Thema
- Schuld am Dilemma ist Unkenntnis und Fehlinterpretation der Zahlen
- Zahlen zum Fachkräftemangel: Ein Rückblick
- Top Bücher zum Thema
- Text als PDF lesen
- Beratung zu Erfolg, Ziel-Erreichung oder Marketing
- eKurs on Demand buchen
- Individuelles eBook nach Wunsch
Sind Sie auch genervt vom Gejammere zum Thema Fachkräftemangel?
Geht es Ihnen auch so? Ich persönlich kann das Gejammere über Fachkräftemangel, von dem ich täglich lese, nicht mehr hören. Das ist natürlich eine rhetorische Frage, wenn Sie Personaler sind und händeringend Bewerber suchen, aber keine finden, Sind Sie vermutlich jetzt entrüstet. Aber sehen wir uns die Sache mal der Reihe nach an:
Mag sein, dass die Baby-Boomer-Generation jetzt endlich in Rente geht und die entsprechenden Stellen nicht mehr mit genügend jungen Arbeitskräften nachbesetzt werden können. Jedoch war das erstens seit langem abzusehen und somit klar und es gibt darüber hinaus immer noch genug Unternehmen, die sich den Luxus leisten, die älteren, gut ausgebildeten und erfahrenen Mitarbeiter in Frührente zu schicken, weil die einfach zu teuer sind. Die Crux ist also: Möglicherweise gibt es einen Mangel – aber an billigen Fachkräften.
Demographischer Wandel vs. KI
Zudem lese ich tagtäglich über den Aufstieg von KI-Tools und dass wir in Zukunft weniger arbeiten müssten. Ich war z.B. kürzlich in der Schweiz, habe mich im Hotel selbst mit dem Handy eingecheckt und mich im Supermarkt selbst abkassiert – das alles ohne Rezeptionisten, Kassierer und sonstiges Personal. Das hat noch nicht einmal was mit KI zu tun. Auch meine Büroreinigung hat seit einigen Monaten ein Roboter übernommen.
Klar, die Technik ist noch nicht perfekt, oft muss der Mensch noch nachjustieren, aber man sieht: Das Einsparpotenzial an Zeit und Geld ist riesig. Und es funktioniert in Bereichen, in denen ich das nie gedacht hätte. Gerade im direkten Vergleich zur Schweiz frage ich mich: Ja haben die deutschen Unternehmen und auch der öffentliche Sektor denn komplett gepennt? Datenschutz, der gerne vorgeschoben wird und z.B. im Medizinsektor auch ein berechtigtes Argument ist, kann auch nicht die Ausrede für alles sein. Und dafür gäbe es Lösungen. Ich vermute viel mehr den Investitionsunwillen vieler Unternehmen, die einfach am liebsten so weiter machen würden wie gehabt.
Kein neues Problem – 4 Beispiele gegen den Fachkräftemangel
Das alles ist übrigens kein neues Problem, ich erinnere noch gut an eine Diskussion, die einigen Jahren hier im Blog hoch poppte und bei der frustrierte Ingenieure ihre schlechten Erfahrungen bei der Jobsuche beklagten. Losgetreten übrigens von unserer Leserin Karen: Karen hat Ingenieurwissenschaften an der Universität Erlangen studiert, ist später nach Schweden ausgewandert und war wütend:
„Mein Semester hat vor ca. einem Jahr abgeschlossen und obwohl im Vergleich zum Anfangssemester ca 40% den Studiengang nicht geschafft haben, sind nur ca. 5% in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Viele aus unserem Semester haben Deutschland den Rücken gekehrt und arbeiten in Skandinavien, Österreich und der Schweiz. Andere sind als Hartz IV-Aufstocker beschäftigt und hoffen auf bessere Zeiten. Es sind auch viele mit einem guten Abschluss betroffen… Ich habe meinen Entschluss Deutschland den Rücken zu kehren nicht eine Minute bereut und würde ihn wieder gehen.“
Sie war bei weitem kein Einzelfall. Zahlreiche Absolventen, aber ebenso gestandene Ingenieure mit einschlägiger Arbeitserfahrung klagen im Internet über schlechte Aussichten. Auch FH-Absolvent Marek war, mit einer Abschlussnote von 1,3 in Regelstudienzeit, mehrere Monate auf Jobsuche.
„Ich habe viele, auch Initiativ-Bewerbungen geschrieben und bisher nur Absagen bekommen. Und zwar immer mit der Begründung, dass momentan keine Stelle zu besetzen sei! Wie kann das sein, da doch händeringend nach Ingenieuren gesucht wird?“
Maschinenbauingenier Marcus, der im November 2009 sein Diplom gemacht hat, war bis August 2010 auf Jobsuche und hat dann eine Stelle in der Schweiz angetreten. Zuvor hat er in Deutschland über 50 Bewerbungen und 4 erfolglosen Vorstellungsgespräche hinter sich gebracht:
„Meistens wurde die Absage damit begründet, dass meine Qualifikationen nicht ganz den Ansprüchen entsprächen. Gut ich hab das Studium mit 2,4 abgeschlossen, dafür habe ich noch zusätzlich eine technische Ausbildung und meine Praxissemester habe ich im Ausland absolviert.“
Viele Arbeitgeber suchen jedoch trotz Bedarf lieber weiter, als unpassende Kandidaten einzustellen – wie dieser Informatiker berichtet, der lieber anonym bleiben möchte:
„Wir suchen in unserer Firma im Rhein-Main Gebiet händeringend Softwareentwickler. Aber auch bei uns werden die meisten Bewerber abgelehnt. Die Bewerber müssen Praxiserfahrung in den von uns verwendeten Programmiersprachen und Betriebssystemen haben und sehr gut Englisch sprechen. Sie sollten auch Kenntnisse im Börsenumfeld haben. Wir stehen so sehr unter Druck, dass wir neue Leute kaum einarbeiten können und es ist deshalb auch nicht möglich Anfänger einzustellen. Leute über 50 stellen wir jedoch definitiv ein. Oft hapert es auch an der zwischenmenschlichen Kommunikation. Manche Leute können wir uns in unseren Teams einfach nicht vorstellen. Falls sich herausstellt, dass ein neuer Mitarbeiter die Leistung nicht bringt, wird er auch ohne Umschweife entlassen.“
Fachkräftemangel differenziert betrachten
Wie passt das mit der These vom Fachkräftemangel zusammen, die es in den vergangenen Jahren schon gab? Vieles spricht dafür, dass man das Thema differenzierter betrachten muss: Selbst wenn Stellen frei sind, wird nicht jeder sofort eingestellt: Es spielen auch fachliche Qualifikation, die Spezialisierung und persönliche Faktoren, wie Mobilität oder Teamfähigkeit, ein Rolle – Faktoren, über die man, wie so oft, streiten kann: In einem Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) von 2010 sprach der Arbeitsmarktforscher und Wissenschaftlicher Referent im Vorstand des DIW, Karl Brenke, seinerzeit gar von einer drohenden Fachkräfteschwemme für manche Bereiche.
“Wir können nicht ausschließen, dass wir in manchen Branchen eine Fachkräfteschwemme haben werden. Man kann gegenwärtig nur wenige Bereiche identifizieren, wo es an Fachkräften mangelt. Am ehesten ist das noch bei den Ärzten der Fall.“
Ein Rückblick: Das sagte die Wissenschaft zum Thema
Das brisante an dieser Aussage: Sie widersprachen völlig der herrschenden Meinung vom Fachkräftemangel und auch den Aussagen von DIW-Präsident Klaus Zimmermann. Wie die Frankfurter Rundschau und Spiegel Online meldeten, musste die ursprünglich Fassung der Studie, sogar nochmals überarbeitet werden: Die Untersuchung, so war zu lesen, konzentriere sich nur auf die nächsten vier bis fünf Jahre. An der Kernthese änderte sich aber nichts: Wenn es nach Brenke geht, herrschte in Deutschland damals jedenfalls kein Fachkräftemangel.
Begründen konnte Brenke seine Aussagen gleich mit mehreren statistischen Werten: Die Löhne für Fachkräfte seien kaum gestiegen, wie es bei Engpässen üblich wäre, und hätten sich seit 2009 nicht besser als die der übrigen Arbeitnehmer entwickelt. Gestiegen seien seit 2007 hingegen die Studierenden- und Absolventenzahlen. Wichtigster Faktor aber: Bei fast allen Fachkräften sei nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit und Berechnungen des DIW die Zahl der Arbeitslosen höher als die Zahl der offenen Stellen. Einen nennenswerten Engpass sah Brenke nur bei den Vulkaniseuren, Elektroinstallateuren und Ärzten.
Schuld am Dilemma ist Unkenntnis und Fehlinterpretation der Zahlen
Woher kam die Diskrepanz? Hinter vorgehaltener Hand vermuteten Betroffene Manipulationen durch die Arbeitgeberseite, mit dem Ziel, durch eine große Auswahl an gut ausgebildeten, örtliche flexibleren Arbeitskräften die Löhne drücken und auf der anderen Seite ältere Ingenieure ausmustern zu können. Wahrscheinlicher sind Unkenntnis, Fehleinschätzungen und statistische Ungenauigkeiten. Denn es gibt, wie Arbeitsmarktexperte Brenke damal zugab, keinee wissenschaftlichen Verfahren, die den gesamten Arbeitsmarkt abbilden und so eine definitive Aussage über die gesamtwirtschaftliche Fachkräftelücke treffen könnten.
So fehlen beispielsweise aussagekräftigen aktuellen Daten über die Lohnentwicklung in einzelnen Berufen, es gibt Zahlen nur über Entgelte in einzelnen Gruppen von Fachkräften. Und auch die Angaben zu den Vakanzen wie auch den Arbeitslosen enthalten nur die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit – was dort nicht gemeldet wird, taucht in der Statistik nicht auf. Außerdem müsse, so Brenke, zwischen Hochschulabsolventen und Fachkräften mit betrieblicher Ausbildung differenziert werden.
Auch sprachliche Ungenauigkeiten spielen sicher eine Rolle: Von einem Mangel würden die meisten vermutlich erst dann sprechen, wenn offene Vakanzen nicht in angemessener Zeit besetzt werden können. Andere legen den Begriff Mangel großzügiger aus oder verfallen in eine Art Panik, wenn sie nicht mehr hunderte von Bewerbungen auf dem Tisch haben. Nur so ist zu erklären, dass sich Firmen in ganz Deutschland auch weiterhin rege dafür engagieren, junge Leute für ihr Unternehmen zu werben während sie erfahrene Mitarbeiter entlassen,
Zahlen zum Fachkräftemangel: Ein Rückblick
Arbeitsmarktforscher Karl Brenke hat schon 2010 mit seiner Studie für Wirbel gesorgt, wonach es in Deutschland keinen Fachkräftemangel gibt. Um zu zeigen, wie solche Berechnungen zustande kamen, haben wir die Ergebnisse nochmals zusammengefasst.
- Lohnentwicklung: Die Löhne stiegen im zweiten Quartal 2010 bei den Fachkräften 0,4 Prozent – nicht besser als bei den übrigen Arbeitnehmern, in einigen Bereichen sogar schlechter.
- Arbeitslosenzahlen: Arbeitslosigkeit in allen in Betracht genommenen Fachkräfteberufen stieg durch die Wirtschaftskrise 2008 kräftig an. Sie ist zwar in den folgenden Jahren wieder zurückgegangen, aber bewegte sich in nahezu allen Berufen noch deutlich über dem Vorkrisenniveau. Nur manche Facharbeiter standen besser da: Etwas geringer als vor der Krise war die Arbeitslosigkeit bei den Facharbeitern mancher Kunststoff- und Chemieberufe, sowie bei baunahen Ingenieuren und Technikern. Beispiel Chemiebetriebswerker: 2008 waren hier 170 572 arbeitslos; 2010 waren es nur noch 163 111. Bei vielen anderen Fachkräften war die Zahl der Arbeitslosen höher als vor der Wirtschaftskrise. Bei Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Datenverarbeitungsfachleuten war das der Fall. Beispiel die Gruppe „sonstige Ingenieure“: 203 245 waren von Ihnen vor der Krise arbeitslos gemeldet. Jetzt sind es 222 401.
- Nicht alle Arbeitslosen werden gemeldet: Seit Anfang 2009 wird ein kleiner Teil der Erwerbslosen nur deshalb nicht mehr als arbeitslos gezählt wird, weil er von privaten Vermittlern betreut wird.
- Mehr Arbeitslose als offene Stellen: Bei fast allen Fachkräften war die Zahl der Arbeitslosen 2010 höher als die Zahl der offenen Stellen. Beispiel Elektroingenieure: 3490 Arbeitslose standen hier 2159 offenen Stellen gegenüber.
- Nicht alle Stellen gemeldet: Nicht alle offenen Stellen sind aber bei der Arbeitsagentur gemeldet. Umgekehrt bedeutet nicht jede gemeldete Stelle auch, dass ein Job frei ist – z.B. wenn ein Mitarbeiter nur wechselt.
- Bei den Ärzten gab und gibt es tatsächlich Fachkräftemangel: Bei den Ärzten hat seit 2008 die Zahl der Arbeitslosen stetig abgenommen und liegt inzwischen unter dem gestiegenen Stellenangebot. Hier standen schon 2010 2 442 Arbeitslose 2 930 offenen Stellen gegenüber.
- Ingenieure: Mehr Absolventen als freie Stellen: Pro Jahr gab es 2010 bei Ingenieuren einen Ersatzbedarf von voraussichtlich 9 000 Beschäftigten. Dem standen allein im Wintersemester 2009/2010 mehr als 23 000 erfolgreiche Studienabschlussprüfungen gegenüber.
- Studierende vs. Sozialversicherungspflichtig Beschäftige: Vor allem in Mathematik und den Naturwissenschaftlichen war die Anzahl der Studierenden mit 70 341 deutlich höher als die der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten Physiker, Physikingenieure und Mathematiker mit 24 192.
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