Der Boss-Faktor ist der scheinbare Eindruck, dass manche Menschen immer gewinnen. Und sei es nur durch Dummheit und aufgesetztes Selbstbewusstsein. Wie das funktioniert, zeigt die Ausbildung in der Finanzindustrie.

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Vermögensberater – so läuft die Ausbildung

Bei der Recherche zum Thema Altersvorsorge habe ich mich tief in die Welt der Aktien und Fonds eingearbeitet. Sehr tief um genau zu sein, denn ich habe undercover in der Finanzindustrie recherchiert und dort gearbeitet. Was mich dabei am meisten erschreckt hat, war die Art und Weise, wie Vermögens- und Finanzberater ausgebildet werden.

Vermögensberater ohne ein professionell ausgebildetes Sprachbewusstsein, also die rekrutierten Fliesenleger und Schreiner, klammern sich wahrscheinlich an diesen Leitfaden und hangeln sich an ihm entlang. Deswegen kann der Strukturvertrieb von sich behaupten, wie gründlich sie ihre Vermögensberater auf ihren Job als Allfinanznavigator vorbereitet: Schaut doch, wir haben einen ausgearbeiteten Gesprächsleitfaden!

Finanzberater-Frischlinge dürfen sofort in den Verkauf

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Dadurch verschafft sich die Firma mit diesem Leitfaden die Möglichkeit, bei Misserfolg dem Vermögensberater selbst die Schuld zu geben. Du hast doch alles! Warum hast Du es denn nicht geschafft? Tausende haben es bereits geschafft. Nur Du nicht. Das liegt doch nicht an uns. Der Gesprächsleitfaden habe sich bei den meisten anderen Vertrieblern seit Jahren bewährt. Dadurch erhöht der Konzern noch einmal den Druck auf den einzelnen Berater, als Verkäufer zu funktionieren.

Bewährt hat sich anscheinend auch, dass die frisch angeworbenen Vermögensberater sofort in den Verkauf kommen. Deswegen klopfe ich auf den Busch und deute an, dass ich mir nun erst einmal vertieft Fachwissen aneignen werde. Ich möchte nicht wie ein Bankberater mit einem gefährlichen Halbwissen den Kunden schaden. Davon rät mir mein Betreuer aber ab. Ich solle mich nicht zu lange damit aufhalten, mir Fachwissen anzueignen. Auf die Art käme ich nicht schnell genug ins Geldverdienen.

Kunden für die Finanzindustrie: Am besten ohne Ausbildung beraten

Ein Taktikwechsel wäre deshalb ratsam. Wenn ich möglichst schnell Geld verdienen wolle, solle ich gleich an den Kunden ran und die fachliche Ausbildung begleitend dazu nach und nach ansteuern. Hier gleicht er dem Dozenten, der das Bausparen erläutert hat. Ich schlage ihm vor, mich für den Anfang erst einmal auf Lebensversicherungen zu konzentrieren. Nach meinem Verständnis von Didaktik ist es am ergiebigsten, ein Thema nach dem anderen abzuarbeiten. Er lehnt das ab. Das widerspräche dem Allfinanzgedanken.

Wichtig sei es für den Einstieg erst einmal Vermögensanalysen zu schreiben. Deswegen überreicht er mir den Vermögensberatervertrag. Ich könnte als Agenturleiter direkt einsteigen. Sofern ich vorher sechs Finanzanalysen schreibe.

Finanzanalyse: Mit drei Fake-Analysen geht’s los

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Dieses mündliche Angebot bestätigt die bisherige Entwicklung. Sechs Analysen reichen, und schon geht es für mich nach vorn, ohne dass ich ausreichend qualifiziert werde. Zumal ich als Agenturleiter selbst Kunden beraten darf. Auch die üblichen Karriereeinheiten brauche ich dafür nicht zu erarbeiten. Keine 450 Karriereeinheiten, um Vermögensberaterassistent zu werden, und keine 600 Karriereeinheiten in drei aufeinanderfolgenden Monaten, um Agenturleiter zu werden. Genauso bleibt mir die Prüfung zum Vermögensberaterassistenten erspart. Nur die Agenturleiterprüfung muss ich auf mich nehmen. Aber das dürfte für mich wohl kein Problem sein. Das findet zumindest mein Betreuer.

Wenn ich so leicht Agenturleiter werden kann, wird er seine Analysen bekommen. Mit drei Analysen fange ich an. Drei Fakeanalysen mit Namen von Leuten aus meinem Bekanntenkreis, aber mit ausgedachten Finanzdaten wie Lebensversicherungen, Fonds, Renten- und Krankenversicherungen, die nichts mit ihrem Leben zu tun haben. Dazu erfinde ich auch die nötigen Versichertennummern beziehungsweise benutze meine eigenen. Mein Betreuer hat bei unserem nächsten Treffen auch an meinen Analysen nichts zu beanstanden.

Verkaufspotenziale im Bekanntenkreis

Ich porträtiere die Leute mit zum Teil ausgeschmückten Berufsprofilen: eine Grafikdesignerin, ein Veranstaltungskaufmann und ein Universitätsdozent. Meine Bekannten werden mir verzeihen, dass ich ihrer Berufsbiografie einiges hinzudichte.

Darauf springt mein Betreuer auch sofort an und kombiniert aus meinen Daten denkbare Produktverkäufe mit Planskizze für die Verkaufspotenziale. Eine fondsgebundene Rürup-Basis-Rente für 100 Euro monatlich für die Designerin, eine Riester-Premium-Rente und einen freien Investmentfonds für den Kaufmann und noch einmal eine Riester-Rente für den Dozenten. Alles, was möglichst hoch provisioniert wird, zwischen 20 und 22,5 Prozent der Grundprovision.

Riester- und Rürup-Produkte: Auswertung nach Schema F

Die Verbraucherperspektive, nach der Riester- und Rürup-Produkte fragwürdige Produkte seien, scheint nicht Teil der Realität eines Vermögensberaters zu sein. Dabei warnen genügend Verbraucher in dem Wertpapierforum vor der Riester-Premium-Rente der DWS:

Hohe Kosten in den ersten Jahren, Ansparphase beginnt effektiv später, wesentlich höhere Kosten, als wenn man selbst einen Fondssparplan startet bei seiner Hausbank oder einem Onlinebroker, niedrige garantierte Auszahlhöhe wegen der Unsicherheit des Fondsverlaufs, inflationsbereinigt höchstwahrscheinlich Kapitalverlust trotz Zulagen und Steuervorteilen, nachteilige Sterbetafeln mit sehr hoch angesetzter Lebenserwartung.

Verbraucherschützer warnen

Auch die fondsgebundene Rürup-Basis-Rente der Aachen Münchener bekommt von den Verbraucherschützern mit fast ähnlichen Vokabeln ihr Fett weg: hohe Abschluss- und Verwaltungskosten, die Rürup-Rente kann man kaum kündigen, der Versicherer garantiert nicht die eingezahlten Beiträge, ein sicheres Einkommen ist notwendig, um die Beiträge dauerhaft stemmen zu können.

Hier führt also ein hochrangiger Direktionsleiter vor, dass der Kunde nicht mehr als eine Melkkuh ist. Ohne persönliche Kenntnis der Lebensumstände des Kunden wertet er sie nach Schema F danach aus, wie das Verkaufspotenzial eingeschätzt wird. Also nichts mit Arzt und Navigator, der für den Kunden eine individuelle Bedarfsfindung vornimmt. Das Ergebnis der Beratung steht vorher schon fest.

Karriereboost: rhetorisches Handwerkszeug und großes Netzwerk

Um mich noch attraktiver zu machen, stelle ich in Aussicht, wie ich aus den Leuten des Direktionsleiters bessere und selbstsicherere Vermögensberater machen kann, indem ich ihnen die Kunst der Suggestivfragen beibringe. Auch sein rhetorisches Handwerkszeug könnte ich optimieren. “Ich trete Ihnen sicherlich nicht zu nahe, wenn ich sage, dass ich der Eloquentere von uns beiden bin.” Nicht zuletzt könne ich durch mein Netzwerk den Zugang zur Akademikerszene öffnen. Dieser Markt muss ja nicht der Konkurrenz überlassen bleiben. Die Frage ist nur: Wollen Sie daran verdienen oder nicht?

Er will und stuft mich sogleich als Agenturleiter ein. Jetzt reichen also für diesen Posten schon drei Analysen aus. “Direkteinstieg aufgrund entsprechender Vorqualifizierung und vorhandener Analysenzahl”, trägt er in dem Formular zur Umstufung unter Bemerkungen ein. Möglichst gleich in der nächsten Woche will er mit mir die ersten Beratungsgespräche führen. So schnell geht das. Ich überspringe einfach ein paar Karrierestufen ohne Fachwissen. Von Finanzen weiß ich so viel wie ein Frosch vom Schminken.

Finanzfachliche Unkenntnis spielt keine Rolle

Mit dieser absoluten Unkenntnis werde ich ab jetzt auf Kunden losgelassen – von einem Mitglied des Prüfungsausschusses der IHK für Sachkundeprüfungen. Zunächst noch in seiner Begleitung, aber in Kürze schon in eigener Regie. Finanzfachliche Unkenntnis spielt keine Rolle. Entscheidend ist mein Wissen über diverse Verkaufstechniken und die Aussicht auf mein Netzwerk. Deshalb vereinbaren mein Betreuer und ich für die nächste Sitzung den Abschluss des Vermögensberatervertrages. Gleichwohl weist er mich darauf hin, dass ich als Agenturleiter meine Coaching-Tätigkeit größtenteils aufgeben müsse. Mein Status als Handelsvertreter ließe das nicht zu.

Ein merkwürdiges Verständnis von Selbstständigkeit ist das. Ich darf demnach nicht nebenbei in der Bildungsbranche tätig sein, obwohl ich damit nun wirklich nicht in Konkurrenz zur Finanzdienstleistung der Firma trete. Wenn ich in meiner Schule Abiturienten auf die Abschlussprüfung vorbereite und mit ihnen Im Krebsgang von Günter Grass durcharbeite, stehe ich damit wirklich nicht im Wettbewerb mit Vermögensberatern, die Versicherungen verkaufen. Mein Betreuer allerdings zwingt mich dazu, nur für einen Auftraggeber tätig zu sein. Nun ist eine Nebentätigkeit laut Vermögensberatervertrag nicht gänzlich ausgeschlossen.

Nebentätigkeiten nicht erwünscht

Nach Paragraph 1 Absatz 5 des Vertrages muss jeder Vermögensberater des von mir besuchten Strukturvertriebs eine Nebenbeschäftigung schriftlich genau darlegen, bevor er diese Tätigkeit aufnimmt. Zudem muss er die Verträge darüber der Firma vorlegen. Beginn frühestens 21 Tage nach Anzeige bei der Firma. Die unabhängige Interessenvertretung der Handelsvertreter der Firma, kurz IHD, nennt das “eine völlige informatorische Selbstentblößung des Beraters bezüglich anderweitiger Tätigkeiten”. Ob das gegen Vertrauenstatbestände in Bezug auf den Arbeitgeber der Nebentätigkeit verstößt, kann ich nicht beurteilen. Ob hier der Tatbestand einer Scheinselbständigkeit vorliegt, ebenso wenig. Das ist Sache der Juristen. Aber eines scheint gewiss:

Die Kontrolle, die die Konzernleitung hier ausübt, erhöht wahrscheinlich den Verkaufsdruck bei dem einzelnen Vermögensberater. Und an wen gibt der Berater diesen Druck weiter? An mich, den Kunden. Deswegen kann er erst recht kein fürsorglicher Arzt, Lotse und Navigator für mich als Kunden sein, vor allem nicht bei der Altersvorsorge. Warum also soll ich mich als Kunde bei meiner Vorsorge auf einen Berater einlassen, der nicht frei ist und nicht neutral beraten kann? Die Antwort darauf soll mir ein einst erfolgreicher Vermögensberater geben.


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