Wie wird man reich – eine Frage, die viele Menschen umtreibt. Wer Antworten sucht, muss sich das Leben von anderen reichen Menschen anschauen.

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Hollywood klopft an: Die Vorlage zum Film “The Social Network”

Im Jahr 2010 erschien mein Buch “Milliardär per Zufall”. Die Gründung von Facebook, das bald unter dem Titel The Social Network verfilmt wurde. Nie wäre es mir damals in den Sinn gekommen, dass ich eines Tages auf zwei Figuren dieser Geschichte zurückkommen würde: Tyler und Cameron Winklevoss, jene eineiigen Zwillinge, die sich mit Mark Zuckerberg anlegten und ihm die Ursprünge eines der mächtigsten Unternehmen der Welt streitig machten.

In der Welt, in der Milliardär per Zufall erschien, war Facebook die Revolution, und Mark Zuckerberg der Revolutionär. Er stürzte die Gesellschaftsordnung um, die Art, wie Menschen miteinander umgingen, einander kennenlernten, kommunizierten, sich verliebten und zusammenlebten. Die Gebrüder Winklevoss waren perfekte Gegenspieler: zugeknöpfte »Harvardianer«, privilegierte Spacken, die in vielerlei Hinsicht und ganz offensichtlich das »Establishment« repräsentierten. Inzwischen sehen die Dinge anders aus. Mark Zuckerberg ist ein etablierter Name. Facebook ist allgegenwärtig und beherrscht weite Teile des Internets (trotz ständiger Skandale, die sich unter anderem um gestohlene Nutzerdaten, gefakte Nachrichten und politische Manipulationen drehen). Währenddessen sind Tyler und Cameron Winklevoss überraschenderweise wieder in den Nachrichten aufgetaucht – als Anführer einer völlig neuen digitalen Revolution. Mir entgeht nicht die Ironie des Ganzen. Zuckerberg und die Zwillinge haben die Rollen der Rebellion und des Imperiums getauscht, aber nicht nur das. Mein Buch und der daraus entstandene Film haben ein Bild der Zwillinge kanonisiert, das dringend revidiert werden muss.

Milliardär werden: Zur rechten Zeit am rechten Ort

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Meiner Meinung nach ist es kein Zufall, dass Tyler und Cameron Winklevoss zweimal zur rechten Zeit am rechten Ort waren. In der Literatur wie im Leben gibt es selten einen zweiten Akt. Im Falle der Winklevoss-Zwillinge sieht es ganz danach aus, als ob der zweite Akt den ersten früher oder später in den Schatten stellen wird. Bitcoin und die dahinter steckende Technik haben das Potenzial, das Internet auf den Kopf zu stellen. So wie Facebook entwickelt wurde, damit unsere sozialen Beziehungen aus der physischen Welt ins Internet umziehen konnten, wurden Kryptowährungen wie Bitcoin für eine Finanzwelt entwickelt, die heute weitgehend online funktioniert. Die Technik hinter Bitcoin ist weder eine Modeerscheinung noch eine Blase oder ein Trick. Sie stellt einen grundlegenden Paradigmenwechsel dar, der irgendwann alles ändern wird.

22. Februar 2008. Zwanzigster Stock eines unauffälligen Büroturms am Rand des Finanzviertels von San Francisco. Die üblichen aus Glas, Stahl und Beton zurechtgeschnittenen, überklimatisierten, hell erleuchteten Würfel. Eierschalenfarbene Wände, bürobeige Teppiche. Neonröhren, die das Tic-Tac-Toe- Raster der Zwischendecken durchkreuzten. Glubschende Wasserspender, Konferenztische mit Chromleisten, verstellbare Stühle aus Kunstleder. Es war kurz nach drei an einem Freitagnachmittag. Tyler Winklevoss stand vor einem bodentiefen Fenster mit Blick auf ein Nadelkissen aus gleichartigen Bürogebäuden, die im Mittagsnebel steckten. Er versuchte, aus einem papierdünnen Einwegbecher Filterwasser zu trinken, ohne zu viel davon auf seine Krawatte zu schütten. Nach so vielen Tagen, Monaten, – ach was! – Jahren war die Krawatte kaum notwendig. Je länger sich diese Tortur hinzog, desto wahrscheinlicher wurde es, dass er irgendwann zur nächsten endlosen Sitzung in seiner Olympia-Ruderjacke aufkreuzen würde. Es gelang ihm, das Wasser eben noch zu kosten, bevor der Becher unter seinen Fingern nachgab, und das Rinnsal seine Krawatte zwar verfehlte, aber den Ärmel seines Oberhemdes durchnässte. Er warf den Becher in einen Mülleimer neben dem Fenster und schüttelte die nasse Manschette aus. »Das kommt auch noch auf die Liste. Pappbecher in Eiswaffelform. Welcher Sadist hat sich das bloß ausgedacht?« »Vielleicht der, der diese Beleuchtung erfunden hat. Ich bin zwei Stufen brauner geworden, seit sie uns auf dieser Etage einquartiert haben. Ich wette, das Fegefeuer besteht aus Neonröhren.«

Stellungskrieg: Auf dem Weg zur Weltherrschaft

Auf zwei der Kunstledersessel am anderen Ende des Raumes fläzte sich Tylers Bruder Cameron, seine langen Beine auf die Kante eines rechteckigen Konferenztisches gelegt. Er trug Blazer, aber keine Krawatte. Einer seiner Lederschuhe der Größe  48 stand gefährlich nah am Bildschirm von Tylers offenem Laptop, aber Tyler sah darüber hinweg. Der Tag war schon lang gewesen. Tyler wusste: Die Langeweile war beabsichtigt. Eine außergerichtliche Einigung war etwas anderes als ein Rechtsstreit. Letzteres war ein Stellungskrieg, bei dem sich zwei Parteien ihren Weg zum Sieg erkämpften – also das, was Mathematiker und Ökonomen als Nullsummenspiel bezeichnen würden. Gerichtsverfahren hatten Höhen und Tiefen, aber unter der Oberfläche lauerten Urkräfte; vom Wesen her war es Krieg. Bei einem Schlichtungsverfahren war es anders. Wenn es gut geführt wurde, gab es keine Gewinner oder Verlierer, sondern nur zwei Parteien, die über Kompromisse zu einer Lösung gelangt waren und sich nun, wie man sagte, »das Kind aufteilten«. Schlichtung fühlte sich nicht wie Krieg an, sondern eher wie eine sehr lange Busfahrt, die erst dann endete, wenn alle Mitreisenden die Landschaft so satt hatten, dass man sich auf ein Ziel einigen konnte.

»Genau genommen«, sagte Tyler und wandte sich wieder dem Fenster und dem vertrauten Grau in Grau des nordkalifornischen Nachmittags zu, »sind wir nicht die, die im Fegefeuer stecken.« Sobald die Anwälte draußen waren, gaben sich Tyler und Cameron immer alle Mühe, um sich nicht mit ihrem Fall zu befassen. Anfangs war das anders gewesen. Anfangs war das Gefühl der Wut und des Betrogenseins so groß gewesen, dass sie kaum an etwas anderes denken konnten. Aber als die Wochen zu Monaten wurden, kamen sie zu der Einsicht, dass Wut der geistigen Gesundheit nicht zuträglich ist. Immer wieder hieß es von den Anwälten, dass sie dem System vertrauen müssten. Wenn sie alleine waren, sprachen sie daher möglichst über etwas anderes als das, was sie hierhergebracht hatte.

Wie Dante im Höllenkreis

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Dass sie nun auf die Literatur des Mittelalters zu sprechen kamen, genauer gesagt auf Dantes Idee von den unterschiedlichen Kreisen der Hölle, war ein Zeichen für das Aufweichen der Vermeidungstaktik. Ihr Vertrauen in das System hatte sie offenbar in einen dantesken Höllenkreis geführt. Immerhin hatten sie dadurch etwas Ablenkung. Als Heranwachsende in Connecticut waren Tyler und Cameron von Latein besessen gewesen. Als es im Abschlussjahr für sie keine Kurse mehr zu belegen gab, rangen sie dem Schulleiter ein Seminar zum Latein des Mittelalters ab, das der Fachleiter für Latein, ein Jesuitenpriester leitete. Gemeinsam übersetzten die Brüder und der Pater die Confessiones des heiligen Augustin und andere mittelalterliche Schriften. Zwar hatte Dante sein berühmtestes Werk nicht auf Latein geschrieben, aber Tyler und Cameron konnten genug Italienisch, um in ihren Scherzen das Inferno neu zu möblieren: Wasserspender, Leuchtstoffröhren, Whiteboards … Anwälte. »Genau genommen«, meinte Tyler, »sind wir im Limbus. Im Purgatorium ist er. Wir haben nichts Unrechtes getan.«

Plötzlich klopfte es. Einer ihrer eigenen Anwälte, Peter Calamari, trat als Erster ein. Sein hoher Haaransatz umrahmte eine vorstehende Stirn und ein zu kleines, weiches Kinn. Das Hemd mit Palmenmuster steckte schlampig im Hosenbund einer Jeans, die ihm derartig zu groß war, dass er komisch darin ging. Tyler wäre nicht überrascht gewesen, wenn das Etikett noch daran gehangen hätte. Schlimmer noch, Calamari trug doch wirklich Sandalen. Wahrscheinlich dort gekauft, wo er seine Jeans her hatte. Hinter dem Anwalt kam der Mediator herein. Antonio »Tony« Piazza machte eine weitaus beeindruckendere Figur. Er war schlank, fast schon hager, und makellos in Anzug und Krawatte gekleidet. Sein graumeliertes Haar war kurz und ordentlich geschoren, seine Wangen angemessen gebräunt.

Der Meister der Meditation

In der Presse galt Piazza als »Meister der Mediation«. Er hatte mehr als viertausend komplizierte Zwistigkeiten erfolgreich beigelegt, besaß angeblich ein fotografisches Gedächtnis und war nebenbei ein Kampfkunstexperte – er meinte beim Aikido gelernt zu haben, wie man Aggressionen in etwas Produktives kanalisiert. Piazza war nicht müde zu kriegen. Eigentlich war er der perfekte Busfahrer für diese endlos scheinende Fahrt. Noch ehe sich die Tür hinter den beiden Anwälten schloss, hatte Cameron die Füße vom Tisch genommen. »Hat er eingewilligt?« Die Frage war an Piazza gerichtet. In den letzten Wochen war ihnen Calamari, immerhin Teilhaber der protzigen Kanzlei Quinn Emanuel, eher wie ein Botengänger zwischen ihnen und dem Aikido-Meister vorgekommen. Mit seinen lockeren Jeans und Sandalen suchte er wohl Anschluss ans Silicon Valley, aber in Camerons Augen machte sich der Anwalt damit zur Witzfigur.

Eigentlich sollte er gar nicht hier sein. Calamari war die Vertretung für Rick Werder Jr., der eigentlich den Fall betreute und in letzter Minute hatte absagen müssen, um stattdessen einem Unternehmen im 2 Milliarden Dollar schweren Insolvenzverfahren beizustehen. Obwohl das Schicksal des Winklevoss’schen Falles allein auf seinen Schultern ruhte, war Werder nicht zur Schlichtung erschienen, dem alles entscheidenden Moment des Falls. Vermutlich erschien ihm der Deal, dem er gerade nachjagte, größer und besser. Die Zwillinge hatten die Kanzlei Quinn Emanuel zur Verstärkung ihres Anwaltsteams engagiert, als die Voruntersuchung zu Ende ging und der Prozessbeginn bevorstand. Das 1986 von John B. Quinn gegründete Unternehmen war für seine zähen Prozessanwälte bekannt, die sich ausschließlich mit Wirtschaftsstreitigkeiten und Schiedsverfahren befassten. Die Kanzlei hatte durch den Verzicht auf eine formelle Kleiderordnung Pionierarbeit geleistet – unerhört in der Welt der piekfeinen Sozietäten. Diese Innovation war schuld an Calamaris modischem Totalschaden. »Abgelehnt hat er nicht«, sagte Piazza, »aber er hat Bedenken.« Tyler sah seinen Bruder an. Der Vorschlag, den sie unterbreitet hatten, war ursprünglich Camerons Idee gewesen. Nach dem ganzen von Anwälten betriebenen Hin-und-Her – mit Piazza in der Mitte, als silbrige Sphinx auf der Suche nach Anknüpfungspunkten – hatte sich Cameron gefragt, ob man das ganze Brimborium nicht einfach weglassen könnte. Sie waren doch eigentlich drei Studenten, die einander vor nicht allzu langer Zeit in der Mensa kennengelernt hatten. Könnte man sich nicht zusammensetzen, nur zu dritt, ohne Anwälte, und die Sache besprechen? »Was für Bedenken?«, fragte Cameron. Piazza zögerte. »Sicherheitsbedenken.« Tyler brauchte einen Moment, um zu kapieren, was der Mann sagte. Sein Bruder erhob sich aus dem Sessel. »Er glaubt, wir würden ihm eine reinhauen?«, fragte Cameron. »Echt?« Tyler spürte, wie sich seine Wangen röteten. »Das ist ein Scherz, oder?«

Ihr Anwalt trat beschwichtigend näher. »Worauf es ankommt ist doch, dass er abgesehen von den Sicherheitsbedenken für die Idee zu haben ist.« »Jetzt mal im Ernst«, sagte Tyler. »Er glaubt, wir würden ihn vermöbeln? Mitten im Schiedsverfahren? Im Büro eines Schlichtungsanwalts.« Piazzas Gesicht blieb unbewegt, aber seine Stimme senkte sich – in eine derart beruhigende Tonlage, dass man dabei einschlafen konnte. »Bleiben wir bei der Sache. Theoretisch hat er dem Treffen zugestimmt. Es geht nur noch um die Details.« »Wollen Sie uns am Wasserspender anketten?«, fragte Cameron. »Fühlt er sich dann sicherer?« »Das wird nicht nötig sein. Am Ende des Flurs ist ein Besprechungsraum mit Glaswänden. Da kann das Treffen stattfinden. Nur einer von Ihnen geht zum Vieraugengespräch hinein. Der Rest von uns bleibt draußen und schaut zu.« Es war völlig absurd. Tyler hatte das Gefühl, wie ein wildes Tier behandelt zu werden. Sicherheitsbedenken. Das Wort fühlte sich an, als käme es von ihm. Es klang wie etwas, das nur er sagen würde. Vielleicht war es ja auch ein Trick; dass es physisch sicherer für ihn wäre, nur mit einem von ihnen zu sprechen, war fast so lächerlich wie die Vorstellung, sie würden ihn verprügeln wollen, aber vielleicht glaubte er, bei einem Eins-zu-eins-Gespräch irgendwie intellektuell im Vorteil zu sein.

Der surrealste Augenblick im Leben

Die Zwillinge hatten das Gefühl, dass er sie von Anfang an wegen ihres Aussehens geringschätzte. Für ihn waren sie immer nur die Coolen auf dem Campus gewesen. Dumme Sportskanonen, die noch nicht einmal programmieren konnten, die sich ihre Website von einem Nerd bauen lassen mussten. Eine Website, die nur er, das junge Genie, hätte erfinden können – oder eher: erfinden sollen. Denn wenn sie die Erfinder gewesen wären, dann hätten sie sie erfunden. Nach dieser Logik war es natürlich klar, dass sie ihm eine hereinhauen würden, sobald sie ihn vor sich hätten. Tyler schloss die Augen und sammelte sich. Dann zuckte er mit den Schultern. »Cameron geht rein.« Sein Bruder war immer der Weichere gewesen, weniger Alphatier, eher zum Biegen bereit, wenn Biegen die einzige Wahl war. Zweifellos war dies hier der Fall. »Wie im Tigerkäfig«, sagte Cameron, als sie Piazza und dem Anwalt hinaus auf den Flur folgten. »Haltet das Betäubungsgewehr im Anschlag. Wenn ihr seht, dass ich ihm an die Kehle gehe, dann tut mir einen Gefallen und zielt auf den Blazer. Er gehört meinem Bruder.« Weder Anwalt noch Schlichter zeigten auch nur das geringste Amüsement.

Als Cameron Winklevoss vierzig Minuten später den Glaskasten betrat, war dies einer der surrealsten Augenblicke in seinem Leben. Mark Zuckerberg saß bereits an dem langen, rechteckigen Tisch in der Mitte des Raumes. Mit seinen ein Meter siebzig schien der Milliardär auf einem extrahohen Sitzkissen zu thronen. Etwas verlegen schloss Cameron die Glastür hinter sich; auf der anderen Seite der Scheibe sah er Tyler und den Anwalt Platz nehmen. Weiter hinten im Flur war Piazza zu sehen, hinter ihm reihten sich Zuckerbergs Anwälte, eine Armee aus Anzugträgern. Die meisten von ihnen kannte er; nie wäre ihm Neel Chatterjee von der Kanzlei Orrick Herrington & Sutcliffe LLP entgangen, der seinen kostbaren Klienten derart eifrig behütete (und alles, was die Zwillinge über ihn zu sagen hatten, derart beargwöhnte), dass er bei einer Podiumsdiskussion, zu der die Zwillinge anlässlich einer Internetkonferenz im Jahr 2008 eingeladen waren, im Publikum gesessen hatte, wohl um ihre Äußerungen zu verfolgen.

Facebook wird gelauncht

Chatterjee und der Rest der Anwälte hatten Notizblöcke gezückt, und Cameron fragte sich, was sie notieren wollten. Die Glaswand machte einen schalldichten Eindruck und keiner der Anwesenden konnte seines Wissens Lippen lesen. Das Gespräch sollte zwischen ihm und Zuckerberg stattfinden: keine Vermittler, keine Anwälte, keine Zuhörer, keine Einmischer. Zuckerberg blickte nicht auf, als Cameron zum anderen Ende des Konferenztisches ging. Das seltsame Frösteln, das Cameron befiel, hatte nichts mit der übereifrigen Klimaanlage zu tun. Es war das erste Mal seit vier Jahren, dass er seinen ehemaligen Harvard-Kommilitonen wiedersah. Cameron hatte Zuckerberg zum ersten Mal im Oktober 2003 in der Kirkland-Mensa getroffen. Er, Tyler und ihr Freund Divya Narendra hatten sich mit ihm zusammengesetzt, um über das soziale Netzwerk zu diskutieren, das sie im vergangenen Jahr aufgebaut hatten. In den folgenden drei Monaten hatten sich die vier mehrere Male in Zuckerbergs Wohnheimzimmer getroffen und ihr Projekt in über fünfzig E-Mails besprochen. Aber ohne, dass die Zwillinge und Narendra es wussten, hatte Zuckerberg heimlich mit der Arbeit an einem anderen sozialen Netzwerk begonnen. Deren Domain thefacebook.com hatte er am 11. Januar 2004 registriert, vier Tage vor ihrem dritten Treffen am 15. Januar.

Und drei Wochen später, am 4. Februar 2004, hatte er thefacebook.com gelauncht. Cameron, Tyler und Divya erfuhren davon erst aus der Uni-Zeitung, der Harvard Crimson. Daraufhin stellte Cameron Zuckerberg per Mail zur Rede. Zuckerbergs Antwort: »Wenn du darüber sprechen möchtest, wäre ich bereit, mich mit dir allein zu treffen. Sag Bescheid…« Darauf war Cameron nicht eingegangen, denn das Vertrauen schien ihm unwiderruflich zerstört; was würde ein Streit mit jemandem bringen, der sich so verhielt? Ihnen blieb in Camerons Augen nur noch, aufs System zu setzen – zunächst indem sie an die Verwaltung appellierten, auf dass Harvard-Rektor Larry Summers einschreiten und den Ehrenkodex durchsetzen möge, der laut Studierendenhandbuch das Miteinander an der Uni bestimmen sollte. Als dies nicht fruchtete, hatten sie sich widerwillig an die Justiz gewandt – und nun, vier lange Jahre später, waren sie hier… Cameron war an den Tisch gelangt und ließ seinen übergroßen Körper auf einen der Stühle sinken, bevor er schließlich aufschaute und ein verlegenes Lächeln erahnen ließ. Es war unglaublich schwer, jemanden einzuschätzen, der keinerlei erkennbare Gesichtsausdrücke hatte, aber Cameron meinte in der Art, wie Zuckerberg vorwärts schaukelte und die Füße unter dem Tisch verschränkt hielt, einen Hauch von Nervosität zu erkennen, einen Anflug von menschlicher Emotion. Überraschenderweise trug Zuckerberg nicht seinen typischen grauen Kapuzenpullover; offenbar nahm er die Sache inzwischen doch ernst. Zuckerberg nickte Cameron zu und murmelte eine Art Gruß. Während der folgenden zehn Minuten redete hauptsächlich Cameron. Er begann mit einem Friedensangebot. Er gratulierte Mark zu seinen Erfolgen in den wenigen Jahren nach der Harvardzeit. Zum Um- und Ausbau von thefacebook.com – einer anfänglich kleinen, exklusiven Community von vernetzten Harvardstudenten – zu Facebook, einem globalen Phänomen, das sich erst von Uni zu Uni, dann von Land zu Land verbreitet und erst Millionen, dann Milliarden von Nutzern an sich gebunden hatte, die ihr Privat– und Intimleben in Wort und Bild preisgaben. Inzwischen umfasste dieses Netzwerk mehr als ein Fünftel aller Erdenbewohner und wuchs weiterhin ungebremst.

Die Harvard Connection

Cameron hielt mit dem Offensichtlichen hinter dem Berg: Er, Tyler und Divya glaubten felsenfest, dass Facebook aus ihrer Idee erwachsen war, aus einer Website, die erst Harvard Connection hieß und später zu ConnectU umbenannt wurde. Es war ein eigenes soziales Netzwerk gewesen, das College-Studenten die Kontaktaufnahme untereinander erleichtern sollte. Auf die Harvard Connection waren Cameron, Tyler und Divya gekommen, weil sie vom zunehmend enger werdenden Campusleben frustriert gewesen waren. Das erste Jahr war ein großer Schmelztiegel. Gleich in der ersten Woche war Divya auf dem Harvard Yard Cameron über den Weg gelaufen und hatte ihn zum E-Gitarre-Spielen in sein Wohnheimzimmer eingeladen. Von diesem Tag an waren sie dicke Freunde. Aber mit der Zeit waren diese zufälligen sozialen Kollisionen seltener geworden, weil alle zunehmend beschäftigt waren. Es war nicht leicht, den Freundeskreis über die Grenzen des eigenen Wohnheims, des eigenen Sportteams oder des eigenen Faches hinweg auszuweiten.

Die Zwillinge und Divya sahen darin einen Missstand und sie gingen daran, ihn zu beheben. Harvard Connection oder ConnectU sollte ein virtueller Campus werden, auf dem das Studentenleben ohne die physischen Hindernisse und undurchdringlichen sozialen Schranken der Offline-Welt aufblühen könnte. Ein ewiges Erstsemester, nur dass alle älter und weiser wären und die Jugend nicht an die Jungen verschwendet würde. Im Frühjahr 2003 war der Code annähernd fertiggestellt; allerdings machte der ursprüngliche Programmierer, Sanjay Mavinkurve, gerade seinen Abschluss mit Aussicht auf einen Job bei Google in Kalifornien. So mussten die Zwillinge und Divya jemand anderen einstellen, um die Website fertigzustellen. Victor Gao arbeitete den Sommer über daran, aber mit Semesterbeginn nahm ihn seine Bachelorarbeit zu sehr in Anspruch, sodass er damit aufhören musste. Er stellte den Kontakt zu einem Informatiker im zweiten Studienjahr her, der sich für kommerzielle Projekte zu interessieren schien. Zu diesem Zeitpunkt war die ConnectU-Software darauf ausgerichtet, die Nutzer anhand ihrer Mailadresse einzuordnen. Registrierte sich beispielsweise jemand mit einer auf harvard.edu endenden Adresse, wären er oder sie automatisch dem Harvard-Netz zugeordnet worden. So sollte das Kuddelmuddel vermieden werden, das entsteht, wenn alle in ein Netzwerk gepackt werden. Wie eine Matrjoschkapuppe sollte ConnectU ein Netz aus kleineren Unternetzen werden, die ebenfalls Netze aus Unternetzen enthielten und so weiter bis zur Einzelperson.

Eliten unter sich

Divya und die Zwillinge hatten ConnectU so eingerichtet, nachdem ihnen aufgegangen war, dass die E-Mail-Adresse einen Menschen nicht nur identifizieren kann wie ein digitaler Ausweis, sondern auch Aufschlüsse über sein soziales Umfeld im echten Leben erlaubt. Der Administrator von Harvard vergab Mailadressen mit der Harvard-Domain nur an Harvardstudenten. Goldman Sachs vergab Adressen mit @goldmansachs.com nur an Mitarbeiter von Goldman Sachs. Besaß man eine solche Mailadresse, gehörte man wahrscheinlich auch im echten Leben in irgendeiner Weise diesen Kreisen an. Diese Bauweise sollte dem ConnectU-Netz eine Vertrauenswürdigkeit verleihen, die andere soziale Netze wie Friendster oder MySpace nicht hatten. Die Nutzer sollten so eingeordnet werden, dass sie einander besser finden und auf sinnvollere Weise kennenlernen konnten. Genau diese Bauweise wies auch das Projekt auf, das den von ihnen beauftragten Informatiker kurze Zeit später zum Weltruhm und zur Herrschaft über das Internet katapultieren sollte. In den Augen der Zwillinge waren die einzigen Netze, mit denen sich Mark Zuckerberg auskannte, Computernetze. Aus ihrem eigenen sozialen Umgang mit ihm hatten sie den Eindruck gewonnen, dass Mark viel lieber mit Maschinen kommunizierte als mit Menschen. So gesehen war es viel plausibler, das größte soziale Netz der Welt als Sprössling einer ungleichen Paarung zwischen den Zwillingen und Zuckerberg zu sehen, statt als Zuckerbergs eigenes geistiges Kind. Die Vorstellung des einsamen Genies, das ganz aus sich allein brillante Erfindungen hervorbringt, war ein Filmklischee, ein Hollywood-Mythos. In Wirklichkeit waren die größten Unternehmen der Welt von dynamischen Duos gestartet worden: Jobs und Wozniak,

Brin und Page, Gates und Allen, die Liste war endlos und hätte aus Camerons Sicht auch Zuckerberg und Winklevoss enthalten sollen. Oder Winklevoss und Zuckerberg. Als er am Konferenztisch saß, musste Cameron sich selbst eingestehen, dass Zuckerbergs Errungenschaften wirklich beeindruckend waren. Was auch immer er ihnen weggenommen hatte, er hatte daraus eine Revolution gemacht. Irgendwie hatte dieser schmächtige, blasse Junge mit dem Billighaarschnitt es geschafft, die Welt zu verändern. Und das schmierte ihm Cameron nun aufs Brot. Er bekräftigte, dass Zuckerbergs Schöpfung unglaublich war und eine Innovation darstellte, wie sie nur einmal in jeder Generation vorkommt. Als Cameron verstummte, steuerte Zuckerberg seinerseits Glückwünsche bei. Er zeigte sich aufrichtig beeindruckt davon, dass Cameron und Tyler noch als Studenten die US-Meisterschaft im Rudern errungen hatten und wohl noch im Laufe des Sommers als Teil der amerikanischen Nationalmannschaft an den olympischen Spielen in Peking teilnehmen würden. Cameron fühlte sich auf merkwürdige Art und Weise an den scheuen Jungen erinnert, den sie damals im Speisesaal kennengelernt hatten. Ein sozial gehemmter Computerfreak, der sich freute, auch nur flüchtig mit ihnen zu tun zu haben. Cameron bemühte sich, dunkle Erinnerungen zu verscheuchen, während er die Komplimente entgegennahm. Er versuchte nicht an das Gefühl zu denken, das ihn damals beim Lesen des Artikels über Zuckerbergs Website überkommen hatte. Zwischenzeitlich lautete der Jobtitel, den Zuckerberg auf thefacebook.com angab: »Gründer, oberster Befehlshaber und Staatsfeind.« Dieb hätte auch gepasst, dachte Cameron. Aber solche Gedankengänge waren nun wenig hilfreich. Nichts davon fiel jetzt ins Gewicht.


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