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Offenlegung & Urheberrechte: Bildmaterial selbst erstellt von Verlag Best of HR – Berufebilder.de®. Text ursprünglich aus: “Das Jobinterviewknackerbuch: Cool bleiben – Kompetenz zeigen – K.O.-Kriterien kennen. Was Personaler nie verraten würden” (2012), erschienen bei Campus Verlag, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Von Florian Vollmers (Mehr) • Zuletzt aktualisiert am 06.02.2024 • Zuerst veröffentlicht am 14.06.2021 • Bisher 5312 Leser, 1442 Social-Media-Shares Likes & Reviews (5/5) • Kommentare lesen & schreiben
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll eigentlich für mehr Transparenz und weniger Diskriminierung im Bewerbungsprozess sorgen. Oft ist jedoch das Gegenteil der Fall. Ein Überblick.
Ein außergewöhnlicher Streitfall vor dem Landgericht Stuttgart sorgte 2010 für Aufsehen in deutschen Personalabteilungen: Eine Bewerberin war nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden und hatte daraufhin ein Fensterbauunternehmen wegen Diskriminierung verklagt.
Der Grund: Die Frau aus Ostdeutschland hatte mit der Absage des Arbeitgebers ihre Bewerbungsmappe mit der Post zurückerhalten. Auf den Unterlagen stand in fetter Schrift das Wort “OSSI” geschrieben – daneben prangte ein dickes Minus-Zeichen.
Das Landgericht Stuttgart urteilte: Der Personaler des Fensterbauers hatte sich den Mund schon halb verbrannt, als er die Herkunft der Bewerberin mit einem Minus auf deren Unterlagen dokumentiert hatte. Der entscheidende Fehler war übrigens nicht die entsprechende Notiz, sondern die Tatsache, dass er sie – offenbar versehentlich – an die Bewerberin auch noch zurückgesandt hatte!
In der Schadensersatzklage aufgrund von Diskriminierung einigten sich die Parteien vor Gericht letztlich mit einem Vergleich. Ungeklärt blieb dabei die Frage – übrigens bis heute –, ob die Tatsache, aus Ostdeutschland zu stammen, schon mit einer eigenständigen Ethnie vergleichbar ist – und damit eben auf “Ossis” das AGG überhaupt angewendet werden kann. Bizarrer geht es wohl nicht.
Bei der Forderung nach Schadenersatz berief sich der Anwalt der abgelehnten Bewerberin auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) – ein Gesetz, das die Arbeit der Personaler und ihren Umgang mit Kandidaten in Vorstellungsgesprächen in den vergangenen Jahren entscheidend verändert hat.
Im Jahr 2006 trat das AGG in Kraft. Zuvor hatte es jahrelang für Diskussionen gesorgt, denn seine Wirkungskraft in der Praxis gilt – um es vorsichtig auszudrücken – als umstritten. Genauer gesagt: Personaler halten das AGG für blanken Schwachsinn. Sie meinen sogar, dass es Bewerbern schadet. Warum?
Blicken wir zunächst in den genauen Wortlaut des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes: “Ziel ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.”
In der Praxis hat das unter anderem zur Folge, dass in Stellenausschreibungen verschwiegen wird, ob man sich eher eine Frau oder einen Mann für den zu besetzenden Job wünscht. Es gibt keine Angaben zum Alter oder dazu, was man körperlich leisten können muss, um einen Job erledigen zu können.
Um sich nicht den Mund zu verbrennen, sagen die Arbeitgeber deshalb: “Bei uns haben alle die gleichen Chancen!”. Wir wissen, dass das eine AGG-Notlüge ist. Denn am Ende picken sie sich doch genau jene Bewerber heraus, die sie haben wollen.
Bei der Recherche zu einem Buch verriet mir eine Personalleiterin im Gespräch, dass ihr im Voraus selbstverständlich klar sei: “Diesen Job kann nur eine Frau machen!” oder “Ein Mann wird dieser Unternehmensabteilung gut tun!” Aber öffentlich zugeben würde sie diese Überlegungen nie. Die Entscheidung fällt sie dann aber doch häufig nach Geschlecht oder dem Alter eines Bewerbers.
Und mehr noch: Um den Vorwurf der Diskriminierung und Schadenersatzklagen zu vermeiden, sind Unternehmen deshalb heute vorsichtiger im Umgang mit Bewerbern als noch in früheren Zeiten. Abgelehnte Bewerber erfahren nicht mehr ohne Weiteres, warum sie einen Job nicht bekommen. Kritische Angaben, zum Beispiel zu Behinderungen, müssen von Bewerbern heute nicht vorab geleistet werden.
Wo früher im Vorstellungsgespräch schon mal eine Bemerkung über das Outfit eines Kandidaten üblich war, konzentriert man sich stärker darauf, welche Arbeitsleitung der jeweilige Kandidat zugunsten des Arbeitgebers verlässlich leisten kann.
Wie können Bewerber daher wissen, worauf sie beim Bewerben achten und sollen? Und woran liegt es, wenn sie immer wieder Absagen bei der Bewerbung erhalten. 10 Tipps, worauf Sie achten sollten.
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Florian Vollmers ist freier Journalist u.a. für FAZ oder Handelsblatt.Er studierte Theater- Film- und Medienwissenschaft, Soziologie und Skandinavistik in Frankfurt am Main, Paris und Aarhus (Dänemark). Seit 2001 schreibt er als freier Journalist über Wirtschafts- und Kultur-Themen für verschiedene Print- und Online-Medien – unter anderem sind seine Arbeiten in der F.A.Z., im Handelsblatt, in Szene Hamburg, Weser-Kurier und in der Lebensmittelzeitung veröffentlicht worden. Für den Campus Verlag ist Vollmers als Buchautor tätig, zuletzt erschien der Ratgeber “Kapstadt statt Karstadt”. Für zahlreiche Filmfestivals hat Florian Vollmers Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht, darunter das Internationale Filmfest Emden-Norderney, die Nordischen Filmtage Lübeck und das Unabhängige Filmfest Osnabrück. Für Kunden- und Mitgliederzeitschriften wie DJV-Nordspitze, FMB-Rundbrief oder das Landesrundschreiben der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen ist er als Redakteur und Autor tätig. Vollmers lehrt im Studiengang Kulturmanagement an der Hochschule Bremen und hat an verschiedenen Festivaljurys teilgenommen, unter anderem beim Stockholm Film Festival und bei go East – Festival des mittel- und osteuropäischen Films. Er ist Vorstandsmitglied des Film- und Medienbüros Niedersachsen sowie Mitglied im Deutschen Journalisten-Verband und im Verband der deutschen Filmkritik. Seit 2012 ist Florian Vollmers Jurymitglied der Deutschen Film- und Medienbewertung FBW. Alle Texte von Florian Vollmers.
Ich habe auch schon so viele schreckliche Bewerbungssituationen hinter mir, daher danke für diesen wirklich sehr schönen und ausführlicher Artikel. Und wieder mal wieder zeitlich perfekt passend.
[…] und Berufebilder.de bieten weiterführende Informationen zum […]
Gleichbehandlungsgesetz #Bewerbung: Vor- oder Nachteil? Teil 1: #Beruf
Gleichbehandlungsgesetz #Bewerbung: Vor- oder Nachteil? Teil 1: #Beruf
Hallo liebe Blogger,
sowohl der eine wie auch der andere Weg sind für mich nicht zielführend. Diskriminierung ist in der Personalauswahl eine Selbstverständlichkeit. Ich möchte einen Führungsverantwortlichen kennen lernen, der die ihm/ihr sympathischste Person abgelehnt hat, weil eine andere Person besser qualifiziert war.
ich würde dem Bewerber die Wahl lassen, sich ehrliches Feedback einzuholen, am Besten mit einem unterschriebenen Versprechen, auf jegliche Klagen zu verzichten. Es ist wirklich deprimierend, wenn man trotz sehr gutem Uniabschluss und ausreichender Berufserfahrung die ganze Zeit nur formalisierte Schreiben bekommt, und sich vor Allem nicht fortbilden kann, weil man ja nie weiß, welche Qualifikationen fehlen.
Mittlerweile würde ich alles unterschreiben, um endlich einmal Feedback zu bekommen. Man wird mit der Zeit mürbe und das Ego versteht es nicht, weil man bei Jobs abgelehnt wurde, bei denen man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der beste Kandidat gewesen wäre (die anderen Jobs, bei denen man Quereinsteiger wäre, tun auch nicht so weh bei der Absage). Noch besser ist das: Mit ins Vorstellungsgespräch eingeladen werden, weil man so gute Qualifikationen hat und formell eingeladen werden muß, nur um kurz vor Schluß am Gegenkandidaten zu scheitern, der seit Anfang an schon feststand.
Aber immer hoch die Rübe, Deutschland braucht ja unbedingt qualifizierte Kräfte, zumindest hört man das im Fernsehen.
Julius
Hallo Julius,
danke, du bringst die Problematik auf den Punkt: Sowohl mit als auch ohne AGG ist schwierig. Und richtig, von der fehlenden Ehrlichkeit, hat keiner was. Was das mit den qualifizierten Kräften angeht, will ich dir ja nicht den Mut nehmen, aber…
Als Lösung empfehle ich da nur: Eigene Idee entwickeln und loslegen. Nur Mut!
Lieber Oligo,
die entscheidende Frage ist, ob man Gleichstellung gesetzlich erzwingen kann oder ob das nicht ein kontraproduktiver Ansatz ist. Simone Janson hat völlig recht, wenn sie sagt: Nur Aufklärung auf gesellschaftlicher Ebene kann da weiterhelfen. Worauf es mir in meinem Beitrag ankommt: Gesetzliche Zwänge helfen uns nicht weiter, solange in den Köpfen der Entscheider nicht die Bereitschaft vorhanden ist, die viel beschworene “Diversity” auch in die Tat umzusetzen. Was jedenfalls ein Resultat unserer Recherchen in den Personalabteilungen ist: Initiativen wie das AGG führen eher dazu, dass für Kandidaten das Verständnis für den Ablauf einer Einstellung noch stärker verschleiert wird als vor Einführung des AGG. Wohlmeinende Empfehlungen wie “Ihre Berufserfahrung passt nicht zu unserer Stelle” oder “Sie sind noch zu jung für die ausgeschriebene Position” oder im Extremfall auch “Ziehen Sie sich beim nächsten Mal etwas Anderes an” werden totgeschwiegen – und das hilft keinem auch nur einen Schritt weiter. Mit anderen Worten: Es geht um klare Aussagen, um Ehrlichkeit, um einen offenen Umgang miteinander, der durch das AGG verhindert wird. Dass Arbeitgeber diskriminierend sein können, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Was ich mit dem Beitrag zeigen möchte: Als Bewerber muss man die Hintergründe eines Einstellungsprozesses so weit wie möglich verstehen, um Schaden von sich selbst abzuwenden…
“Bei der Recherche zu unserem Buch verriet mir eine Personalleiterin im Gespräch, dass ihr im Voraus selbstverständlich klar sei: „Diesen Job kann nur eine Frau machen!“ oder „Ein Mann wird dieser Unternehmensabteilung gut tun!“ Aber öffentlich zugeben würde sie diese Überlegungen nie.”
Wer beliebige und nicht erfolgsentscheidende Kriterien für die Stellenbesetzung heranzieht, ist selbst schuld. Dummheiten kann man nicht verbieten.
Man hat als Bewerber einen Anspruch darauf, dass man halbwegs fair und objektiv behandelt wird bei der Bewerbung. Das ist natürlich nach wie vor nicht der Fall – das war es, bevor es das AGG gab, aber auch nicht. Mittlerweile hat man aber die Möglichkeit zu klagen, wobei das Unternehmen dann eine objektive Auswahl belegen muss.
Das AGG hat aber auch dazu geführt, dass einige Unternehmen und auch Verwaltungen ihren Einstellungsprozess verändert haben.
“„Das AGG schadet Bewerbern. Denn wir können ihnen kein ehrliches Feedback geben.“”
Achso, also sowas Ehrliches wie: “Es tut mir leid, Sie sind ein Moslem/eine Frau/zu dick/zu hässlich….” kann man sich auch verkneifen. Haben jene Personaler schon mal daran gedacht, dass ihr laienhaft dümmliche Bewertung auch niemanden ernsthaft interessiert?
Hallo Oligo,
danke für den Kommentar. Das ist eben die Frage, ob die Situation mit oder ohne AGG besser ist. Mit AGG, da haben Sie recht, kann man wenigstens noch klagen. Dafür gibt es dann, wie im geschilderten Fall, im besten Fall etwas Geld (siehe 2. Teil des Artikels – es gab einen Vergleich) und die Genugtuung sie wehren zu können.
Den Job bekommt man eher nicht, ist vielleicht nicht empfehlenswert: Möchte man einen Job haben, den man einklagen muss?
Was mich zu dem Kern der Sache bringt: Das eigentliche Problem, die Diskriminierung in den Köpfen lässt sich nicht gesetzlich verhindern, sondern nur gesellschaftlich. Denn so wird auch mit AGG weiterdiskriminiert: Sprach letztes Jahr mit einem Personalberater, der mir gestand, er habe keine Probleme damit, auch Ausländer auszusortieren, falls das gewünscht wird. Das hat mich auch umgehauen.
Was ist also besser: AGG haben, klagen können, aber Scheinheiligkeit? Oder kein AGG aber dafür wenigstens ein ehrliches Feedback?
Wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Bewerbern das Leben schwer macht
Bewerber – dank AGG auch nicht schlauer als vorher
#Beruf Wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Bewerbern das Leben schwer macht – Teil 1: Der Irrsinn verord
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