MEINUNG! Professor Dr. Hermann Schöler von der PH Heidelberg: "Die Bedeutung der frühen Bildung wurde zu lange unterschätzt"

Professor Dr. Hermann Schöler, Leiter des Studiengangs Frühkindliche- und Elementarbildung an der pädagogischen Hochschule (PH) Heidelberg, setzt sich seit 1972 für eine Professionalisierung und Akademisierung der Ausbildung in Frühpädagogik ein. Schöler studierte Psychologie und war von 1972 bis 1982 nach dem Studium wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Heidelberg und Mannheim. Seit 1982 Professor für Psychologie der Lernbehinderten an der PH Heidelber. Forschungsschwerpunkte sind seit 1972 Kindlicher Spracherwerb, dessen Störungen und Diagnostik. Seit 2007 ist er auch Professor für Entwicklungspsychologie und Methoden im Studiengang “Felbi”. Schöler ist einer der Hauptinitiatoren der Heidelberger Erklärung hat selbst fünf Erwachsene Kinder im Alter zwischen 19 und 33 Jahren.

Herr Professor Dr. Schöler, was bedeutet Frühpädagogik denn überhaupt?

Frühpädagogik ist der Bereich Erziehung und Bildung von Kindern zwischen 0 und 10 Jahren. Wobei wir an der Pädagogischen Hochschule auch speziell für die Arbeit von Kindern zwischen 0 und 3 vorbereiten.

Das wirkt erstmal nicht wie ein Thema, das viel Sprengstoff birgt. Doch nun haben Sie dem Thema mit der Heidelberger Erklärung zusätzliche politische Brisanz verliehen. Was wollen Sie damit erreichen?

Richtig, wir haben die Erklärung auf der Tagung “Frühkindliche und Elementarbildung. Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven” in Heidelberg verfasst und sie Staatssekretär Gerd Hoofe vom Bundesfamilienministerium überreicht.

Unser Anliegen: Frühkindliche Bildung stellt sowohl unter pädagogischer und psychologischer wie auch unter ökonomischer Perspektive eine der ertragreichsten Anlagemöglichkeiten in die Zukunft unserer Gesellschaft dar. Da die ersten Jahre entscheidend für die zukünftigen Bildungs- und Entwicklungschancen sind, fordern wir drastisch verbesserte Rahmenbedingungen – zum Beispiel überschaubaren Kindergartengruppen und großzügigere Verfügungszeiten. Dazu gehört aber auch eine Qualifizierungs- und Professionalisierungsoffensive für das pädagogische Fachpersonal. Die frühkindliche Bildung muss als gleichberechtigter Teil des gesamten Bildungssystems anerkannt und werden. Mittelfristig muss eine akademische Ausbildung aller Erzieherinnen normal werden.

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Klingt kämpferisch, aber ein wenig theoretisch. Bitte erklären Sie genauer: Warum ist es denn so wichtig, dass Frühpädagoginnen gut ausgebildet sind?

Weil die Erfahrungen, die ein Mensch in seiner frühen Kindheit macht, von entscheidender Bedeutung für seine gesamte spätere Entwicklung sind. Sprich, das, was man als kleines Kind lernt oder eben nicht, wirkt sich auf die gesamte Bildung und Karriere aus. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft; die Unternehmensberatung McKinsey hat das auch in Zahlen errechnet: Wer in frühkindliche Bildung investiert, erzielt das Zwölffache an Rendite. Wer in Tertiäre Bildung investiert, nur noch das Dreifache. Ökonomisch gesehen macht es also Sinn, frühzeitig mit den Investitionen in die Bildung anzufangen.

Und da ist die Einrichtung von Studiengängen der richtige Schritt?

Ja, aber einer, der viel zu spät kommt. Weil die Politik, natürlich bedingt durch die Ergebnisse der Pisa-Studie erst jetzt erkannt hat, wie wichtig die Bildung schon im Kleinkinderalter ist. Denn wir haben sonst in allen Bildungsbereichen eine akademische Ausbildung, nur nicht in der Frühpädagogik. Alle anderen europäischen Länder sind da einen Schritt weiter.

Wird also die akademische Ausbildung in den nächsten Jahren die bisherige Erzieher-Ausbildung ablösen?

Das würde ich mir wünschen. Allerdings ist das bislang so nicht vorgesehen, weil es politisch nicht gewollt ist. Viel mehr sollen beide Ausbildungsformen nebeneinander herlaufen. Und während ausgebildete Erzieher nach dem Willen der Bildungspolitik weiterhin die “gewöhnliche” Arbeit mit Kindern übernehmen sollen, sollen wir hier an den Hochschulen das Personal für die Leitenden Funktionen ausbilden. Ich halte diese Unterscheidung für Quatsch: Für jedwede Arbeit mit Kindern ist eine profunde pädagogisch-akademische Ausbildung notwendig. Und im europäischen Ausland ist das auch längst so üblich. Nur nicht in Deutschland.

Warum glauben Sie denn, dass die akademische Ausbildung unbedingt besser ist als die Erzieherausbildung – wo man doch gemeinhin den Hochschulen stärkere Theorielastigkeit als der beruflichen Ausbildung unterstellt?

Naja, zunächst muss man wissen, dass die Erzieherinnen-Ausbildung auch nicht wesentlich praxisnäher ist: In Baden-Württemberg läuft sie an Fachschulen ab, dauert zwei Jahre ohne größere Praxisanteile, am Ende machen die Erzieher ein Anerkennungsjahr, das allerdings wenig Rückbezug zur Ausbildung aufweist. Damit ist die Ausbildung abgeschlossen.

Unsere Ausbildung verzahnt hingegen praktische und theoretische Elemente, deren Inhalte in möglichst engem Bezug zueinander stehen. Ich habe sogar mit fertigen Erzieherinnen gesprochen, die bei uns mehr praktische Anteile sehen. Außerdem konnten wir als Lehrbeauftragte eine Reihe von Spezialisten aus der Praxis gewinnen, z. B. den Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums in Ludwigsburg, einen anerkannten Neuropädiater, oder die Dramaturgin des bekannten Mannheimer Schnawwl-Kindertheaters.

Aber mal ganz davon abgesehen, ist es natürlich wichtig, auch grundsätzliche, theoretische Kenntnisse zu haben, um diese auch in der Praxis anwenden zu können. Wenn man 20 Jahre in der Praxis etwas falsch macht, bleibt es auch nach 20 Jahren falsch. Ich halte es mit dem Spruch: Eine gute Theorie ist die beste Praxis.

Machen Sie sich mit dieser Ansicht nicht viele Feinde?

Klar, natürlich sind die Fachschulen wenig begeistert von dieser Initiative. Und die Politiker sind auch nur zum Teil dafür. Dahinter steckt, dass die akademisch ausgebildeten Erzieher natürlich mehr Gehalt verlangen können.

Aber auch die akademischen Nachbardisziplinen haben Probleme mit unserem Studiengang. Wir bilden ja unsere Studenten zum Beispiel auch in Diagnostik aus, d.h. sie sollen zum Beispiel sprachliche oder motorische Auffälligkeiten bei Kindern mit Testverfahren erkennen können. Da fürchten dann zum Beispiel die Logopädinnen um ihre Kompetenzen.

Bezogen auf die Kinder, die ja im Vordergrund stehen sollen, sind solche berufspolitischen Abgrenzungen nicht immer sinnvoll, denn auf diese Weise können Beeinträchtigungen bei Kindern viel schneller erkannt und durch Spezialisten behoben werden. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist da wichtig.

Haben die akademisch ausgebildeten Frühpädagogen denn bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt?

Der Arbeitsmarkt in diesem Bereich wird sich in den nächsten Jahren noch deutlich ausweiten, daher sind die Prognosen allgemein gut. Akademiker können jedoch ein höheres Gehalt erwarten. Allerdings hat man unseren Studiengang an der PH Heidelberg im letzten Jahr auch für die Fachhochschulreife freigegeben (zuvor konnte man das Studium nur mit Abitur beginnen).

Das ist de facto eine Abwertung des Abschlusses, der dazu führt, dass die Absolventen hinterher mit weniger Geld rechnen können. Das macht den Beruf für Männer auch nach wie vor nicht attraktiv.


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