Die Angst vor Internetsucht und Überforderung durch die moderne Technik geht um. Ist einfach abschalten eine Lösung? Kaum. Was hilft, ist ein kluger Umgang mit der Technik.

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Digitalisierung und Internet sind das Leben?

Immer wieder haben wir auf Best of HR – Berufebilder.de® das Thema Überforderung und Stress durch das Internet und neue Technologien diskutiert. Die Vielzahl an Kommentaren und zum Teil heftigen Reaktionen zu den Artikeln zeigt, wie groß das Interesse an diesem Thema ist.

Es beschäftigt zum Beispiel auch Katharina Borchert, die als preisgekrönte Bloggerin mit “Lyssas Lounge” bekannt wurde. Seit 2006 war sie Online-Chefredakteurin der WAZ-Gruppe, seit 2010 Geschäftsführerin bei Spiegel Online, seit Januar 2016 ist sie im Board of Directors der Mozilla Corporation als Chief Innovation Officer für die zukünftige Ausrichtung der Mozilla-Produkte zuständig. Internet und Social Media sind ihr Leben.

Digital Detox: Afrika oder Gruppentherapie?

Um runterzukommen, fährt sie immer wieder in den afrikanischen Busch – ohne Empfang. Drei Tage leidet sie, dann merkt sie, wie gut ihr die selbst auferlegte Internet-Abstinenz tut; für ihr inneres Gleichgewicht und um den Kopf freizubekommen, wie sie der Journalistin Iris Ockenfels einst für das medium magazin erzählte.

Nun hat nicht jeder die Zeit und das Geld, gleich nach Afrika zu entschwinden. Es gibt daher Leute, die sich mit Freunden zusammentun, um sich vor dem eigenen Online-Wahn zu schützen. Allerdings nicht in Form eines Gesprächskreises, in dem man gemeinsam über das eigene Suchtverhalten lamentiert und dann zu Hause weitermacht: Nein, es wird tatsächlich etwas unternommen.

Wenn Leute abnehmen wollen, funktioniert das in der Gruppe ja auch besser! Man kann sich beispielsweise das gegenseitige Versprechen geben, sich nur an einem einzigen Tag im Monat einzuloggen. Mit Sanktionen, falls es jemand doch tut, versteht sich. Andere sind noch radikaler und bitten ihre Freunde, das eigene Passwort zu ändern – aber das ist natürlich eine Vertrauensfrage.

Ein halbes Jahr ohne Internet als FAZ-Journalist

Auch der Journalist Alex Rühle ist vor einigen Jahren in Deutschland und bei seiner Arbeit geblieben: Allerdings hat er einfach abgeschaltet. Internet und Smartphone. Ein halbes Jahr lang. Und darüber ein Buch geschrieben: “Ohne Netz: Mein halbes Jahr offline”.

Dabei ist Rühle nicht jemand, der es sich einfach erlauben kann, sich aus dem Internet auszuloggen: Er ist Feuilleton-Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Und das Internet ist sein tägliches Arbeitsgerät. Früher deponierte er abends seinen Blackberry auf dem Schuhschrank, damit er vor dem Zubettgehen noch heimlich eMails checken konnte. An einem ruhigen Tag bekam er 68 Mails und beantwortete 45 davon. Ein Internet-Junkie also.

Ohne Internet geht es nicht

Dementsprechend schwierig gestaltete sich die Abstinenz: Wörterbücher wurden als Übersetzungshilfe verwendet, der Lektor bekam Wasserstandmeldungen per Postkarte, und antike Technologien wie das Fax wurden wieder zum Leben erweckt. Die Kollegen machten Witze über den “Höhlenbewohner”, er wurde zum Lieblingskunden der Telefonauskunft, und Recherchen, die er via Google in wenigen Minuten erledigt hätte, dauerten Stunden, weil er per Telefon nach den geeigneten Ansprechpartnern im Ausland fahnden musste.

Ganz auf das Internet verzichten wollte Rühle nach Ablauf der sechs Monate dann doch nicht: Er benutzt zwar heute kein Internet-taugliches Handy mehr, arbeitet aber mit zwei Computern – einem, an dem er schreibt und einem, mit dem er zielgerichtet ins Netz geht, um allerdings nach maximal zwei Stunden wieder mit dem Surfen aufzuhören.

Wie der JoJo-Effekt bei einer Diät

Was da klingt wie eine nette Geschichte, ist in Wirklichkeit das Ergebnis einer ziemlich irrationalen Überreaktion. Rühle, der sich offenbar als Spielball seiner Internetsucht empfand, versuchte diese zu therapieren, indem er vorübergehend ins genaue Gegenteil verfiel. Das ist ungefähr so sinnvoll wie eine Diät, bei der man eine Woche lang nichts isst: Man nimmt zwar ab, isst dafür aber hinterher umso mehr, und hat letztendlich mehr Fett auf den Rippen.

Und wer nach einiger Offline-Zeit wieder anfängt mit dem Internet, läuft Gefahr, wieder in alte Verhaltensmuster zu verfallen. Von einem Extrem ins andere zu fallen, war noch nie eine gute Lösung.

Schon gar nicht bei Erfindungen, die, richtige Anwendung vorausgesetzt, unser Leben pratktischer, einfacher und besser machen. Und die daher aus dem normalen Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken sind. Oder hast Du schon mal darüber nachgedacht, auf Dein Bett, Dein Fahrrad oder Deine Kaffeemaschine zu verzichten, weil Du diese Gegenstände dauernd nutzt und Dich nicht von ihnen abhängig machen möchtest? Nein, und das wäre vermutlich auch ziemlich absurd.

Können bzw. sollen wir aufhören mit Internet?

Die Idee, dass man besser kein Internet hat oder zumindest kein Internet auf dem Handy, höre ich hingegen öfter mal. Dabei ist das genau so albern und zeigt letztendlich nur eines: Dass der betreffende Anwender nicht in Lage ist, die moderne Technik mit Maß und Ziel zu nutzen. Totalverzicht also als Ergebnis von fehlender Selbstkontrolle! Offenbar ist es sogar einfacher, auf das “Suchtmittel” ganz zu verzichten, als sich jeden Tag wieder der Suchtgefahr auszusetzen.

Nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist nichts gegen einen Verzicht auf bestimmte Technologien einzuwenden. Jeder kann diejenigen technischen Errungenschaften einsetzen, die ihm selbst nützlich sind. Ich persönlich zum Beispiel habe nie einen Führerschein gemacht und werde deswegen auch öfter mal schief angeschaut.

Fazit: Internet-Abstinenz darf keine Ideologie werden

Allerdings sollte man auch keine Ideologie daraus machen: Nicht das Smartphone oder Internet sind Schuld an der Misere, sondern ganze allein man selbst. Vielleicht sollten also Internet-Junkies wie Abstinenzler einfach mal darüber nachdenken, wie sie einen Computer und das Netz als das benutzen, was es ist:

Als effizientes Informations- und Kommunikationsmedium, privat wie beruflich. Was hilft, ist nicht die zwanghafte Abstinenz, sondern der kluge Umgang mit dem Internet und sozialen Netzwerken.